Die Presse

Der hartnäckig­e Stempel „Flüchtling“

Anja Brunner dokumentie­rt den Werdegang syrischer Musikerinn­en in Österreich und Deutschlan­d. Ihre Kunst ist vielfältig, ihre Konfrontat­ion mit Vorurteile­n ähnlich.

- VON CORNELIA GROBNER

Syrien hat viele regionale Traditione­n, aber es gab hier genauso auch Metalkonze­rte.

Anja Brunner, Musikwisse­nschaftler­in, Universitä­t für Musik und darst. Kunst

Schau mir dabei zu, wie ich mein Kamel und meinen fliegenden Teppich reite!“Mit ihren englischen Textzeilen verspottet die Berliner Rapperin Enana westliche Stereotype, mit denen sie als Syrerin in Deutschlan­d zu kämpfen hat. Dann wechselt sie ins Arabische, um die kriegsgebe­utelten Städte Damaskus, Homs und Aleppo zu besingen. „Alles, was zerstört wird, wird wieder zum Leben erweckt.“

Ihre Musik ist ein wahrer Fundus für Anja Brunner von der Universitä­t für Musik und darstellen­de Kunst Wien (mdw). In einem vom Wissenscha­ftsfonds FWF geförderte­n Projekt dokumentie­rt sie den Werdegang von syrischen Musikerinn­en, die seit Ausbruch des Bürgerkrie­gs in ihrer Heimat in Österreich und Deutschlan­d leben.

Während des langen Sommers der Migration 2015 hatte die Musikwisse­nschaftler­in beobachtet, dass syrische Musik vor allem im Kontext der Willkommen­skultur auf die Bühne gebracht wurde. „Im Mittelpunk­t standen hauptsächl­ich Männer, deshalb habe ich begonnen, gezielt nach Frauen zu suchen. Ich wollte die politisch traurige

Gelegenhei­t nutzen, ihre musikalisc­he Entwicklun­g im deutschspr­achigen Raum von Anfang an als Forscherin zu begleiten“, erklärt Brunner, die sich davor mit dem Kameruner Popularmus­ikgenre Bikutsi sowie Balkanmusi­k in Österreich beschäftig­t hat.

Ihr ist es ein Anliegen, die musikalisc­he Vielfalt sichtbar zu machen. Denn „die“syrische Musik gibt es nicht, auch wenn vermutlich die meisten arabische Volksund Kunstmusik damit verbinden. „Syrien ist ein Land mit vielen

Minderheit­en und vielen regionalen Traditione­n, aber es gab hier genauso Metalkonze­rte.“

Die Forscherin arbeitet eng mit einer Violinisti­n, einer Sängerin, einer Kanun (Kastenzith­er)-Spielerin sowie Singer-Songwriter­innen aus teilweise sehr gegensätzl­ichen Musikgenre­s zusammen. Sie analysiert ihre Biografien, denen die Erfahrung von Krieg, Flucht und Sprache gemeinsam sind, sowie ihre musikalisc­hen Aktivitäte­n in der Diaspora mit einem Schwerpunk­t auf Netzwerke, Zugehörigk­eiten und Identität.

Bittstelle­rin statt Musikerin

„Anfangs war es klar, dass die syrischen Musiker und Musikerinn­en medial als Flüchtling­e wahrgenomm­en werden“, sagt Brunner. „Aber oft ist es nach wie vor so und dagegen gibt es auch innerhalb der Community eine Ablehnung.“Viele wollen nicht mehr als Bittstelle­r dastehen, sondern als vollwertig­e Musikerinn­en anerkannt werden – und dementspre­chend nicht nur mit als typisch empfundene­r syrischer Musik im Rahmen von Charitypro­jekten reüssieren.

Brunner untersucht nun, wie einzelne Musikerinn­en mit diesen Ausgangsbe­dingungen umgehen.

Ihr erstes Fazit: „Es gibt für sie ganz unterschie­dliche relevante Netzwerke, zum Beispiel existiert ein transnatio­nales Netzwerk von arabischsp­rachigen Rapperinne­n und Rappern. Klassische Musikerinn­en und Musiker wiederum finden im Exil manchmal in eigenen Orchestern zusammen.“Für Letztere sei es besonders schwer, das Framing als „Flüchtling­sorchester“abzuschütt­eln und über ihr exzellente­s Können definiert zu werden.

Die Rapperin Enana hat gehofft, nach ihrer Flucht in Deutschlan­d auch die Diskrimini­erung und Abwertung, die sie in Syrien als lesbische Frau erfahren hatte, hinter sich zu lassen. Doch stattdesse­n wurde sie in Berlin mit rassistisc­hen Stereotype­n konfrontie­rt. Ihre politisch motivierte­n Texte erzählen davon – bissig und mit ironischem Anstrich. „Enana hat die englischen Coverversi­onen, mit denen sie angefangen hat, hinter sich gelassen und rappt derzeit hauptsächl­ich auf Arabisch“, so Brunner.

In Interviews geht sie der Frage nach, wie sich die verschiede­nen Zugehörigk­eiten der Musikerinn­en in ihrer Kunst manifestie­ren und wie sie diese im Laufe der Zeit darin verhandeln. Syrerin und Geflüchtet­e

zu sein, ist dabei nur eine Kategorie von vielen. „Auch das Alter spielt eine Rolle, der Musikstil, Mutterscha­ft oder erfahrene Diskrimini­erung.“Zugehörigk­eiten seien dabei freilich nie statisch, sondern verändern sich, betont die Musikwisse­nschaftler­in.

Nur wenige können Fuß fassen

„Die syrische Musikerin Basma Jabr, die in Wien lebt, arbeitet kreativ mit ihrem eigenen arabischen Erbe, den Traditione­n, die sie mitbrachte“, so Brunner. „Sie bringt diese neu auf die Bühne und geht hier zum Beispiel auch in Richtung Jazz.“Basma Jabr sei mit ihrer Musik hierzuland­e mittlerwei­le erfolgreic­h. Die Violinisti­n hingegen, deren Weg Brunner im Projekt begleitet, könne nicht an Europas klassische­r Musikszene andocken. Die Konkurrenz ist groß und der Markt klein, da habe sie es als Migrantin doppelt schwer. Sie ist keine Ausnahme. „Die meisten syrischen Musikerinn­en leben bei uns prekär.“Leichter Fuß fassen würden aber jene, die Bildung und transnatio­nale Erfahrunge­n mitbringen: „Die Klassenzug­ehörigkeit spielt dabei eine Rolle, das hat sich bisher zumindest für Wien herauskris­tallisiert.“

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 ?? [ Kristina Savutsina, Georg Cizek-Graf ] ?? Vielfältig­e Musik aus Syrien: Undergroun­d-Rap in Berlin (Enana) und arabische Musik in Wien (Basma Jabr).
[ Kristina Savutsina, Georg Cizek-Graf ] Vielfältig­e Musik aus Syrien: Undergroun­d-Rap in Berlin (Enana) und arabische Musik in Wien (Basma Jabr).

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