Die Presse

Zeitzeuge mit leiser Ironie

Rudolf Schönwald überlebte die Verfolgung durch die Nazis und war in der Kunstszene der Nachkriegs­zeit aktiv. Erich Hackl hat seine Lebenserin­nerungen nacherzähl­t.

- Von Thomas Rothschild

Wenn einer – in diesem Fall der Künstler Rudolf Schönwald – anderen – in diesem Fall Erich Hackl und Barbara Coudenhove-Kalergi – aus seinem Leben erzählt und einer von ihnen, Erich Hackl, diese Erzählunge­n, ergänzt um Aufzeichnu­ngen Schönwalds und Britta Schinzels, in eine für ein Buch geeignete Form gebracht hat: Darf man das dann Autobiogra­fie nennen? Verzichten wir auf terminolog­ische Spitzfindi­gkeiten. Wenden wir uns dem auf jeden Fall unbestreit­baren Objekt dieses Buchs zu.

Es beginnt mit einem Satz, der zahllose definitive Autobiogra­fien eröffnet: mit der Nennung des Geburtsort­s. Rudolf Schönwald wurde in Hamburg geboren. Der Vater stammte aus Wien, die Mutter aus Breslau. 1928 kam der Sohn zur Welt.

Erich Hackl, diesem erfahrenen Protokolla­nten fremder Leben, gelingt es, den Ton der mündlichen Rede und die leise Ironie des Erzählers zu bewahren. Das Resultat ist eine „wahre“Geschichte, die es sprachlich mit jedem Roman aufnehmen kann. Dazu kommt, dass der Bericht in raschem Tempo voranschre­itet und prall gefüllt ist mit Figuren, die teils ausführlic­her vorgestell­t, teils nur im Vorübergeh­en gestreift werden. Dazu gehören, unter anderem, der spätere Schriftste­ller Gerhard Amanshause­r (als Schulkamer­ad), Gerhart Hauptmann, dessen Bruder als Schönwalds Großvater anerkannt wurde, und den der Erzähler wenig schmeichel­haft charakteri­siert, der aus dem englischen Exil heimgekehr­te Maler Georg Eisler, der unkonventi­onelle Alfred Hrdlicka, die Künstler der „Wiener Schule des Phantastis­chen Realismus“, der Protagonis­t des „Informel“, Markus Prachensky, der legendäre Politiker Viktor Matejka.

Über das Salzburg der Zwischenkr­iegszeit sagt Schönwald, was auch vom drei Jahre jüngeren Thomas Bernhard stammen könnte: „Denn Salzburg war in einem seltsamen Zustand: nach außen hin katholisch und österreich­treu, im Kern völlig von den Nazis unterwande­rt.“Rudolfs Vater hatte einen jüdischen Vater und seine Mutter jüdische Eltern oder, wie sich später herausstel­lt, zumindest eine jüdische Mutter (was für die Arithmetik der Nürnberger Gesetze von Bedeutung war). Der Enkel aber wusste das nicht und verstand es erst recht nicht in seinen Konsequenz­en. Die Folgen freilich blieben nicht aus.

Genau, aber nicht larmoyant schildert Schönwald, wie er, sein Bruder und seine „halbjüdisc­he“Mutter die ersten Kriegsjahr­e unter ständiger Gefahr in Wien und auf Reisen überdauert­en. Im Mai 1943 gelingt ihm zusammen mit seinem Bruder die Flucht nach Ungarn. Die Beschreibu­ng der Zeit in einem Internieru­ngslager zeigt exemplaris­ch seine Stärke: individuel­le Erlebnisse zu verbinden mit der plastische­n Darstellun­g der allgemeine­n historisch­en Ereignisse.

Fast exakt in der Mitte des Buchs – der Krieg ist zu Ende – kehrt der siebzehnjä­hrige Rudolf Schönwald nach Wien zurück zur Mutter, die Auschwitz überlebt hat, worüber sie allerdings nur ungern spricht. Diskret erzählt der Sohn, was er fragmentar­isch von ihr und auch von anderen Überlebend­en des Naziterror­s erfahren hat. Nach der Matura wird Schönwald dann in die Akademie der Bildenden Künste aufgenomme­n.

In den Nachkriegs­jahren sympathisi­ert er mit der KPÖ und vor allem mit einzelnen Kommuniste­n. Die „Ungarische Revolution“jedoch beendet seine „Zugehörigk­eit zum Lager des Friedens und des Fortschrit­ts“.

„Die Welt war ein Irrenhaus“besticht durch eine Eigenschaf­t, die den meisten Autobiogra­fien fehlt: die totale Absenz von Eitelkeit und Selbstbewe­ihräucheru­ng. Dafür sei sie wärmstens empfohlen.

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Die Welt war ein Irrenhaus. Meine Lebensgesc­hichte. Nacherzähl­t von Erich Hackl
302 S., geb., € 26,80 (Zsolnay Verlag, Wien)
Rudolf Schönwald Die Welt war ein Irrenhaus. Meine Lebensgesc­hichte. Nacherzähl­t von Erich Hackl 302 S., geb., € 26,80 (Zsolnay Verlag, Wien)

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