Zeitzeuge mit leiser Ironie
Rudolf Schönwald überlebte die Verfolgung durch die Nazis und war in der Kunstszene der Nachkriegszeit aktiv. Erich Hackl hat seine Lebenserinnerungen nacherzählt.
Wenn einer – in diesem Fall der Künstler Rudolf Schönwald – anderen – in diesem Fall Erich Hackl und Barbara Coudenhove-Kalergi – aus seinem Leben erzählt und einer von ihnen, Erich Hackl, diese Erzählungen, ergänzt um Aufzeichnungen Schönwalds und Britta Schinzels, in eine für ein Buch geeignete Form gebracht hat: Darf man das dann Autobiografie nennen? Verzichten wir auf terminologische Spitzfindigkeiten. Wenden wir uns dem auf jeden Fall unbestreitbaren Objekt dieses Buchs zu.
Es beginnt mit einem Satz, der zahllose definitive Autobiografien eröffnet: mit der Nennung des Geburtsorts. Rudolf Schönwald wurde in Hamburg geboren. Der Vater stammte aus Wien, die Mutter aus Breslau. 1928 kam der Sohn zur Welt.
Erich Hackl, diesem erfahrenen Protokollanten fremder Leben, gelingt es, den Ton der mündlichen Rede und die leise Ironie des Erzählers zu bewahren. Das Resultat ist eine „wahre“Geschichte, die es sprachlich mit jedem Roman aufnehmen kann. Dazu kommt, dass der Bericht in raschem Tempo voranschreitet und prall gefüllt ist mit Figuren, die teils ausführlicher vorgestellt, teils nur im Vorübergehen gestreift werden. Dazu gehören, unter anderem, der spätere Schriftsteller Gerhard Amanshauser (als Schulkamerad), Gerhart Hauptmann, dessen Bruder als Schönwalds Großvater anerkannt wurde, und den der Erzähler wenig schmeichelhaft charakterisiert, der aus dem englischen Exil heimgekehrte Maler Georg Eisler, der unkonventionelle Alfred Hrdlicka, die Künstler der „Wiener Schule des Phantastischen Realismus“, der Protagonist des „Informel“, Markus Prachensky, der legendäre Politiker Viktor Matejka.
Über das Salzburg der Zwischenkriegszeit sagt Schönwald, was auch vom drei Jahre jüngeren Thomas Bernhard stammen könnte: „Denn Salzburg war in einem seltsamen Zustand: nach außen hin katholisch und österreichtreu, im Kern völlig von den Nazis unterwandert.“Rudolfs Vater hatte einen jüdischen Vater und seine Mutter jüdische Eltern oder, wie sich später herausstellt, zumindest eine jüdische Mutter (was für die Arithmetik der Nürnberger Gesetze von Bedeutung war). Der Enkel aber wusste das nicht und verstand es erst recht nicht in seinen Konsequenzen. Die Folgen freilich blieben nicht aus.
Genau, aber nicht larmoyant schildert Schönwald, wie er, sein Bruder und seine „halbjüdische“Mutter die ersten Kriegsjahre unter ständiger Gefahr in Wien und auf Reisen überdauerten. Im Mai 1943 gelingt ihm zusammen mit seinem Bruder die Flucht nach Ungarn. Die Beschreibung der Zeit in einem Internierungslager zeigt exemplarisch seine Stärke: individuelle Erlebnisse zu verbinden mit der plastischen Darstellung der allgemeinen historischen Ereignisse.
Fast exakt in der Mitte des Buchs – der Krieg ist zu Ende – kehrt der siebzehnjährige Rudolf Schönwald nach Wien zurück zur Mutter, die Auschwitz überlebt hat, worüber sie allerdings nur ungern spricht. Diskret erzählt der Sohn, was er fragmentarisch von ihr und auch von anderen Überlebenden des Naziterrors erfahren hat. Nach der Matura wird Schönwald dann in die Akademie der Bildenden Künste aufgenommen.
In den Nachkriegsjahren sympathisiert er mit der KPÖ und vor allem mit einzelnen Kommunisten. Die „Ungarische Revolution“jedoch beendet seine „Zugehörigkeit zum Lager des Friedens und des Fortschritts“.
„Die Welt war ein Irrenhaus“besticht durch eine Eigenschaft, die den meisten Autobiografien fehlt: die totale Absenz von Eitelkeit und Selbstbeweihräucherung. Dafür sei sie wärmstens empfohlen.