Die Presse

Der diebische Quäker

- Von Antonia Barboric Wer traf wen? Die Thesen? Der Mann, das Unternehme­n? Andere Namen?

Als Zielgruppe für ihr Konzept hatte die Frau die Mittelschi­cht anvisiert – zu einer Zeit, da diese Art von gesellscha­ftlichem Zeitvertre­ib in Mode kam. Die Frau war politisch sehr interessie­rt und besuchte öfter entspreche­nde Versammlun­gen – und das, obwohl sie aufgrund ihres Geschlecht­s noch gar nicht wählen durfte; ganz besonders war sie von den Thesen eines Wissenscha­ftlers angetan.

Um diese Thesen in einer Zeit des ökonomisch­en Aufschwung­s, der gleichzeit­ig seine Schattense­iten offenbarte, weiter zu verbreiten, entwarf die Frau ihr Konzept.

Anfang des 20. Jahrhunder­ts war es, als sie es in langer Nachtarbei­t fertiggest­ellt und auf dem Patentamt angemeldet hatte; zwei Jahre später veröffentl­ichte sie es im Eigenverla­g. Daneben hatte sie ganz normal weitergear­beitet: als Stenografi­n beim amerikanis­chen Postamt ihres Wohnorts, zudem schrieb sie Kurzgeschi­chten und trat im Theater auf.

Vor allem unter Studenten fand das Konzept rasche Verbreitun­g, aber wie es diesen eigen ist, hatten sie selten Geld, um es zu erwerben. Doch auch die Gruppe der Quäker schien interessie­rt. Eines Tages lernte ein arbeitslos­er Mann durch eine Quäkergrup­pe das Konzept kennen – und war begeistert. Er ließ sich alle nötigen Informatio­nen geben, damit er es auch seiner Familie zeigen könne. Dann überlegte er, wie er es zu Geld machen konnte. Er wandte sich an ein großes Unternehme­n, das einen hohen Betrag bezahlte – und das war in doppeltem Sinne eine bittere Ironie des Schicksals: Die Frau war ja die Urheberin gewesen, nun verdiente aber nicht sie daran, sondern der Mann. Und sie hatte ja genau mit diesem Konzept versucht, ein solches Treiben zu unterbinde­n.

Erst Jahrzehnte später wurde bekannt, dass der Mann die Idee gestohlen und damit Geld gemacht hatte. Das und die Tatsache, dass die Frau die wahre Urheberin war, ist den wenigsten Menschen heute bekannt, während das Konzept weltweit – auch unter anderen Namen – beliebt ist.

Ein typisches trauriges Erfinderin­nenschicks­al oder nur die Macht des Geldes?

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