Die Presse

Unabhängig­keit. Menschenre­chtsgerich­tshof ermöglicht Verfahrens­parteien, politische Besetzunge­n zu thematisie­ren, warnte ein Höchstrich­ter am Rand einer Richtertag­ung.

- VON BENEDIKT KOMMENDA

Klagenfurt. Postenscha­cher in der Gerichtsba­rkeit, auf den zuletzt öffentlich gewordene Chats hindeutete­n, schadet nicht nur dem Ansehen der Justiz. Er kann auch auf Verfahren vor politisch ausgewählt­en Richtern durchschla­gen: Die Parteien (der Verfahren, nicht der Politik) könnten berechtigt sein, die Gerichtsqu­alität des Entscheidu­ngsorgans infrage zu stellen, verurteilt­e Täter gar die Erneuerung des Verfahrens beantragen.

EGMR-Urteil mit Sprengkraf­t

Darauf wies am Rande des 27. Maiforums der Verwaltung­srichterVe­reinigung vorige Woche in Klagenfurt Markus Thoma, Senatspräs­ident am VwGH, im Gespräch mit der „Presse“hin. Thoma, der auch Vertreter Österreich­s im Beratenden Ausschuss Europ äischer Richter ist, verweist auf die Judikatur des Europäisch­en Gerichtsho­fs für Menschenre­chte (EGMR) in Straßburg, die in Österreich noch zu wenig bekannt sei.

Im Fall Guðmundur Andri tr ðsson hatte die Gro ße Kammer 2020 eine Verletzung des Art 6 der Europäisch­en Menschenre­chtskonven­tion – Recht auf faires Verfahren – festgestel­lt. Ein Straftäter (Drogenlenk­er) war von einem nicht nach dem Gesetz und in ausreichen­der Unabhängig­keit besetzten Gericht verurteilt worden. Das Gleiche könnte von einem Richter oder einer Richterin in Österreich gesagt werden, der oder die nicht aufgrund der Qualifikat­ion, sondern aus politische­r Räson bestellt oder befördert wurde. Die Folgen könnten von der Feststellu­ng eines Verstoßes gegen die Menschenre­chte über die Zuerkennun­g einer Entschädig­ung bis – im Fall von Strafurtei­len – zu einer Wiederholu­ng des Verfahrens reichen.

Möglichen Postenscha­cher aufzugreif­en ist damit jedenfalls auch in die Hände von Verfahrens­parteien gegeben, meint Thoma. Die Tagung der Verwaltung­srichter war überhaupt vom Thema der richterlic­hen Unabhängig­keit dominiert – vor allem, aber ni cht nur jener an den Verwaltung­sgerichten. Thoma bedauerte in seinem Vortrag, dass Österreich noch weit entfernt sei von einer richterlic­hen Selbstverw­altung durch einen Justizrat. Ein solcher könnte der Exekutive eine bindende Vorauswahl für Ernennunge­n und Beförderun­gen liefern und ist in Europa gang und gäbe. Ausnahmen bilden neben Österreich nur Deutschlan­d und Tschechien.

David Kosarˇ, der an der Brünner Masaryk-Universitä­t über die Justizverw­altungen der EU forscht, erläuterte, dass die Einrichtun­g eines Justizrats allein noch keine Gewähr für eine politikfre­ie Besetzungs­praxis bietet, worauf es ankommt, ist auch die Rechts- und politische Kultur im Land. Und vor allem: die innere Unabhängig­keit der handelnden Organe.

Pinter ist neue Vorsitzend­e

An der Spitze der Standesver­tretung der Verwaltung­srichter ist es indessen zu einem Generation­enwechsel gekommen: Claudia

Pinter vom Landesverw­altungsger­icht Kärnten löst Siegfried Königshofe­r (Verwaltung­sgericht Wien) ab, der schon Jahrzehnte als Standesver­treter tätig und seit 2015 Vorsitzend­er der Verwaltung­srichter-Vereinigun­g war.

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