Die Presse

Warum ist ausgerechn­et die Leberwurst beleidigt?

Reden wir über ein Organ, das sich so häufig in seinen Gefühlen verletzt sieht. Und über Wurst.

- VON ERICH KOCINA E-Mails an: erich.kocina@diepresse.com

Für diese Redensart werden wir beneidet. Die „offended liverwurst“war in den vergangene­n Tagen häufig in englischsp­rachigen Portalen zu finden, gemünzt auf Olaf Scholz – der deutsche Bundeskanz­ler wurde vom ukrainisch­en Botschafte­r als beleidigte Leberwurst bezeichnet. Weil dieser nämlich nicht nach Kiew reisen wollte, da die Ukraine den deutschen Bundespräs­identen, Frank-Walter Steinmeier, ausgeladen hatte. Eine „salsiccia di fegato offesa“, wie italienisc­he Medien berichtete­n, eine „saucisse de foie offensée“in der französisc­hen Berichters­tattung oder „loukkaantu­nut maksamakka­ra“in Finnland – wobei immer erklärt werden musste, was die Redewendun­g überhaupt bedeutet.

Aber wissen wir eigentlich, warum ausgerechn­et die Leberwurst sich so häufig in ihren Gefühlen verletzt sieht? Nun, das hat wohl damit zu tun, dass die Leber in der Säftelehre als Sitz der gelben Galle galt, das Organ wurde als so etwas wie der Sitz des Zornes betrachtet. Daher rührt auch die Redensart, dass man etwas frei von der Leber weg sagt – also seinen Ärger herausrede­t und damit die Leber von der aufgespeic­herten Galle erleichter­t. Die Leber ließ sich auch als Sitz des Gewissens deuten, wenn jemand etwas auf der Leber hat, die Person also eine Schuld drückt. Daraus entwickelt­e sich mit der Zeit die spottende Redewendun­g, dass jemand die gekränkte Leberwurst spielt. Wobei die Wurst wohl erst später dazukam, als die angebliche Bedeutung der Leber in Vergessenh­eit geriet. Im Nachhinein wurde auch eine volksetymo­logische Erzählung gefunden, die die Entstehung erklären soll. Weil nämlich die Blutwurst vor ihr aus dem Wurstkesse­l geholt wurde, sei die Leberwurst aus Ärger vor ihrer Zurücksetz­ung geplatzt.

Übrigens, falls Sie sich von dieser Kolumne beleidigt fühlen: Es ist mir wurst, und das ganz ohne Leber. Aber das ist wieder eine ganz andere Geschichte . . .

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