Die nächsten Türkisen treten ab
Zuerst ging Tourismusministerin Elisabeth Köstinger, dann Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck. Kanzler Karl Nehammer stellt sein neues Team vor dem Bundesparteitag auf.
Wien. Von Sebastian Kurz’ Ära ist nur noch wenig übrig. Zumindest personell. Nach seinem Rücktritt Anfang Dezember ging am selben Tag sein Intimus Ex-Finanzminister Gernot Blümel. Kurz darauf folgte auch noch Bildungsminister Heinz Faßmann. Am Montag gab eine weitere Vertraute ihren Rückzug bekannt: Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger. Das brachte einen Stein ins Rollen: Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck, die schon länger als Ablösekandidatin gehandelt worden war, verkündete Stunden später ihren Abgang.
Kanzler Karl Nehammer hat so vor dem ÖVP-Bundesparteitag am Samstag reinen Tisch. Sein neues Team soll Mitte dieser Woche stehen, um es am Wochenende in Graz zu präsentieren. Der parteiinterne Basar war am Montag damit eröffnet, einen fixfertigen Plan scheint es nicht zu geben.
Köstingers Abschied
Elisabeth Köstinger war Pionierin von Sebastian Kurz’ Idee seiner türkisen ÖVP. Als dieser Ende vergangenen Jahres aus der Politik schied, wollte sie mit ihm gehen. Auch aus einigen Ländern kam die Forderung einer Ablöse. Köstinger polarisiert, selbst der Bauernbund – ihre politische Heimat – war zunehmend unzufrieden. Karl Nehammer bat Köstinger aber zu bleiben. Nach Kurz’ Abgang hatte er schon genug personelle Baustellen zu sanieren. Köstinger soll sich daraufhin zum Ziel gesetzt haben, noch zwei Großprojekte in die Zielgerade zu bringen: erstens die Einigung zur Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) auf EU-Ebene, die sich um nachhaltige, umweltschonende Landwirtschaft dreht. Zweitens die verpflichtende Herkunftsbezeichnung von Lebensmitteln. Beides ist nun weitgehend erledigt.
Dass sie gehen werde, soll Köstinger schon vor Wochen im engsten Kreis angekündigt haben. Der Zeitpunkt wurde ihr freigestellt – man bat aber darum, dies vor dem Parteitag zu tun. Am Montag verkündete Köstinger dann – sichtlich gelöst – ihre Entscheidung, der Kanzler hatte erst kurz vor neun Uhr in der Früh davon erfahren. Ganz aus der Politik verschwinden lässt man sie aber noch nicht. Sie und ihre Mitarbeiter stehen auf der Ladungsliste des parlamentarischen U-Ausschusses. Ende Juni müssen sie aussagen. Die Opposition hat sich schon in die Akten eingearbeitet: Es geht um hinterfragenswerte Posten-, Inseraten- und Auftragsvergaben des Ressorts und seiner Töchterunternehmungen. Nach „Presse“-Informationen gingen auch dementsprechende Sachverhaltsdarstellungen bei der Justiz ein.
Schramböcks Abgang
Auch gegen Margarete Schramböck werden nach Anzeigen verschiedene Sachverhalte geprüft. Das Wirtschaftsressort hat bereits ein ausführliches Amtshilfeersuchen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) bekommen. Es geht auch hier um Auftrags-, Inseraten- und vor allem Studienvergaben.
Margarete Schramböck hatte Sitzfleisch. Sie wurde seit Monaten als Ablösekandidatin gehandelt. Extern ließ sie kein Fettnäpfchen aus (Stichwort Kaufhaus Austria, SwiftÜberweisungen per Erlagschein oder die Digitalagentur). Parteiintern hatte sie keine Hausmacht und tat auch wenig dafür, diese aufzubauen. Selbst der Rückhalt ihres Tiroler Landeshauptmanns, Günther Platter, war bald dahin. Er suchte nach Kurz’ Abgang
schon einmal eine Ersatzkandidatin, wurde aber so schnell nicht fündig. Wirtschaftsbund, -kammer und Industriellenvereinigung können mit ihr wenig anfangen. Und auch im eigenen Haus hat sie kaum Fans.
Köstingers Entscheidung war ein letztes Geschenk für Karl Nehammer: Sie gab ihm die legitime Gelegenheit, rechtzeitig vor dem Parteitag eine größere Personalrochade vorzunehmen. Aus Regierungskreisen heißt es, man habe Schramböck freigestellt, ihren Abgang persönlich zu verkünden. Das tat sie dann am Nachmittag via SocialMedia-Video. Sie zählte darin ihre Taten auf, dankte Sebastian Kurz, nannte aber keinen Grund für den Rücktritt.
Nehammers Spielraum
Die Abgänge eröffnen dem Kanzler Spielraum zur Neupositionierung. Vor Mitte der Woche werden wohl keine finalen Entscheidungen zu Ressortverteilung und Personal verlautbart werden, heißt es aus Regierungskreisen. Wie die Aufgaben verteilt werden, hänge auch von den neuen Regierungsmitgliedern ab. Nach „Presse“-Informationen gilt es aber als sehr wahrscheinlich, dass das Landwirtschaftsressort wieder auf die Agrar-Agenden reduziert wird. Das Ressort wird höchstwahrscheinlich vom mächtigen ÖVP-Bundesland Tirol besetzt werden, da sonst gar keine Tiroler mehr in wichtigen Bundesfunktionen wären. Und die Landwirtschaft dort ein wichtiges Thema ist. Norbert Totschnig (Osttiroler und Direktor des Bauernbunds) sowie der Tiroler Landwirtschaftskammer-Chef, Nationalratsabgeordneter Josef Hechenberger, werden als Kandidaten genannt. Das hat nur einen Haken: Eine Frau würde dann durch einen Mann ersetzt – allerdings mehren sich in der ÖVP die Stimmen, die strikte Quote aufzuweichen. Die steirische ÖVP will mitmischen und bringt sich mit einer Kandidatin in Stellung: Die EU-Abgeordnete Simone Schmiedtbauer entstammt dem Bauernbund. Sollte sie in den Bund gehen, dürfte der Ex-ORF-Moderator Wolfram Pirchner auf EU-Ebene nachrücken.
Die übrigen Agenden des KöstingerMinisteriums sollen aufgeteilt werden. Es gilt als wahrscheinlich, dass der Tourismus zur Wirtschaft wandern wird. Als Kandidat für Schramböcks ehemaliges Ressort wird vor allem Arbeitsminister Martin Kocher genannt. Ihn aufzuwerten wäre auch naheliegend: Fachlich passt das Wirtschaftsressort zu ihm, seine Beliebtheitswerte sind gut, die Bilanz seiner Arbeitsmarktpolitik zumindest gemessen an Arbeitslosenzahlen ebenfalls. Arbeit und Wirtschaft könnten zusammengelegt werden – allerdings ist fraglich, ob die Grünen dem zustimmen würden. Da eine Neuaufteilung der Agenden einer Änderung des Ministeriengesetzes bedarf, bedeutet das auch koalitionsinterne Verhandlungen. Die Grünen werden sich ihre Zustimmung abkaufen lassen.
Sofern man der ÖVP-Gerüchteküche Glauben schenken möchte, könnten also vermutlich zwei Männer zwei Frauen ersetzen. Dafür soll eine andere ÖVP-Regierungspolitikerin aufgewertet werden. Parteiintern ist man von der Arbeit der Jugendstaatssekretärin Claudia Plakolm durchaus angetan. Sie gilt als interessiert, fachlich versiert und äußerst fleißig. Man könnte sie von der Staatssekretärin zur Ministerin aufwerten, indem man ihr neue Agenden zuweist – und dafür an anderer Stelle eine neue Staatssekretärin einsetzt.