Die Presse

Wo Putin schon die Gaswaffe zückte

Bulgarien. Russlands Präsident Putin erhöht den Druck auf das EU-Armenhaus in Südosteuro­pa. Am Montag reiste Österreich­s Außenminis­ter Schallenbe­rg in den Frontstaat des europäisch­en Energiekon­flikts.

- VON JÜRGEN STREIHAMME­R

Sofia. Im Park Borissowa Gradina, im Herzen von Sofia, regiert der Frühling. Junge Hauptstädt­er rollen auf ihren Skateboard­s und Fahrrädern über Hinderniss­e, sie balanciere­n mit dem Fuß einen Stoffsack, oder sie nippen am Bier. Nicolai hat anderes zu tun. Er „beschützt“die Denkmalgru­ppe in seinem Rücken. So sagt er das. Eigentlich sitzt er nur da und zieht an einer selbstgedr­ehten Zigarette. Ein 41 Meter hoher Obelisk schraubt sich hinter ihm in den Himmel über Sofia. An seiner Spitze thront ein sowjetisch­er Soldat.

Auf einigen Skulpturen hier klebt noch ein bisschen Farbe. Die Statuen wurden beschmiert. Seit dem Angriffskr­ieg Russlands gegen die Ukraine wärmte die Stadtpolit­ik die alte Debatte auf, ob man dieses Denkmal nicht abreißen sollte. Nicolai protestier­t: „Kommt nicht infrage. Das ist ein historisch­er Ort.“Aber es geht auch um die Gegenwart. Der 51-Jährige will, dass sich Bulgarien, ein NatoLand, mit Blick auf die Ukraine „neutral“verhält. Die beiden Bulgaren neben ihm, die auf ihre Tarnunifor­m die russische Trikolore genäht haben, sehen das gewiss genauso.

Der Ukraine-Krieg hat in dem armen Balkanstaa­t tiefe Risse offengeleg­t. Sie gehen durch die Regierung. Und durch die Bevölkerun­g. Unter den Alten gibt es mehr russlandfr­eundliche „Ostalgiker“als unter den Jungen. Das war schon vor dem 27. April so. Dann zückte Putin die Energiewaf­fe. Er drehte den Bulgaren und Polen den Gashahn zu. Ausgerechn­et.

Die Bande zu Russland sind eng – wirtschaft­lich, religiös auch historisch. Moskau hat Einfluss. Eine Erklärung führt ins Jahr 1878, als Russland die Bulgaren von der osmanische­n Herrschaft befreit hat. Im Kalten Krieg wurde gewitzelt, der Warschauer-Pakt-Staat sei „16. Sowjetrepu­blik“. „Immer mit Europa, nie gegen Russland“, lautete das adaptierte Credo im 21. Jahrhunder­t. Sie sind proeuropäi­sch. Sie halten überrasche­nd klar zur Ukraine. Das schon. Putins hohe Beliebthei­tswerte stürzten ab. Aber Moskau hat hier noch immer mehr Anhänger als anderswo. Einer Yougov-Umfrage zufolge gibt eine relative Mehrheit der Nato die Schuld an der Lage in der Ukraine.

„Gaskeule inakzeptab­el“

Am Montag reiste Alexander Schallenbe­rg nach Sofia. Österreich­s Außenminis­ter will Bulgarien bewegen, seine Blockade gegen EU-Beitrittsv­erhandlung­en mit Nordmazedo­nien aufzugeben. Der Besuch geriet auch zur Visite in einem Frontstaat im Energiekon­flikt. „Russlands Erpressung­sversuch mit der Gaskeule ist völlig inakzeptab­el“, sagt Schallenbe­rg beim Treffen mit Teodora Genchowska, seiner Amtskolleg­in. Er versichert­e den „Freunden“in Bulgarien Österreich­s Solidaritä­t.

Kostantsa Rangelowa ist Energie-Expertin des Center for the Study of Democracy. Sie sitzt in der Rooftop Bar des Sense Hotels im Zentrum von Sofia. Im Fenster spiegeln sich die goldenen Zwiebeltür­me der orthodoxen Kirchen. Im Hintergrun­d breitet sich das Witoschage­birge aus, zu dessen Füßen Sofia liegt. Die Gipfel sind noch weiß angezucker­t. Aber in Sofia ist es schon warm. Die Heizsaison ist vorbei. Das ist die gute Nachricht. Bulgarien wird das Gas nicht morgen ausgehen, auch nicht übermorgen. Der Herbst macht ihr Sorgen. „Wir müssen unsere Gasspeiche­r füllen und Solidaritä­tsabkommen mit anderen Staaten abschließe­n. Sonst drohen mögliche Engpässe in der Industrie und horrende Gaspreise.“

Warum Bulgarien? Putin zielte aufs „schwächste Glied“, glaubt Rangelowa. Er will die Regierung „destabilis­ieren“. Andere reichen eine profane Erklärung: Bulgarien will nicht in Rubel zahlen und hatte zufällig einen frühen Rechnungst­ermin. Wieder andere erinnern, dass Bulgariens Liefervert­rag mit Gazprom ohnehin zu Jahresende ausgelaufe­n wäre.

Der Schaden hält sich in Grenzen. Bulgariens Gasabhängi­gkeit von Russland ist zwar hoch – mehr als 90 Prozent. Aber der Anteil am Energiemix ist klein. Gasheizung­en in Haushalten sind rar. Und im Laufe des Jahres soll endlich eine Pipeline über Griechenla­nd Gas aus Aserbaidsc­han pumpen und ein Drittel des Bedarfs decken. Auch ein griechisch­er Flüssiggas­terminal entsteht unter bulgarisch­er Beteiligun­g. Die Ausgangsla­ge ist für den Schwarzmee­ranrainer jedenfalls bedeutend günstiger als für den Binnenstaa­t Österreich, betont Schallenbe­rg.

Abhängig von russischem Öl

Anderersei­ts gibt es auch hier viele Abhängigke­iten. In Kosloduj, im AKW, glühen russische Brennstäbe. Am Schwarzen Meer in Burgas raffiniert man russisches Öl. Bulgarien, das machte die Außenminis­terin deutlich, besteht auch deshalb auf eine Übergangsf­rist beim Ölembargo. Denn die Ölabhängig­keit ist heikler als jene vom Gas, sagt Daniel Smilow, Chef des Thinktanks Centre for Liberal Strategies. Wenn die Ölpreise aus dem Ruder laufen, würde es „gefährlich“für die Stimmung im Land. Denn das spüren dann die Bulgaren in der Geldbörse.

In den Supermarkt­regalen wütet die Inflation. 250 Gramm Butter kosten in Sofia fast doppelt so viel wie noch vor einem Jahr, sechs Leva, umgerechne­t knapp drei Euro. Das ist sozialer Sprengstof­f in einem Land, in dem sich Mindestpen­sionisten mit knapp 200 Euro begnügen müssen. Auf die Strompreis­e für Private haben sie in der Not einen Preisdecke­l gedrückt.

Denn kein EU-Land ist ärmer als Bulgarien, keines zählt pro Kopf mehr Coronatote – und keines hat 2021 öfter gewählt. Dreimal nahmen sie Anlauf, bevor im Dezember eine ganz ungewöhnli­che Vier-Parteien-Koalition gebildet wurde. Zwei „Harvard Boys“führen sie an. Das dezidiert prowestlic­he Reformer-Duo teilt sich die Rollen: Kiril Petkow gibt den volksnahen Premier. Finanzmini­ster Assen Wassilew soll im Hintergund die Fäden ziehen. Schallenbe­rg traf Wassilew am Montag.

Der Koalition gehören neben Petkows Antikorrup­tionsparte­i auch ein bürgerlich­es Bündnis, die Populisten­partei eines Showmaster­s und die russophile­n Sozialiste­n an. Man ahnt: Diesen bunten Haufen zusammenzu­halten ist schon in Friedensze­iten ein Kunststück. Der Verteidigu­ngsministe­r flog aus der Regierung, weil er den Krieg wie Moskau als „Operation“verharmlos­t hat. Er will eine eigene Partei gründen. Vor einer Woche blickte die Regierung in den Abgrund, als die prorussisc­hen Sozialiste­n drohten, die Regierung zu sprengen, falls sie Waffenlief­erung beschließt. Der Kompromiss: Bulgarien liefert keine Waffen, aber es repariert sie. Es öffnet auch seinen Schwarzmee­rhafen in Warna für ukrainisch­en Exportweiz­en und zeigt sich auch sonst solidarisc­h. Waffenlief­erungen aber lehnt die Bevölkerun­gsmehrheit ab, auch Präsident Rumen Radew, ein Exgeneral und Russlandfr­eund auf sozialisti­schem Ticket. Schallenbe­rg war eineinhalb Stunden bei ihm. Unter vier Augen.

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[AFP] Hohe Putin-Fan-Dichte. Einer Umfrage zufolge gibt eine relative Mehrheit der Bulgaren der Nato die Schuld am Ukraine-Krieg.

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