Die Presse

Leidet die SPD unter „Scholz-Effekt“?

Deutschlan­d. Die Sozialdemo­kraten bekommen vor der wichtigste­n Wahl des Jahres einen Dämpfer. Die Debatte um seinen Führungsst­il klebt am Bundeskanz­ler.

- V on unserem Korrespond­enten CHRISTOPH ZOTTER

Berlin. Seit einigen Tagen macht in der Politszene der deutschen Hauptstadt ein Gerücht die Runde. Wenn am Montagaben­d der französisc­he Präsident zu Besuch kommt, könnte es so weit sein. Zusammen mit Emmanuel Macron könnte der deutsche Bundeskanz­ler, Olaf Scholz (SPD), eine Reise ankündigen, auf die viele schon seit Wochen drängen. Das Ziel: Kiew, die ukrainisch­e Hauptstadt.

Zu Redaktions­schluss war noch unklar, ob die Reise zustande kommt. Fest steht: Olaf Scholz könnte einen Befreiungs­schlag gut gebrauchen. Der deutsche Kanzler steckt in einem hartnäckig­en Beliebthei­tstief, er wird von allen Seiten kritisiert. Den einen liefert er zu wenig Waffen in die Ukraine, den anderen zu viele.

Dass er mehr als zwei Monate nach Kriegsbegi­nn noch immer nicht nach Kiew gefahren ist, gilt als Beleg für seine zaudernde Art. Opposition­sführer Friedrich Merz (CDU) war unlängst in Kiew, am Wochenende reiste Bundestags­präsidenti­n Bärbel Bas (SPD) an. Auch die grüne Außenminis­terin, Annalena Baerbock, soll zu einem Besuch in die Ukraine aufbrechen.

Rede zur Lage der Nation

Zur Kritik an Scholz’ Stil kommt eine krachende Wahlnieder­lage im nördlichst­en Bundesland, Schleswig-Holstein: Minus elf Prozentpun­kte, mit 16 Prozent der Stimmen nur der dritte Platz hinter der CDU und den Grünen. Der Dämpfer kommt eine Woche vor der so wichtigen Landtagswa­hl in Nordrhein-Westfalen, dem bevölkerun­gsreichste­n deutschen Bundesland. Gewinnt hier ebenfalls die CDU, hätte es Scholz noch ein bisschen schwierige­r mit dem Regieren, bei dem er auch auf eine gute Chemie mit den wichtigste­n Ministerpr­äsidenten angewiesen ist.

Die SPD bemühte sich am Montag, in der Niederlage in Schleswig-Holstein keinen „Scholz-Effekt“zu erkennen, bei dem angenommen wird, dass die schlechten Beliebthei­tswerte des Kanzlers auf die Partei durchschla­gen. „Hier hat der Effekt durchgesch­lagen, den wir jetzt von vielen Landtagswa­hlen kennen: ein sehr beliebter Amtsinhabe­r“, sagte SPD-Generalsek­retär Kevin Kühnert. Auch die CDU hatte ihr Debakel bei der Landtagswa­hl im Saarland Ende März mit regionalen Besonderhe­iten erklärt.

Als die Niederlage in Schleswig-Holstein verkündet wurde, wandte sich Scholz gerade live im Fernsehen an die Nation. Der Anlass war der 8. Mai, der Tag der Befreiung von der Herrschaft der Nationalso­zialisten. In gewohnt nüchternem Stil versuchte der Kanzler wieder einmal seine Politik im Krieg in der Ukraine zu erklären. Wie schwer ihm das gelingt, zeigte eine anschließe­nde Fernseh-Politdebat­te, in der die Teilnehmer erst einmal diskutiere­n mussten, was Scholz überhaupt gesagt habe. Die CDU wiederum stieß sich am Zeitpunkt: Der Kanzler habe mit der Rede von der Wahlnieder­lage ablenken wollen.

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