Die Endoskopie unter Wien
Am Montagvormittag erfolgte der feierliche Tunnelanstich für den Südast der U2 beim Matzleinsdorfer Platz. Ab dem Sommer wird auch vom Rathaus aus gegraben.
Wien. „Wir stehen hier quasi im größten Knopfloch der Welt“, sagt Günter Steinbauer. Der Verkehr sei ja so etwas wie ein Blutkreislauf, meint der Wiener-Linien-Geschäftsführer. Und zieht eine Analogie zur Medizin – mit Verkehrsadern und Bypässen gegen den Verkehrsinfarkt. Und am Ende spricht er von einer minimalinvasiven Operation – eben der Knopflochmethode.
Die kommt hier, 30 Meter unter dem Wiener Matzleinsdorfer Platz, zur Anwendung. Weil in den kommenden Monaten und Jahren von dieser vorläufigen Endstation ein mehr als zwei Kilometer langer Tunnel gegraben wird, durch den ab 2028 die U2 fahren soll. Bisher hat man die Schächte gegraben, jetzt geht es in die Waagrechte.
Dass Steinbauer gerade eine Analogie zur Medizin zieht, liegt an der Frau, die die Rolle der Patin des entsprechenden Abschnitts übernommen hat. Und die gleich den symbolischen Tunnelanstich machen wird – Susanne Drapalik ist Präsidentin des Wiener Samariterbunds.
Anstich gegen die Fahrtrichtung
Erst kommen natürlich die Reden, von Steinbauer, vom für öffentlichen Verkehr zuständigen Stadtrat, Peter Hanke, und Strabag-Vorstand Siegfried Wanker. Und auch einige Worte von Michael Wolf, Pfarrer der nahen evangelischen Christuskirche, der unter anderem den Psalm 121 bemüht: „Der Herr ist dein Hüter, der Herr gibt dir Schatten.“Auch das Vaterunser wird gemeinsam gesprochen.
Dann kratzt Drapalik mit einem Bagger symbolisch ein paar Brocken Gestein aus der Wand. Und nachdem sie mit einem Stein in der Hand für die Fotografen posiert hat, trägt sie die Statue der heiligen Barbara, der Schutzpatronin der Bergleute, in eine eigens für sie – die Statue, nicht für Drapalik – hergerichtete Vitrine.
Dass der symbolische Anstich Richtung Süden gemacht wird, obwohl die U2 von hier aus Richtung Norden führen wird, hat natürlich einen Grund. Zunächst wird etwa 300 Meter in die Gegenrichtung gegraben – hier wird die Wendeanlage installiert. Danach geht es in die eigentliche Fahrtrichtung nach Norden, also unter den ÖBB-Gleisen. Damit die sich nicht senken, hat man das Erdreich bereits angebohrt und Vereisungsanlagen installiert, die das Grundwasser auf minus zehn Grad herunterkühlen. In etwa einem Monat, sagt PorrGruppenleiter Harald Gloesl, soll der Vortrieb beginnen.
Zum Einsatz kommt die sogenannte Neue Österreichische Tunnelbaumethode (NÖT), bei der das Grundwasser abgesenkt und der Boden gesichert wird, danach wird das Gestein herausgebaggert und der Tunnel mit Spritzbeton verfestigt. Begonnen wird mit Gleis 2, von dem aus die U2 Richtung Norden fahren wird. Hat man diesen Bereich fertig gebaut, wird auf der anderen Seite der Station mit Gleis 1 begonnen, auf dem die Züge von Norden künftig ankommen sollen.
Ist die Station mit beiden Gleisen im Rohbau fertig, kann schließlich der nächste Schritt starten – das Bohren. Dann kann, um bei Steinbauers Medizin-Analogien zu bleiben, die Endoskopie beginnen.
Eine Tunnelbohrmaschine soll dann etwa 2,1 Kilometer weit durch die Stadt graben. Der Maulwurf, wie das Gerät liebevoll genannt wird, 50 Meter lang und sieben Meter hoch, schafft etwa zehn bis zwölf Meter pro Tag. Das ausgebohrte Erdreich wird über eine Förderschnecke gleich nach hinten weitergeschoben und am Matzleinsdorfer Platz abtransportiert. Und von der Oberfläche aus wird man wohl kaum etwas davon mitbekommen.
Bis der Maulwurf losfahren kann, wird allerdings noch einige Zeit vergehen. Ist der Rohbau einmal fertig, wird die Maschine in Einzelteilen nach unten gehievt und unter der Erde zusammengebaut. Allein das soll etwa ein halbes Jahr dauern. Nach dem derzeitigen Plan soll es 2023 so weit sein. 2024 soll der Maulwurf dann tatsächlich mit dem Bohren beginnen. Und vermutlich wird es zum Start auch noch einen eigenen Termin geben, bei dem der Stadtrat vor dem zusammengebauten Maulwurf in die Kameras von Journalisten lächelt.
„Tunnel werden sich treffen“
Gebohrt wird dann bis zum Augustinplatz im siebenten Bezirk. Danach wird die Maschine nach oben gehievt, zum Matzleinsdorfer Platz transportiert, wieder zusammengebaut – und dasselbe Spiel beginnt noch einmal für das andere Gleis. 2028 soll die Verlängerung der U2 bis zum Matzleinsdorfer Platz in Betrieb gehen.
Schon diesen Sommer beginnen die Grabungsarbeiten von der anderen Seite – von der Station Rathausplatz. Auch hier wird per NÖT vorangegraben, bis man am Augustinplatz angelangt ist. Und dann? Nun, Steinbauer verzichtet hier auf medizinische Vergleiche und bleibt auf einer technischen Ebene: „Ich bin mir sicher, die Tunnel werden sich treffen.“