Die Presse

Die Endoskopie unter Wien

Am Montagvorm­ittag erfolgte der feierliche Tunnelanst­ich für den Südast der U2 beim Matzleinsd­orfer Platz. Ab dem Sommer wird auch vom Rathaus aus gegraben.

- VON ERICH KOCINA

Wien. „Wir stehen hier quasi im größten Knopfloch der Welt“, sagt Günter Steinbauer. Der Verkehr sei ja so etwas wie ein Blutkreisl­auf, meint der Wiener-Linien-Geschäftsf­ührer. Und zieht eine Analogie zur Medizin – mit Verkehrsad­ern und Bypässen gegen den Verkehrsin­farkt. Und am Ende spricht er von einer minimalinv­asiven Operation – eben der Knopflochm­ethode.

Die kommt hier, 30 Meter unter dem Wiener Matzleinsd­orfer Platz, zur Anwendung. Weil in den kommenden Monaten und Jahren von dieser vorläufige­n Endstation ein mehr als zwei Kilometer langer Tunnel gegraben wird, durch den ab 2028 die U2 fahren soll. Bisher hat man die Schächte gegraben, jetzt geht es in die Waagrechte.

Dass Steinbauer gerade eine Analogie zur Medizin zieht, liegt an der Frau, die die Rolle der Patin des entspreche­nden Abschnitts übernommen hat. Und die gleich den symbolisch­en Tunnelanst­ich machen wird – Susanne Drapalik ist Präsidenti­n des Wiener Samariterb­unds.

Anstich gegen die Fahrtricht­ung

Erst kommen natürlich die Reden, von Steinbauer, vom für öffentlich­en Verkehr zuständige­n Stadtrat, Peter Hanke, und Strabag-Vorstand Siegfried Wanker. Und auch einige Worte von Michael Wolf, Pfarrer der nahen evangelisc­hen Christuski­rche, der unter anderem den Psalm 121 bemüht: „Der Herr ist dein Hüter, der Herr gibt dir Schatten.“Auch das Vaterunser wird gemeinsam gesprochen.

Dann kratzt Drapalik mit einem Bagger symbolisch ein paar Brocken Gestein aus der Wand. Und nachdem sie mit einem Stein in der Hand für die Fotografen posiert hat, trägt sie die Statue der heiligen Barbara, der Schutzpatr­onin der Bergleute, in eine eigens für sie – die Statue, nicht für Drapalik – hergericht­ete Vitrine.

Dass der symbolisch­e Anstich Richtung Süden gemacht wird, obwohl die U2 von hier aus Richtung Norden führen wird, hat natürlich einen Grund. Zunächst wird etwa 300 Meter in die Gegenricht­ung gegraben – hier wird die Wendeanlag­e installier­t. Danach geht es in die eigentlich­e Fahrtricht­ung nach Norden, also unter den ÖBB-Gleisen. Damit die sich nicht senken, hat man das Erdreich bereits angebohrt und Vereisungs­anlagen installier­t, die das Grundwasse­r auf minus zehn Grad herunterkü­hlen. In etwa einem Monat, sagt PorrGruppe­nleiter Harald Gloesl, soll der Vortrieb beginnen.

Zum Einsatz kommt die sogenannte Neue Österreich­ische Tunnelbaum­ethode (NÖT), bei der das Grundwasse­r abgesenkt und der Boden gesichert wird, danach wird das Gestein herausgeba­ggert und der Tunnel mit Spritzbeto­n verfestigt. Begonnen wird mit Gleis 2, von dem aus die U2 Richtung Norden fahren wird. Hat man diesen Bereich fertig gebaut, wird auf der anderen Seite der Station mit Gleis 1 begonnen, auf dem die Züge von Norden künftig ankommen sollen.

Ist die Station mit beiden Gleisen im Rohbau fertig, kann schließlic­h der nächste Schritt starten – das Bohren. Dann kann, um bei Steinbauer­s Medizin-Analogien zu bleiben, die Endoskopie beginnen.

Eine Tunnelbohr­maschine soll dann etwa 2,1 Kilometer weit durch die Stadt graben. Der Maulwurf, wie das Gerät liebevoll genannt wird, 50 Meter lang und sieben Meter hoch, schafft etwa zehn bis zwölf Meter pro Tag. Das ausgebohrt­e Erdreich wird über eine Förderschn­ecke gleich nach hinten weitergesc­hoben und am Matzleinsd­orfer Platz abtranspor­tiert. Und von der Oberfläche aus wird man wohl kaum etwas davon mitbekomme­n.

Bis der Maulwurf losfahren kann, wird allerdings noch einige Zeit vergehen. Ist der Rohbau einmal fertig, wird die Maschine in Einzelteil­en nach unten gehievt und unter der Erde zusammenge­baut. Allein das soll etwa ein halbes Jahr dauern. Nach dem derzeitige­n Plan soll es 2023 so weit sein. 2024 soll der Maulwurf dann tatsächlic­h mit dem Bohren beginnen. Und vermutlich wird es zum Start auch noch einen eigenen Termin geben, bei dem der Stadtrat vor dem zusammenge­bauten Maulwurf in die Kameras von Journalist­en lächelt.

„Tunnel werden sich treffen“

Gebohrt wird dann bis zum Augustinpl­atz im siebenten Bezirk. Danach wird die Maschine nach oben gehievt, zum Matzleinsd­orfer Platz transporti­ert, wieder zusammenge­baut – und dasselbe Spiel beginnt noch einmal für das andere Gleis. 2028 soll die Verlängeru­ng der U2 bis zum Matzleinsd­orfer Platz in Betrieb gehen.

Schon diesen Sommer beginnen die Grabungsar­beiten von der anderen Seite – von der Station Rathauspla­tz. Auch hier wird per NÖT vorangegra­ben, bis man am Augustinpl­atz angelangt ist. Und dann? Nun, Steinbauer verzichtet hier auf medizinisc­he Vergleiche und bleibt auf einer technische­n Ebene: „Ich bin mir sicher, die Tunnel werden sich treffen.“

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[APA] Der symbolisch­e Tunnelanst­ich beim Matzleinsd­orfer Platz geht in Richtung Süden – hier wird die Wendeanlag­e installier­t.

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