Die Presse

Sympathie für Johnny Depp

- VON KÖKSAL BALTACI E-Mails an: koeksal.baltaci@diepresse.com

Der Verleumdun­gsprozess zwischen Johnny Depp und Amber Heard offenbart einmal mehr ein Phänomen, das jeder von uns nur allzu gut kennt – die Tendenz, der ersten Version einer Geschichte mehr Glauben zu schenken als der zweiten. So bekommt beispielsw­eise zumeist die Person mehr Mitgefühl, die sich nach einem Beziehungs­streit als Erstes an gemeinsame Freunde wendet und Trost bei ihnen sucht.

Denn ihre Ausführung der Geschehnis­se ist die ungefilter­te, die mit mehr Impact. Die Sichtweise der zweiten beteiligte­n Person wird schon unter dem Eindruck der ersten aufgenomme­n, sie wird eingeordne­t und verliert schon während des Erzählens an Wirkung.

Zurück zum Prozess: Kaum jemandem dürfte entgangen sein, dass die Berichters­tattung darüber eine Schlagseit­e zugunsten Johnny Depps hat. Dass er der Bekanntere von beiden ist und in „Chocolat“mitgespiel­t hat, dürfte ebenso dazu beitragen wie die Tatsache, dass Frauen bei solchen Konflikten fast immer schlechter wegkommen als Männer – eines der vielen Merkmale einer patriarcha­len und misogynen Gesellscha­ft. Was aber ganz sicher auch eine Rolle spielt, ist der Umstand, dass Depps Seite mit der Beweisführ­ung beginnen durfte. Sämtliche Zeugen wurden bisher von seinen Anwälten aufgerufen und sagten für ihn aus. Erst Ende vergangene­r Woche begann die Beweisführ­ung von Amber Heards Anwälten mit ihrer emotionale­n Einvernahm­e, die in manchen Medien lächerlich gemacht wurde.

Journalist­en tappen im Übrigen häufig in diese Falle. Und folgen bei ihrer Recherche unbewusst dem Narrativ ihres Informante­n, der sie auf eine Story hinweist. Umso wichtiger ist das ständige Vor-Augen-Führen des Grundsatze­s Audiatur et altera pars – also das Gebot, sich stets auch die andere Seite mit der gleichen Aufmerksam­keit und Unvoreinge­nommenheit anzuhören.

Eine Regel, die eigentlich immer gelten sollte, wenn es darum geht, sich eine Meinung zu bilden und eine Entscheidu­ng zu treffen. Zwar wird dadurch der Weg dorthin erschwert, aber so ist das nun einmal mit Ansprüchen, denen nicht jeder gerecht werden kann.

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