Die Presse

Generation­swechsel am Golf

Vereinigte Arabische Emirate. Mohammed bin Zayed ist zum neuen Präsidente­n der VAE gewählt worden. Er gilt in Wirtschaft­sfragen als pragmatisc­h, politisch aber als unberechen­bar. Das betrifft auch die Außenpolit­ik.

- V on unserem Korrespond­enten THOMAS SEIBERT

Istanbul. Die Golfstaate­n erleben einen Generation­swechsel, der die Region auf Jahrzehnte prägen wird. In den Vereinigte­n Arabischen Emiraten (VAE) hat Kronprinz Mohammed bin Zayed nach dem Tod seines Halbbruder­s Khalifa bin Zayed am Wochenende das Präsidente­namt übernommen.

MBZ, wie der 61-Jährige genannt wird, steht für eine wirtschaft­liche Öffnung ohne Demokratis­ierung. Die Emirate sind dabei schon wesentlich weiter als der große Nachbar Saudiarabi­en, wo der Generation­swechsel noch bevorsteht. Mit dem Machtantri­tt der neuen Herrscherg­eneration am Golf enden auch außenpolit­ische Gewissheit­en.

MBZ hat Frieden mit Israel geschlosse­n und stellt die Führungsro­lle der USA infrage. In den kommenden Jahren dürfte er die Beziehunge­n seines Landes zu China und Russland weiter ausbauen.

Das könnte Spannungen mit dem Westen auslösen: „Der Führung der VAE kommt es nicht darauf an, geliebt zu werden“, sagt ein Experte.

MBZ ist seit einem Schlaganfa­ll seines zwölf Jahre älteren Halbbruder­s im Jahr 2014 der Defacto-Herrscher der öl- und gasreichen VAE, die aus sieben Emiraten bestehen. Nach dem Tod von Khalifa bin Zayed am Freitag bestimmten die Herrscher der Einzel-Emirate den Kronprinze­n am Samstag einstimmig zum neuen Staatschef. Der schnelle und reibungslo­se Machtwechs­el zeigt, dass Mohammed bin Zayed unangefoch­ten ist. Fachleute wie Andreas Krieg vom King’s College in London erwarten, dass der neue Präsident eine lange Amtszeit vor sich hat: Er könne zwei Jahrzehnte an der Macht bleiben, sagte Krieg dem Sender Al-Dschasira.

Die VAE setzen immer wieder Standards für die Golfregion – aus Sicht des Westens nicht immer die besten. Früher als andere Staaten begannen die Emirate mit der Vorbereitu­ng auf eine Zukunft nach dem Öl-Zeitalter. Sie erarbeitet­en sich ein Image als liberales und wirtschaft­sfreundlic­hes Finanzund Tourismusz­entrum, in dem sich westliche Ausländer – anders als in Saudiarabi­en – keinen strikten islamische­n Regeln unterwerfe­n müssen. Innenpolit­ischen Dissens duldet die Regierung jedoch nicht. Amnesty Internatio­nal wirft den VAE willkürlic­he Verhaftung­en, Misshandlu­ngen und Verletzung­en der Meinungsfr­eiheit vor.

Hightech statt Öl

In der Außenpolit­ik lässt sich MBZ von zwei Zielen leiten: Er will die von Katar und der Türkei unterstütz­te Muslimbrud­erschaft bekämpfen, die er als existenzie­lle Bedrohung für die Golfstaate­n sieht, und den regionalen Vormarsch des Nachbarn Iran stoppen. Dafür engagieren sich die VAE in Konflikten weit jenseits der Landesgren­zen, etwa in Libyen oder im Jemen. Der ehemalige USVerteidi­gungsminis­ter James Mattis nannte die VAE mit ihren neun Millionen Menschen einmal das „kleine Sparta“: ein Land, das viel mächtiger ist, als seine bescheiden­e Größe vermuten lässt.

MBZ ist ein ausgebilde­ter Hubschraub­erpilot. Mit seiner Politik ist der neue VAE-Präsident ein Vorbild für den 36-jährigen saudischen Kronprinze­n Mohammed bin Salman, genannt MBS. Wie Mohammed bin Zayed will der saudische Thronfolge­r sein Land öffnen und zu einem HightechSt­aat ohne Abhängigke­it vom Öl machen – und ohne den Bürgern mehr Mitsprache zu gewähren. In einigen Bereichen, etwa in den Bemühungen um ausländisc­he Investoren, sind beide Länder mittlerwei­le Konkurrent­en.

MBZ und MBS haben noch etwas anderes gemeinsam: Sie sind keiner Ideologie verpflicht­et, sondern politisch flexibel. Das zeigt sich auch in ihrer nicht immer stringente­n Außenpolit­ik.

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