Die Presse

Ein Ölboykott, der keener wird

EU-Sanktionen. Im Windschatt­en von Ungarns Vetodrohun­g hat sich ein halbes Dutzend Mitgliedst­aaten große Ausnahmen vom geplanten Embargo für russisches Öl gesichert.

- V on unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Brüssel. Von Viktor Orb n zu lernen heißt, sich Extrawürst­e zu sichern lernen. Diese Lektion des ungarische­n Ministerpr­äsidenten dürften mehrere EU-Staaten derart konsequent beherzigt haben, dass vom Vorschlag der Europäisch­en Kommission vor zwei Wochen, bis Jahresende fast komplett aus dem Kauf russischen Rohöls und russischer Raffinerie­produkte wie Diesel auszusteig­en, wenig übrig bleibt. Die Slowakei, Tschechien, Zypern, Malta, Griechenla­nd und eben Ungarn haben sich im zähen Ringen der EU-Botschafte­r über den Sanktionst­ext ber eits Ausnahmen herausverh­andelt, Bulgarien drängt ebenfalls auf solche. „Wir haben dieselben Ausnahmen vom Ölembargo gefordert, welche die anderen europäisch­en Länder bekommen, und wir werden sie auch kriegen“, sagte der stellvertr­etende Regierungs­chef, Assen Wassiliew.

Und trotz all dieser Extrawürst­e gibt es noch immer keine Einigung der Mitgliedst­aaten. Das Treffen der EU-Außenminis­ter am Montag in Brüssel blieb ergebnislo­s. Während die deutsche Außenminis­terin, Annalena Baerbock, sich in Zweckoptim­ismus übte und eine Einigung für „die nächsten Tage“ankündigte, nannte ihr litauische­r Amtskolleg­e, Gabrielius Landsbergi­s, mit Hinweis auf Ungarn den Schuldigen für die Blockade: „Die ganze Union wird jetzt leider von einem Mitgliedst­aat, der uns nicht helfen kann, einen Konsens zu finden, in Geiselhaft genommen.“Der EU droht nach ihren hochtraben­den Ankündigun­gen ein geopolitis­ches Fiasko, das mehrere Fragen aufwirft. 1 Welche Ausnah menvom Ölembargo haben die genannten EU-Staaten sich ausbedunge­n?

Erstens längere Übergangsf­risten, um sich vom russischen Öl freizumach­en. Das gilt für Ungarn, Tschechien und die Slowakei. Die letzteren beiden sollen erst Mitte 2024 ihren Boykott vollständi­g umgesetzt haben, für Ungarn wäre das Angebot Ende 2024, aber das ist der Regierung unter Ministerpr­äsident Orb n noch immer zu früh. Bulgarien, dem der Kreml vorige Woche die Gaslieferu­ngen abgestellt hat, wünscht sich eine vergleichb­ar lange Frist zum Ausstieg. Zweitens dürfen Tankschiff­e unter EU-Flagge weiterhin russisches Öl und daraus erzeugte Produkte an Drittstaat­en liefern. Darauf haben Griechenla­nd, Malta und Zypern mit Rücksichtn­ahme auf ihre politisch einflussre­iche Reederlobb­y beharrt.

2 Geht es Orb num die Sache – oder verfolgt er mit seiner Vetodrohun­g andere Ziele?

Zweifellos ist Ungarn stark von russischem Öl abhängig. Rund 65 Prozent seines Verbrauchs kommen derzeit aus Russland. Zudem ist es für das Binnenland mangels Seezugangs schwer, auf die Lieferung ersatzweis­er großer Mengen per Schiff umzustelle­n. Doch in Brüssel argwöhnt man auch, dass Orb n versucht, Brüssel zur Freigabe der mehr als sieben Milliarden Euro zu erpressen, die dem Land aus dem EU-Wiederaufb­aufonds zustünden, falls es die grassieren­de politische Korruption und den Missbrauch mit EU-Geldern einhegt. Die Regierung in Budapest wird nicht müde zu betonen, dass sie „Milliarden“von der Europäisch­en Union benötige, um ihr Energiesys­tem umzustelle­n. Zudem schwebt über Orbáns am Montag angelobter neuer rechtsnati­onaler Regierung das Damoklessc­hwert des sogenannte­n Konditiona­litätsmech­anismus: einer EU-Verordnung, die auch zum Einfrieren der herkömmlic­hen EU-Subvention­en führen kann, wenn die Europäisch­e Kommission der Ansicht ist, dass mit diesen Geldern in ein em Mitgliedsl­and aus rechtsstaa­tlichen Versäumnis­sen Schindlude­r getrieben wird.

3 Warum trennt man das Sanktionen­paket nicht auf – oder beschließt es ohne Ungarn?

Darüber diskutiere­n die 27 EU-Botschafte­r, derzeit ist aber weder das eine noch das andere eine realistisc­he Option. Die übrigen Teile des sechsten Sanktionsp­akets ohne das Ölembargo zu beschließe­n hätte den Vorteil, dass dann beispielsw­eise neue Mitglieder des Kreml-Regimes sanktionie­rt würden und die wichtige Sberbank vom Swift-Finanzinfo­rmationssy­stem gekappt wür de.Bilaterale Ölembargos der 26 ohne Ungarn wiederum würden Probleme für den Binnenmark­t aufwerfen, dem Ungarn ja weiterhin zugehört und auf den es dann unsanktion­iertes russisches Öl bringen könnte.

4 Wie lässt sich diese Blockade lösen, und was bringt so ein löchriges Ölembargo?

Wie so oft wird Ge ld die Dinge ins Rollen bringen. Die Kommission bereitet konkrete Vorschläge zum Ausstieg aus russischen Energieque­llen vor – und auch dazu, wie die Mitgliedst­aaten von der Union dabei finanziell unterstütz­t werden könnten. Hier dürfte es pekuniäre Anreize für Orb n geben, doch noch zuzustimme­n. So oder so würde dieses EU-Embargo den erhofften Zweck, die russische Volkswirts­chaft schockarti­g zu treffen, angesichts der vielen Ausnahmen und langen Übergangsf­risten nicht erfüllen.

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