Die Justizakte Ibiza und ihre Folgen
Drei Jahre danach. Drei Anklagen, 50 Beschuldigte, 67.000 Seiten: Das Ibiza-Video beschäftigt seit 2019 die Justiz. Ihre Arbeit veränderte die politische Landschaft nachhaltig. Rechtskräftige Urteile gibt es noch nicht.
nzwischen wurden fünf Bundeskanzler und zig Minister angelobt sowie zwei U-Ausschüsse abgehalten. Es gab drei Anklagen. Vorwürfe gegen rund 50 Beschuldigte sind auf 67.000 Seiten im Hauptermittlungsakt dokumentiert. Das Tagebuch der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) hat 8300 Seiten. Das Datenmaterial beträgt 27 Terrabyte: Das entspricht 175 Millionen Dokumentenseiten. Seit das Ibiza-Video vor drei Jahren am 17. Mai 2019 erschien, ist die österreichische Innenpolitik im Dauerausnahmezustand.
Viel davon basie rt auf dem umfassenden Datenmaterial einer – wenn auch nicht freiwill ig–mittlerweile bekannten Persönlichkeit: Thomas Schmid, ab 2013 Kabinettschef und später Generalsekretär im Finanzministerium, ab 2019 Alleinvorstand der neuen Staatsholding Öbag. Die Zigtausenden Chats aus seinem Handy sorgten für Erstaunen, Rücktritte und Ermittlungen – auch gegen ihn selbst. Schmid ist Beschuldigter in mehreren Verfahren: Es geht unter anderem um Amtsmissbrauch rund um Glücksspielgesetze und Vorstandsposten bei der Casinos.
Die Causa Casinos
Zur Erklärung: Das Finanzministerium hat auch die Aufsicht beim Thema Glücksspiel, der Staat ist Teileigentümer der Casinos Austria. Und damit kam der ganze Stein eigentlich ins Rollen. Nach Erscheinen des Ibiza-Videos ging eine anonyme Sachverhaltsdarstellung bei der WKStA ein. Dort war von Postenschieberei im Vorstand der Casinos die Rede. Von Wünschen bei Glücksspielgesetzen – und entsprechenden Gegenleistungen. Es gab eine Vielzahl an Razzien im Sommer 2019 und damit den ersten Schwung Beschuldigter – von Schmid über den früheren Vizekanzler und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache bis hin zum ehemaligen FPÖ-Klubchef Johann Gudenus.
Die eingeschlafenen Ermittlungen nahmen zuletzt wieder an Fahrt auf. Der Grund: Die WKStA muss nach drei Jahren dem Ge
Die Causa Prikraf
richt einen Bericht vorlegen. Der Richter wird dann entscheiden, ob weiterermittelt werden darf, oder ob eingestellt wird. Die Beschuldigten warten daher gespannt auf die Vorhabensberichte und Entscheidungen.
Bei Heinz-Christian Strache wurden schon einige Entscheidungen getroffen: Es gibt Anklagen in zwei Themenbereichen. Einmal geht es um den Privatkrankenanstaltenverbund (Prikraf ). Strache soll sich gegen Spenden für einen Spitalsbetreiber ins Zeug geworfen haben. Er wurde in erster Instanz zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 15 Monaten verurteilt. Strache hat Einspruch erhoben und wartet auf den zweiten Prozesstermin. In der anderen Causa wird ab 7. Juni verhandelt. Der Vorwurf: Strache soll einem Unternehmer gegen Spenden an die Partei zu einem gewünschten Aufsichtsratsposten verholfen haben.
Die Inseratencausa
Die frühere Familienministerin und Meinungsforscherin Sophie Karmasin kennt als Einzige der beschuldigten Spitzenpolitikerinnen und -politiker das Gefängnis schon von innen – sie saß in Untersuchungshaft. Sie ist Teil eines Ermittlungsverfahrens, das im Spätherbst 2021 die politische Landschaft wieder nachhaltig veränderte.
Denn dieses Mal war das Bundeskanzleramt direkt von der Justizarbeit betroffen: Am 6. Oktober fanden Hausdurchsuchungen unter anderem im Kanzleramt und in der ÖVP-Zentrale statt. Die These der Ermittler: 2016 versuchten Sebastian Kurz und seine Anhänger, Stimmung für ihn zu machen – damit er zuerst die Parteispitze, dann das Kanzleramt erobert. Dafür soll Sabine Beinschab seichte Studien erstellt haben, die das Finanzministerium bezahlt hat. Sie sollen als Scheinrechnungen gedient haben, um andere Umfragen zu finanzieren. Und über die wurde wiederum bei „Österreich“breit berichtet. Die WKStA ermittelt gegen Kurz als Bestimmungstäter zu Untreue und Bestechlichkeit. Auch gegen sein engstes Umfeld, Beinschab, Karmasin und Schmid wird ermittelt – genauso wie gegen die Brüder Wolfgang und Helmuth Fellner.
Für alle Genannten gilt die Unschuldsvermutung. Bis auf Beinschab weisen alle – in sämtlichen Causen – die Vorwürfe zurück.
Auch die kürzlich zurückgetretene Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (ÖVP) wird, in kleinem Rahmen, von der Causa eingeholt: Die Ermittler prüfen einen Anfangsverdacht, da eine Studie bei Karmasin beauftragt wurde.
Und dann gibt es noch Anklage Nummer drei: Die langjährige Mitarbeiterin von Schmid muss sich wegen Falschaussage vor Gericht verantworten. Für die publik gewordenen Chats zwischen Schmid und ihr entschuldigte sie sich schon.