Nettoeinkommen immer weniger wert
Steuer. Durch die hohe Inflation wirken sich kalte Progression und andere Fixbeträge im Steuerrecht nachteilig auf Erwerbstätige aus. Ein neues Modell soll Abhilfe schaffen.
Eine fast endlose Geschichte: Im Sommer 1986, vor mehr als einem Vierteljahrhundert, tauchte der Begriff „kalte Progression“erstmals in der medialen Berichterstattung in Österreich auf. Damals wurde eine Steuerreform diskutiert und es hieß, der Finanzminister profitiere von der kalten Progression, das sei eine Tücke des Steuersystems und schreie nach einer Reform. Realisiert wurde diese Forderung trotz anhaltender Diskussionen bis heute nicht.
Nun startet WK-Wien-Präsident Walter Ruck einen neuen Versuch, diese endlose Geschichte im Interesse aller Steuerzahler zu beenden. Ruck ließ dafür ein konkretes Modell ausarbeiten. Der Vorschlag sieht vor, dass die durchschnittliche Teuerung aus zwölf aufeinander folgenden Monaten als Basis genommen wird und die Grenzwerte automatisch erhöht werden sollen, sobald die Teuerung seit der letzten Anpassung mehr als fünf Prozent erreicht hat. Die Anpassung soll dann stets mit Beginn des Folgejahres wirksam werden – mit ausreichend Vorlaufzeit für die Umstellung der Lohnverrechnung und Finanzverwaltung. Mit diesem Vorschlag kommt Ruck zur richtigen Zeit, das Thema kalte Progression ist aktueller denn je. Mit 7,2 Prozent lag die Inflationsrate im April auf dem höchsten Stand seit 41 Jahren. Das Netto-Einkommen wird real immer weniger wert – der Lebensstandard sinkt. Unternehmer müssen immer höhere Gewinne erwirtschaften, um für sich und ihre Mitarbeiter zumindest den Stand des Vorjahres zu halten.
Verzerrungen ausgleichen
Die kalte Progression verschärft dies zusätzlich und in Zeiten wie diesen mit hoher Inflation sogar erheblich. Laut einer Berechnung des Finanzministeriums aus dem Jahr 2019 verlieren die Österreicher durch jedes Prozent Inflation real 250 Millionen Euro Einkommen pro Jahr. Hochgerechnet auf die derzeitige Inflationsrate bedeutet
das 1,8 Milliarden Euro real weniger in den Geldbörsen der Erwerbstätigen durch die kalte Progression. Ruck will nicht nur die Steuer, sondern auch andere gesetzlich fixierte Werte über ein Valorisierungsgesetz automatisch an die Teuerung knüpfen. Dazu gehören etwa das amtliche Kilometergeld (derzeit 42 Cent pro Kilometer), die Kleinunternehmergrenze in der Umsatzsteuer (35.000 Euro pro Jahr) oder diverse Freibetragsgrenzen und Pauschalen. Diese Fixwerte sollen mit der Inflation automatisch „mitwachsen“und laufend wertgesichert werden. „Es geht um die automatische Parallelverschiebung dutzender Werte, um die laufenden Verzerrungen durch die Inflation unbürokratisch, einfach nachvollziehbar und ohne langwierige Verhandlungen auszugleichen“, sagt Ruck. Von Wirtschaftstreibenden
kommt für diesen Vorschlag viel Zuspruch. Etwa von Slaðana Wimmer. Sie hat sich 2017 selbstständig gemacht und stattet mit ihrem Unternehmen Pretty Balloons Feiern mit bunten, personalisierten Luftballonkreationen in allen Formen und Größen
aus. Seit sie ein eigenes Geschäft hat, wächst der Umsatz und im Zusammenspiel mit der Inflation könnte sie künftig ihren Kleinunternehmer-Status verlieren. „Würde die 35.000-Euro-Grenze mit der Inflation laufend angehoben, würde mir das helfen“, sagt Wimmer.
Für mehr steuerlichen Spielraum spricht sich auch Unternehmerin Doris Wirth aus. Vor allem für die 20 Mitarbeiter ihres Betriebs Bluesave Consulting wünscht sie sich mehr steuerliche Flexibilität. Ein baldiges Aus für die kalte Progression würde sie deshalb begrüßen: „Die Steuerstufen zu verändern, wäre gut. Dann bleibt den Mitarbeitern und auch uns Unternehmern wieder mehr von der Arbeit übrig.“Auch den Vorschlag der Valorisierung der Fixwerte könne sie „zu 100 Prozent unterschreiben“.