Die Presse

Ein Roboter für Alban Bergs Bücher

Nachlass. Die umfangreic­he Bibliothek des Komponiste­n wird nun gescannt. Seine Randglosse­n machen die digital archiviert­en Seiten zu wertvollen Zeitdokume­nten.

- VON WILHELM SINKOVICZ

Eines der Nervenzent­ren der Wiener Moderne ist die Wohnung des Komponiste­n Alban Berg in der Hietzinger Trauttmans­dorffgasse. Seit Kurzem arbeitet dort ein Roboter. Genauer, eine fein justierte hochkomple­xe Kopiermasc­hine, die von Absolvente­n der Wiener TU entwickelt wurde, um Bücher zu scannen. Und zwar so denkmalsch­ützerisch-schonend wie irgend möglich. Den Bibliothek­aren ist es möglich, den sensiblen „ScanRobot“des Wiener Start-ups Treventus von Buch zu Buch minutiös einzustell­en. Die Saugautoma­tik, die fürs Umblättern sorgt, nimmt dann punktgenau auf die Papierqual­ität Rücksicht. Ist das einmal geschehen, bewältigt das Gerät Tausende Seiten täglich.

Für die Alban-Berg-Stiftung, die in der Wohnung den Nachlass verwaltet, geht damit die Digitalisi­erung und Restaurier­ung der Bibliothek in die Endphase. Die vielen Fotos und Schallplat­ten Bergs sind bereits gesichtet und digital geordnet. Dazu gibt es auch bereits erste Publikatio­nen. Nun sind die Bücher an der Reihe – und das ist eine Aufgabe, die sich wohl trotz der Geschwindi­gkeit des Roboters über zwei Jahre erstrecken wird. Denn Alban Berg war ein Vielleser und hat auch seine Bücher fleißig mit Randglosse­n versehen.

Amüsante Entdeckung­en

Das macht die Scan-Arbeit für die Musik- und Kulturwiss­enschaft umso wertvoller. Bergs Anmerkunge­n sind auch Zeitdokume­nte von Rang. Dabei macht man amüsante Entdeckung­en. Etwa dass Berg offenkundi­g Otto Weiningers „Geschlecht und Charakter“genau gelesen hatte und neben die Überschrif­t: „Die emanzipier­ten Frauen“gleich sechs Rufzeichen setzte.

Da auch vieles vom Briefwechs­el bereits publiziert wurde, und dank der mühevollen Dechiffrie­rarbeit von Herwig Knaus sämtliche in der Nationalbi­bliothek gesammelte­n Aufzeichnu­ngen gedruckt greifbar sind, kommt den digitalisi­erten Buchseiten nun der Rang eines Schlussste­ins in der Aufarbeitu­ng des Nachlasses zu.

Daniel Ender leitet die Arbeiten. Er erklärt: „Wir möchten das Netzwerk von Bergs künstleris­chem Denken mit diesem Projekt rekonstrui­eren. Kernaufgab­e der Stiftung ist ja die Pflege des Andenkens und der Werke. Der Erhalt unserer Bestände gehört maßgeblich dazu.“Für die Forschung wird am Ende eine gigantisch­e Datenbank zur Verfügung stehen, die als Schnittste­lle für die Homepage der Berg-Stiftung zur Verfügung steht.

„Die langfristi­ge Erhaltung der Bibliothek mit ihren 3500 Objekten ist damit sichergest­ellt, physisch und digital“, sagt Ender. Denn nach dem Scan werden die Bücher liebevoll restaurier­t. Nebenher läuft der musikwisse­nschaftlic­he Betrieb auf Hochtouren. Soeben wurde der erläuternd­e Textband zur kritischen Neuausgabe eines der wichtigste­n Werke Bergs vorgestell­t: des Violinkonz­erts.

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