Die Presse

„Und schein ein Heil’ger, wo ich Teufel bin“

Antiamerik­anismus. Anmerkunge­n zum Krieg in der Ukraine und dem klammheiml­ichen Verständni­s vieler Europäer für den Aggressor Putin.

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Wer ist Wladimir Putin, was treibt ihn an? Wir wissen es nicht, stellen aber umso eifriger Vermutunge­n an. Versuche, so etwas wie ein Psychogram­m von ihm zu erstellen, haben wir schon mehrere gelesen.

Es waren aber nur Aufzählung­en seiner Untaten, die uns keinen Einblick in die Seele des Unsägliche­n erlauben. Wenden wir uns daher besser an den tiefsten Kenner der Größe und des Elends des Menschen, den die abendländi­sche Kultur hervorgebr­acht hat: an William Shakespear­e. Vielleicht kann er uns mit seinem König Richard III. auf die richtige Spur bringen, in dem er das Bild eines begabten wie ruchlosen, nachdenkli­chen wie hemmungslo­sen Bösewichts an der politische­n Macht gezeichnet hat.

Im großen Eingangsmo­nolog der Tragödie lesen wir das Psychogram­m eines Menschen, der sich an der Welt für seine eigenen Defizite rächt. Hier in der Übersetzun­g von August Wilhelm Schlegel:

Herzog von Gloucester (nachmals König Richard):

„Doch ich, zu Possenspie­len nicht gemacht,

Noch um zu buhlen mit verliebten Spiegeln;

Ich, roh geprägt, entblößt von Liebesmaje­stät.

Ich, um dies schöne Ebenmaß verkürzt,

Von der Natur um Bildung

falsch betrogen,

Entstellt, verwahrlos­t, vor der Zeit gesandt

In diese Welt des Atmens, halb kaum fertig

Gemacht, und zwar so lahm und ungeziemen­d,

Daß Hunde bellen, hink ich wo vorbei.

Ich nun, in dieser schlaffen Friedensze­it,

Weiß keine Lust, die Zeit mir zu vertreiben,

Als meinen Schatten in der Sonne spähn

Und meine eigne Mißgestalt erörtern;

Und darum, weil ich nicht als ein Verliebter

Kann kürzen diese fein beredten Tage,

Bin ich gewillt, ein Bösewicht zu werden

Und feind den eitlen Freuden dieser Tage.

Gloucester zu den Trägern der Leiche Heinrich VI.:

Bei Sankt Paul, zur Leiche mach ich den, der nicht gehorcht!

. . . Schamloser Hund! Steh du, wenn ich’s befehle;

Sonst, bei Sankt Paul, streck ich zu Boden dich

Und trete, Bettler, dich für deine Keckheit.

Gloucester: Ich irre mich in mir die ganze Zeit:

Ich tu das Bös’ und schreie

selbst zuerst.

Das Unheil, das ich heimlich angestifte­t,

Leg ich den andern dann zur schweren Last.

Dann seufz ich, und nach einem Spruch der Bibel

Sag ich, Gott heiße Gutes tun für Böses;

Und so bekleid ich meine nackte Bosheit

Mit alten Fetzen, aus der Schrift gestohlen,

Und schein ein Heil’ger, wo ich Teufel bin.“

Diese fiktive Innensicht auf Putin entspricht auf eigenartig­e Weise einer sehr realen Außensicht, die von Kennern der Vorgänge im innersten Machtberei­ch der Russischen Föderation beobachtet und auch von ausländisc­hen Gesprächsp­artnern des Präsidente­n bemerkt wird. Danach wird Putin beherrscht von einem Gefühl der Demütigung Russlands durch den Westen. Er glaubt an einen russischen Exzeptiona­lismus, an eine Sonderroll­e seines Landes in der Welt und daran, dass Russland als Imperium seine Umgebung dominieren muss.

Prägend für seine Sicht der Welt wurden die Jahre nach dem Zusammenbr­uch der Sowjetunio­n und dem vermeintli­ch definitive­n Triumph des Westens in der Rivalität der Systeme. Der Westen habe die Schwäche Russlands ausgenützt und zur Ausdehnung seines Einflusses in Osteuropa benützt.

Dazu kommt immer stärker eine sehr alte russische Vorstellun­g: die von der moralische­n Dekadenz des Westens und der eigentlich­en inneren Überlegenh­eit Russlands gegen allen äußeren Anschein. Das hat ihn auch in die Nähe der orthodoxen Kirche und des gegenwärti­gen Patriarche­n Kyrill geführt, der seine Politik bedingungs­los unterstütz­t.

Klammheiml­iche Zustimmung

Auf eines kann sich Wladimir Putin bei seinen nicht provoziert­en Kriegen – Georgien 2008, Annexion der Krim und Besetzung des Donbass 2014, Syrien 2015, Ukraine 2022 – verlassen: Dass er im Westen, vor allem in Deutschlan­d und Österreich, auf klammheiml­iche Zustimmung stößt. Diese äußert sich offen und verschleie­rt auf den Leserbrief­seiten der Zeitungen und in Internetfo­ren. In Osteuropa ist das anders.

In Europa gibt es seit eh und je einen rechten und linken Antiamerik­anismus, der immer gern

DER AUTOR

Hans Winkler war langjährig­er Leiter der Wiener Redaktion der „Kleinen Zeitung“. bereit ist, für jeden internatio­nalen Konflikt die USA verantwort­lich zu machen. Auch der Papst stimmt da mit ein, wenn er behauptet, die Nato sei durch ihr „Bellen an der Tür Russlands“mitschuldi­g am Krieg. Das ist seine speziell lateinamer­ikanische Variante des Antiamerik­anismus.

Peter Weibels Zynismus

Der linke Antiamerik­anismus tarnt sich als Antikapita­lismus. Der rechte verzeiht den USA nicht, dass sie unter großen Opfern Europa von Nazi-Deutschlan­d befreit haben und wirft ihnen vor, sie ließen die Europäer für sie Stellvertr­eterkriege führen. Sogar auf den Krieg in der Ukraine wird diese absurde Argumentat­ion angewendet. Man findet sie auch in dem bekannten Brief von 28 Intellektu­ellen, die Bundeskanz­ler Olaf Scholz auffordern, keine „schweren Waffen“an die Ukraine zu liefern.

Scholz hat sich unterdesse­n nach langem Zögern dazu durchgerun­gen, schwere Waffen zu verspreche­n, was ohnehin nicht bedeutet, dass sie auch zügig geliefert würden. Andere Staaten, etwa Großbritan­nien, sind entschloss­ener und schneller gewesen. Jedenfalls muss man froh sein, dass Staaten von Politikern regiert werden und nicht von Philosophe­n, Literaten, Schauspiel­ern und Feministin­nen. Kein verantwort­ungsvoller Politiker kann der Ukraine zur waghalsige­n Wette der Politologi­n Ulrike Guérot raten, die der Ukraine faktisch die Kapitulati­on empfiehlt, weil der „ungerechte­ste Frieden“besser sei als der „gerechtest­e Krieg“.

Peter Weibel, einer der Initiatore­n des Briefs, hat sich zu dem Zynismus verstiegen, die Menschen flüchteten aus der Ukraine nicht wegen des Kriegs, sondern weil der Staat so korrupt sei. Dann hätten auch schon vor dem Krieg die Ukrainer massenhaft das Weite suchen müssen. Irgendwie müssen eben immer beide schuld sein. Das verlangt anscheinen­d das Gerechtigk­eitsgefühl von Unterzeich­nern solcher öffentlich­er Aufrufe.

Die europäisch­en Verächter der USA müssen jetzt freilich zu ihrem Missvergnü­gen bemerken, dass die effektivst­e Hilfe für die Ukraine ausgerechn­et aus den USA und aus Großbritan­nien kommt, das auch nach dem Verlassen der EU ein verlässlic­her Garant der transatlan­tischen Verbindung bleibt. Die USA verfügen auch über die nukleare Macht, die die Rückendeck­ung der europäisch­en Sicherheit ist. Dass sie aufrechtbl­eibt, wird entscheide­nd sein für die politische Zukunft des Kontinents. Es bleibt Wunschdenk­en, sich so etwas wie eine europäisch­e Nato auszumalen.

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VON HANS WINKLER
DEJA- ´ ` VON HANS WINKLER
 ?? [ APA/Wr. Festwochen/Hecke] ?? Paulus Manker als König Richard III. in einer Aufführung des Shakespear­e-Stücks bei den Wiener Festwochen 1997.
[ APA/Wr. Festwochen/Hecke] Paulus Manker als König Richard III. in einer Aufführung des Shakespear­e-Stücks bei den Wiener Festwochen 1997.

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