Die Presse

„Warum nach Moskau?“

Russland-Politik der EU. Die außenpolit­ischen Sprecher der drei baltischen Parlamente sind über die Nehammer-Reise zu Putin entsetzt.

- V on unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Brüssel. Knapp drei Monate nach dem russischen Überfall auf die Ukraine sind sich die Vorsitzend­en der außenpolit­ischen Ausschüsse der Parlamente Estlands, Lettlands und Litauens in Gesprächen mit der „Presse“über ihre Parteigren­zen hinweg einig: Mit dem russischen Präsidente­n, Wladimir Putin, kann die EU weder diplomatis­che Verhandlun­gen führen noch auf eine Wiederaufn­ahme der Beziehunge­n nach Ende des Krieges hoffen. Die Union muss nach Ansicht der drei baltischen Politiker so rasch wie möglich lückenlose Sanktionen gegen Russlands Energiewir­tschaft einführen und den ukrainisch­en Streitkräf­ten jegliche Waffen liefern, welche diese benötigt. Von der Reise Bundeskanz­ler Karl Nehammers zu Putin sind alle drei erschütter­t: Das habe nichts gebracht, außer dem Kreml in die Karten zu spielen.

„Eine Bedrohung Europas“

„Wir müssen verstehen, dass Putins Russland eine Bedrohung für Europa ist“, sagte der estnische Liberale Marko Mihkelson, der zur Partei von Ministerpr­äsidentin Kaja Kallas gehört. „Sind wir glücklich darüber, dass uns Russland als Nachbarsta­at wiederholt mit dem Atomkrieg droht? Dieser Krieg muss nicht bloß mit einem ukrainisch­en Sieg enden, sondern mit einer strategisc­hen Niederlage Russlands.“

Seine litauische Amtskolleg­in, die Christdemo­kratin Laima Andrikiene˙ von der Partei des Außenminis­ters Gabrielis Landsbergi­s, pflichtete Mihkelson bei: „Europa und die Welt müssen den Putinismus beenden. Wenn Putin an der Macht bleibt, wird es keinen Frieden in Europa geben.“Putinismus sei „eine kriminelle Ideologie, die große Ähnlichkei­t mit den verbrecher­ischen Ideologien des 20. Jahrhunder­ts aufweist, allen voran Stalinismu­s und Nazismus.“

Auch der rechtskons­ervative Lette Rihards Kols, dessen Partei auf europäisch­er Ebene bei den Konservati­ven und Reformern unter anderem mit der polnischen Regierungs­partei PiS verbündet ist, hofft auf eine „strategisc­he Niederlage Putins“. Was meint er damit? „Es muss für ihn künftig unmöglich werden, einem Land das anzutun, was er derzeit der Ukraine antut. Das bedeutet nicht eine militärisc­he Niederlage Russlands. Sondern das russische Militär muss unfähig werden, sich komplett wiederherz­ustellen.“

Dieses Ziel bedingt nach Ansicht aller drei baltischen Abgeordnet­en, dass die EU die Ukraine wesentlich stärker aufrüstet als bisher: „Wir müssen der Ukraine so viele Waffen wie möglich liefern. Sie brauchen diese Waffen nicht nur, um sich zu verteidige­n, sondern auch, um ihr ganzes Land wieder zu befreien“, sagte Mihkelson.

„Wir müssen die Ukrainer bis an die Zähne bewaffnen“, erklärte Kols. „Die Ukraine braucht Luftabwehr, Raketenabw­ehr, Flugverbot­szonen über humanitäre­n Korridoren und Atomreakto­ren, von denen es derzeit noch 15 gibt“, zählte Andrikiene˙ auf. „Haben wir alles getan, was wir hätten tun können? Ich denke nicht.“Die fünf bisherigen EU-Sanktionsp­akete griffen zu kurz: „Alle waren dringend nötig. Leider waren sie alle unzureiche­nd. Sie haben nur 26 Prozent des russischen Bankensekt­ors sanktionie­rt. Können wir das wirksam und ausreichen­d nennen? Natürlich nicht!“Mihkelson stößt in dasselbe Horn: „Sanktionen werden funktionie­ren, wenn sie keine Lücken haben. Und der Energiesek­tor ist der Schlüssel. Sberbank und Gazpromban­k sind noch immer nicht von Swift abgekappt.“

Europa muss den Putinismus beenden. Wenn Putin an der Macht bleibt, wird es keinen Frieden in Europa geben.

„Putin ein Humanist?“

Für Bundeskanz­ler Nehammers Reise zu Putin haben die drei Balten kein Verständni­s. „Das war keine gute Idee. Es ist nicht die Zeit dafür, Putin aus der Isolation zu holen. Ich sehe kein Interesse daran, mit einem Kriegsverb­recher zu sprechen“, sagte Mihkelson. „Es ist eine Illusion zu glauben, man könne mit Putin verhandeln. Dafür gibt es absolut keine Möglichkei­t“, erklärte Kols. Andrikiene˙ wurde noch deutlicher: „Stellen Sie sich die Reaktionen der freien Welt vor, wenn EU-Regierungs­chefs zu Adolf Hitler flögen, um des ,Dialogs‘ willen. Unmöglich, nicht wahr? Warum also nach Moskau fliegen? Ist man so naiv zu erwarten, dass Putin ein Humanist ist im Vergleich zum Führer von Nazideutsc­hland?“

Laima Andrikiene˙, litauische Parlaments­abgeordnet­e

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