„Warum nach Moskau?“
Russland-Politik der EU. Die außenpolitischen Sprecher der drei baltischen Parlamente sind über die Nehammer-Reise zu Putin entsetzt.
Brüssel. Knapp drei Monate nach dem russischen Überfall auf die Ukraine sind sich die Vorsitzenden der außenpolitischen Ausschüsse der Parlamente Estlands, Lettlands und Litauens in Gesprächen mit der „Presse“über ihre Parteigrenzen hinweg einig: Mit dem russischen Präsidenten, Wladimir Putin, kann die EU weder diplomatische Verhandlungen führen noch auf eine Wiederaufnahme der Beziehungen nach Ende des Krieges hoffen. Die Union muss nach Ansicht der drei baltischen Politiker so rasch wie möglich lückenlose Sanktionen gegen Russlands Energiewirtschaft einführen und den ukrainischen Streitkräften jegliche Waffen liefern, welche diese benötigt. Von der Reise Bundeskanzler Karl Nehammers zu Putin sind alle drei erschüttert: Das habe nichts gebracht, außer dem Kreml in die Karten zu spielen.
„Eine Bedrohung Europas“
„Wir müssen verstehen, dass Putins Russland eine Bedrohung für Europa ist“, sagte der estnische Liberale Marko Mihkelson, der zur Partei von Ministerpräsidentin Kaja Kallas gehört. „Sind wir glücklich darüber, dass uns Russland als Nachbarstaat wiederholt mit dem Atomkrieg droht? Dieser Krieg muss nicht bloß mit einem ukrainischen Sieg enden, sondern mit einer strategischen Niederlage Russlands.“
Seine litauische Amtskollegin, die Christdemokratin Laima Andrikiene˙ von der Partei des Außenministers Gabrielis Landsbergis, pflichtete Mihkelson bei: „Europa und die Welt müssen den Putinismus beenden. Wenn Putin an der Macht bleibt, wird es keinen Frieden in Europa geben.“Putinismus sei „eine kriminelle Ideologie, die große Ähnlichkeit mit den verbrecherischen Ideologien des 20. Jahrhunderts aufweist, allen voran Stalinismus und Nazismus.“
Auch der rechtskonservative Lette Rihards Kols, dessen Partei auf europäischer Ebene bei den Konservativen und Reformern unter anderem mit der polnischen Regierungspartei PiS verbündet ist, hofft auf eine „strategische Niederlage Putins“. Was meint er damit? „Es muss für ihn künftig unmöglich werden, einem Land das anzutun, was er derzeit der Ukraine antut. Das bedeutet nicht eine militärische Niederlage Russlands. Sondern das russische Militär muss unfähig werden, sich komplett wiederherzustellen.“
Dieses Ziel bedingt nach Ansicht aller drei baltischen Abgeordneten, dass die EU die Ukraine wesentlich stärker aufrüstet als bisher: „Wir müssen der Ukraine so viele Waffen wie möglich liefern. Sie brauchen diese Waffen nicht nur, um sich zu verteidigen, sondern auch, um ihr ganzes Land wieder zu befreien“, sagte Mihkelson.
„Wir müssen die Ukrainer bis an die Zähne bewaffnen“, erklärte Kols. „Die Ukraine braucht Luftabwehr, Raketenabwehr, Flugverbotszonen über humanitären Korridoren und Atomreaktoren, von denen es derzeit noch 15 gibt“, zählte Andrikiene˙ auf. „Haben wir alles getan, was wir hätten tun können? Ich denke nicht.“Die fünf bisherigen EU-Sanktionspakete griffen zu kurz: „Alle waren dringend nötig. Leider waren sie alle unzureichend. Sie haben nur 26 Prozent des russischen Bankensektors sanktioniert. Können wir das wirksam und ausreichend nennen? Natürlich nicht!“Mihkelson stößt in dasselbe Horn: „Sanktionen werden funktionieren, wenn sie keine Lücken haben. Und der Energiesektor ist der Schlüssel. Sberbank und Gazprombank sind noch immer nicht von Swift abgekappt.“
Europa muss den Putinismus beenden. Wenn Putin an der Macht bleibt, wird es keinen Frieden in Europa geben.
„Putin ein Humanist?“
Für Bundeskanzler Nehammers Reise zu Putin haben die drei Balten kein Verständnis. „Das war keine gute Idee. Es ist nicht die Zeit dafür, Putin aus der Isolation zu holen. Ich sehe kein Interesse daran, mit einem Kriegsverbrecher zu sprechen“, sagte Mihkelson. „Es ist eine Illusion zu glauben, man könne mit Putin verhandeln. Dafür gibt es absolut keine Möglichkeit“, erklärte Kols. Andrikiene˙ wurde noch deutlicher: „Stellen Sie sich die Reaktionen der freien Welt vor, wenn EU-Regierungschefs zu Adolf Hitler flögen, um des ,Dialogs‘ willen. Unmöglich, nicht wahr? Warum also nach Moskau fliegen? Ist man so naiv zu erwarten, dass Putin ein Humanist ist im Vergleich zum Führer von Nazideutschland?“
Laima Andrikiene˙, litauische Parlamentsabgeordnete