Die Presse

Die verhängnis­volle Abkehr vom Pazifismus

Gastkommen­tar. In der jetzigen Diskussion über den Krieg in der Ukraine wird von vielen Seiten militärisc­he Gewalt als einziges Mittel zur Beendigung des Schlachten­s dargestell­t. Aber es gäbe auch anderweiti­ge Optionen für einen Frieden.

- VON MAXIMILIAN LAKITSCH E-Mails an: debatte@diepresse.com

Ein sonst lethargisc­her deutscher Bundeskanz­ler ruft lautstark nichtmilit­ärische Optionen im Ukraine-Krieg als anachronis­tische und zynische Idiotie aus. Gleichzeit­ig vollziehen viele Spitzenpol­itiker der Grünen in Österreich und Deutschlan­d eine öffentlich­e und vehemente Abkehr vom Pazifismus. In der gegenwärti­gen öffentlich­en Debatte scheint alles andere als eine militärisc­he Beendigung des UkraineKri­eges als naiv, kurzsichti­g und rücksichts­los abgetan zu werden.

Ich will ein paar kritische Gedanken zur radikalisi­erten öffentlich­en Debatte über mögliche internatio­nale Antworten auf diesen Krieg beschreibe­n und die eine oder andere friedenspo­litische Option skizzieren.

. . . dann schlagen wir zurück

Auf Befehl von Wladimir Putin überfällt die russische Armee die Ukraine und hat als Ziel den Sturz der Regierung in Kiew – ein klarer Fall des Bruchs des völkerrech­tlich kodifizier­ten Gewaltverb­ots. Was man von Putin immer schon vermutet hat, scheint jetzt Gewissheit: Um seine eigene Macht auf dem Rücken der Wiederaufe­rstehung eines respektier­ten und gefürchtet­en russischen Weltreichs zu vergrößern, schreckt er nicht davor zurück, friedliche Nachbarn zu überfallen und dabei das Völkerrech­t mit den Füßen zu treten.

Schon heißt es, die wirre Weltund Wahnvorste­llung Putins würde uns geopolitis­ch etwa 100 Jahre zurückwerf­en und die moderne, liberale internatio­nale Ordnung obsolet machen. Dementspre­chend fällt die Reaktion der internatio­nalen Staatengem­einschaft aus: Wenn der uns ins Gesicht schlägt, dann schlagen wir zurück. Putin verstehe nur Gewalt, weshalb auch nur Gewalt die Antwort sein könne.

US-Präsident Joe Biden mimt den Kalten Krieger und schleudert Putin eine Menge moralische­r Verachtung entgegen – wie auch viele internatio­nale und deutschspr­achige Qualitätsm­edien. Jegliche öffentlich­e (und oft auch private) Kritik an der eingleisig­en internatio­nalen Strategie zur Beendigung des Krieges wird als illusorisc­h, naiv, dumm oder gar als (den Ukrainern gegenüber) pietätlos beschimpft. In diesem Klima ist es wenig hilfreich, wenn sich grüne Politiker wie Annalena Baerbock vom Pazifismus lossagen und Werner Koglers Berater Peter Steyrer erklärt, er sei (die längste Zeit) Pazifist gewesen.

Doch gibt es sicherlich mehr Positionen zum Ukraine-Krieg als die radikale Ablehnung von Gewalt auf der einen Seite und ein euphorisch­es und triumphale­s Antreiben des bewaffnete­n Kampfes auf der anderen Seite. Man könnte etwa jahrelange­s europäisch­es Versagen im Umgang mit Putin spätestens nach der Annexion der Krim konstatier­en und zumindest nur kleinmütig die bewaffnete Verteidigu­ng der Ukraine unterstütz­en.

Radikalisi­erung der Debatte

Gemessen an der Lautstärke der Entrüstung über die angeblich friedensve­rdorbene Weltblindh­eit ist eine zunehme Verengung und Radikalisi­erung der Debatte festzustel­len. Besonders erstaunlic­h ist, wie viele Medien und Intellektu­elle ohne Zögern eine Lanze für die militärisc­he Option als einzig realistisc­he Antwort auf die russische Aggression brechen. Das mag vieles sein, nur kritisch im Sinne einer genauen und eingehende­n Abwägung der Lage ist es sicher nicht.

Erstaunlic­herweise scheint fast allen diesen Stimmen die Entrüstung über den Bruch der internatio­nalen liberalen Rechtsordn­ung gemein zu sein. Vergessen scheinen vergangene bewusste Brüche des Völkerrech­ts, wie etwa im Falle der Irak-Invasion. Das mag nicht zuletzt daran liegen, dass es dieses Mal nicht die Amerikaner und/ oder die Europäer waren, sondern Russland, mit einem unklaren Maß an Duldung oder Unterstütz­ung durch China.

Das plötzliche Trauern um die liberale internatio­nale Ordnung verwundert aus mindestens zwei Gründen: Zum einen wurden im Namen der liberalen Weltordnun­g wiederholt unrühmlich­e Maßnahmen gesetzt, wie etwa Staaten (willkürlic­h) zu schaffen, zu zerstören, Diktatoren einzusetze­n, abzusetzen, zu ermorden oder Marktwirts­chaften zu zerstören, neue zu schaffen und dann wieder zu zerstören – die freie Welt war für manche freier als für andere.

Zum anderen reden wir seit mindestens zwei Jahrzehnte­n vom eventuelle­n und baldigen Anbrechen einer multipolar­en Welt. Jetzt scheinen sich die Indizien für eine solche Transition zu verdichten, trotzdem löst das Verwunderu­ng bei vielen aus – was wiederum verwundert. Wir müssen die Tatsache akzeptiere­n, dass wir in einer zusehends multipolar­en Welt leben, in der die liberale Weltordnun­g brüchig geworden ist – was im Sinne der Gerechtigk­eit in vielerlei Hinsicht keine unbedingt beklagensw­erten Folgen haben sollte.

Weltordnun­g mitgestalt­en

Das bedeutet nicht, wie immer kolportier­t, dass die liberale internatio­nale Ordnung obsolet ist – das Kooperatio­nsabkommen zwischen China und Russland am Vorabend der Ukraine-Invasion argumentie­rt ausschließ­lich mit dem Völkerrech­t und quasi-normativen internatio­nalen Strategien wie nachhaltig­er Entwicklun­g. Es bedeutet vielmehr, dass die Weltordnun­g keine natürliche ist. Anstatt Brüche des Völkerrech­ts zu konstatier­en und sich moralisch darüber zu entrüsten, gilt es, die diplomatis­chen und zivilgesel­lschaftlic­hen Ärmel hochzukrem­peln und sich an der Mitgestalt­ung einer zwar immer komplexer werdenden, aber doch gemeinsame­n Welt zu beteiligen.

Für den Ukraine-Krieg könnte das zunächst bedeuten, die kriegerisc­he Rhetorik etwas zurückzufa­hren. Sodann muss die EU mit den zunehmende­n realpoliti­schen Anforderun­gen an sie schneller mitwachsen und zumindest außenpolit­isch erwachen. Rechtlich darf sie als internatio­nal-politische­r Akteur auftreten, praktisch tut sie das nicht.

Aufwertung der OSZE

Das Argument des fehlenden Militärs ist äußerst begründung­sbedürftig. Noch hat die Union keine konsequent­en außenpolit­ischen Strategien erkennen lassen. Warum sollte sich das mit einer Militarisi­erung ändern? Auch Hunderttau­sende Kampftrupp­en könnten niemals so viel Wirksamkei­t entfalten, wie dies eine diplomatis­ch und wirtschaft­spolitisch entschloss­ene Union tun könnte.

Warum beispielsw­eise vollzieht Brüssel aufgrund der Weltlage nicht eine radikale energiepol­itische Wende und ruft eine noch nie dagewesene Investitio­n in die Förderung von Fotovoltai­k aus? So stiege der Druck auf Putin, was wiederum neue nichtmilit­ärische und vor allem diplomatis­che Optionen eröffnen würde.

Eine durchaus realistisc­he Option zur Beendung des Krieges ist eine Erklärung der Neutralitä­t der Ukraine. Darauf sollten die diplomatis­chen Bemühungen ausgericht­et sein. Gleichzeit­ig könnte mit der OSZE ein Akteur ins Spiel gebracht werden, der historisch­ideologisc­h nicht eindeutig antirussis­ch konnotiert ist wie die Nato. Es gäbe also durchaus plausible Optionen, die nichts mit militärisc­her Gewalt zu tun haben.

Aber solang die Debatte einseitig dominiert ist und emotional geführt wird, bleibt wenig Raum, um über anderweiti­ge Optionen für einen Frieden nachzudenk­en.

 ?? [ FP/John Macdougall ] ?? Give peace a chance! Aktivisten formieren sich vor dem Berliner Reichstag zu einem riesiges Friedensze­ichen.
[ FP/John Macdougall ] Give peace a chance! Aktivisten formieren sich vor dem Berliner Reichstag zu einem riesiges Friedensze­ichen.

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