Küstenland in Feierlaune
Friaul Julisch-Venetien. Grado feiert 130 Jahre als Kurort und will seinen Gästen bald den bestausgestatteten Strand Italiens bieten. Vorsommerlicher Abstecher in ein bezauberndes Winkelwerk, die große Lagune und von Restaurant zu Restaurant.
Ob Kaiser Franz Joseph diese Neumodernitäten „sehr gefreut“hätten? Wenn am Strand eines kaiserlichen Kurorts Getränke und Imbisse per QRCode frei Sonnenschirm geliefert worden wären? Wenn man ebenda Kleinkinder mittels GPS-Armbändern vor dem Verlaufen bewahrt und den Strand mittels Drohnen überwacht hätte?
Nein, als der Imperatore am 25. Juni 1892 Grado per Dekret zum „heilenden Kurort“ernannte, war im (damals) österreichischen Küstenland noch alles anders. Von Aquileia kommend, musste man per Schiff anreisen, weil der Damm – und auch diese grandiose Straßenzufahrt via Lagune – noch nicht gebaut war (das passierte erst zu Mussolinis Zeiten). Wo heute viele Hotels und Geschäftshäuser stehen, war damals lagunöser Schlamm, der peu a` peu von Anschüttungen verdrängt wurde. Und ein gepflegter Strand mit mehr als 5000 Liegen, wassermoped-mobilen Bademeistern und zeitgeistigen Beach-Clubs? So etwas hätte maximal einem visionären Scherzkeks aus der k.u.k. Hofbäckerei einfallen können.
Aber: Die Gradeser nehmen das 1892er-Datum „ihres“Francesco
Giuseppe sehr ernst. Denn es sichert ihnen heuer ein Jubiläum. „Grado 130“soll nach zwei Corona-Sommern einen Tourismusturbo zünden, mit Veranstaltungen und Investitionen in die Infrastruktur. „Im Herbst soll hinter den Thermen Baubeginn für eine neue Badelandschaft sein“, verrät Thomas Soyer, Gradeser Tourismusvereinspräsident und Hausherr im Savoy, einem der Tophotels auf der „Insel der Sonne“.
Von Lokalen zur Lagune
Familiäre Villacher Wurzeln prädestinieren ihn als Grado-Touristiker. Denn das Städtchen hat, so Soyer, einen „Österreicher-Urlauberanteil von über 65 Prozent, wahrscheinlich mehr als jeder andere Adria-Ort“. Zweitstärkste Gruppe sind hier die Deutschen, mit mageren zwölf bis 14 Prozent.
Auch die Ausstellung zu „Grado 130“ist teilweise made in Austria. Das seit 20 Jahren in Grado lebende österreichische Architektenehepaar Johanna und Michael Atzenhofer hat für eine kreisrunde frühere Disco am Haupteingang des Strands aus alten Postkarten eine sehenswerte Schau kuratiert.
Und was ist das Grado der 2020er-Jahre? „Noch immer ein Ort mit einer bezaubernd verwinkelten Altstadt und einer Fischereiflotte, die fast jedes Restaurant mit frischer Ware versorgen kann“, weiß Stefan Maiwald, in Grado lebender Blogger und Autor, der es im Vorjahr mit „Das Italien-Prinzip: So geht Glück“auf Platz 1 der „Bild“-Bestseller-Liste geschafft hat. Das Buch kommt im Juni auch auf Italienisch – und Maiwald weiß auch, was Gradeser Gastronomen glücklich macht. „Die Österreicher und die Deutschen. Die kommen nämlich schon um 19 Uhr zum Abendessen, zwei Stunden später können die Wirte die Tische dann an italienische Gäste verkaufen. Das ist in Urlaubsorten mit hohem Italieneranteil nicht möglich.“
Die Suche nach besten Essadressen ist hier übrigens sehr vielfältig. Denn fast jeder Grado-Kenner hat andere persönliche Tipps – schlecht zu essen scheint eher unmöglich zu sein. Der kompetente Slowfood-Führer „Osterie d’Italia“nennt das Agli Artisti, im Guide Michelin werden De Toni und Tavernetta all’Androna empfohlen. Wir haben im einfachen Al Bosco in Grado Pineta auf Tipp Thomas Soyers vorzüglich einfach gespeist (großartige Spaghetti vongole, superzarte Calamari fritti) – und im neuen, zeitgeistigen Ristorante Bruno Masaneta im Zentrum Grados die feinere kulinarische Klinge gekreuzt. Stefan Maiwald empfiehlt für beste Pizza das Delfino Blu und für authentische Cucina das De Gustibus.
Aber: Grado ist – so Maiwald – mehr als „nur“Altstadt und Restaurants. „Die Lagune ist eine einzigartige Landschaft, die sollte man unbedingt erkunden. Das geht mit dem Taxiboot oder einem gemieteten Boot mit wenig PS, das man ohne Führerschein fahren darf.“Man kann auch ein Ticket für ein Ausflugsschiff buchen – die Nuova Cristina etwa tuckert regelmäßig zur Isola di Anfora, wo im Ai Ciodi herrlich simple Frischfischgerichte serviert werden. Etwa Boreto, die hiesige Spezialität: Eine Art Eintopf aus Steinbutt, Goldbrasse, Seppie, Dornhai oder anderen Fischen aus dem täglichen Fang mit Polenta und Essigsauce.
Mit dem Gelato zum Strand
Und was wäre ein italienischer Urlaubsort ohne Gelato? In Grado sticht da eine Adresse heraus: Vor der Gelateria Antoniazzi in der Viale Dante Alighieri 23 bilden sich häufig längere Schlangen, denn Cristiano Antoniazzi hat für sein Pistazieneis einige Pokale und den Eis-Vizeweltmeistertitel geholt.
Wenn wir schon in der Altstadt sind: Diese ist ein bezauberndes Winkelwerk aus meist alten, vorbildlich renovierten Fischerhäusern mit kräftigen Außenkaminen, einer kleinen Markthalle und vielen Läden, bei denen die mit Feinkost, Lebensmitteln und Wein die Oberhand gegenüber jenen mit Schuhwerk und Mode haben. Häufiges Kaufargument: „Ich mache guten Skonto.“Oberste Sehenswürdigkeit ist die mächtige dreischiffige Basilica di Sant’Eufemia mit riesigem Bodenmosaik, Salutatorium und Lapidarium sowie einem Glockenturm, ein Geschenk der Venezianer.
Sonst ist Grado beliebter Spazierund Radlerort. Bevorzugte Gehmeile ist die Diga, der mit einer breiten Promenade bestückte Damm zum offenen Meer, der den Hauptstrand mit dem sogenannten alten Strand verbindet. „Der alte Strand ist besser zum Schwimmen“, erklärt Maiwald, um gleich einzuschränken: „Italiener schwimmen nicht, die stehen lieber in Gruppen im Wasser, während Österreicher und Deutsche Bahnen ziehen.“Der Lieblingsstrand der Gradeser ist übrigens nur per Boot erreichbar. Maiwald: „Die Goldbank, Banco d’ Orio, ist etwa zwei Kilometer entfernt und erinnert mit ihren Farben und dem feinen Sand an die Karibik.“
Auch Thomas Soyer zieht es in die Umgebung, aber mit dem Rad: „Ganz in der Früh über den Damm nach Aquileia radeln und dabei den Sonnenaufgang erleben, das entschädigt mehrfach für das frühe Aufstehen. Ein anderer Radweg führt Richtung Monfalcone ins Naturschutzgebiet Valle Cavanata, dort kann man Vögel beobachten.“Ja, im Valle Cavanata haben wir Flamingos und diverse Reiher beim Krebse-Imbiss beobachtet und kugelrunde Bisamratten beim Gräserknabbern abgelichtet.
Das Hauptgradoargument von Mai bis September ist und bleibt aber natürlich der gepflegte, breite Strand. Den will der Betreiber GIT (Grado Impianti Turistici) in den nächsten Jahren „zum bestausgestatteten Strand Italiens machen“, sagt GIT-Chef Roberto Marin. Soll heißen: Die anfangs erwähnten GPS-Bänder für Kinder gibt’s schon, auch Überwachungsdrohnen und Wassermopeds sind bereits im Einsatz. Getränke und Imbisse kann man bei vier Kiosks per Smartphone bestellen und zum Sonnenschirm liefern lassen, ein Siri-ähnlicher Assistent namens Elio soll Badegästen bald auch auf Deutsch Antworten auf alle Strandfragen geben. Bei den edlen Ville-Bianche-Appartements ist ein exklusiver Strandabschnitt geplant, an dem Bademeister in historischer Gewandung die „Gäste hofieren, als wenn sie Kaiser wären“, verrät Roberto Marin. Normalsterbliche bezahlen heuer für einen Sonnenschirm mit zwei Liegen 22 Euro täglich, Saisonkarten beginnen bei 2000 Euro.
Eine kulinarische Besonderheit hat der Strand übrigens auch. „Die Padellata. Das sind Spaghetti mit vielen Meeresfrüchten, in einer Kupferpfanne serviert. Das speist man direkt am Meer, mit den Füßen im Sand. Die für mich besten gibt’s im Strandclub Pineta Beach“, sagt Maiwald. Und er ist sich sicher, dass so eine Padellata auch den Imperatore Francesco Giuseppe „sehr gefreut hätte“.