Mit Mut zum Experiment
Wohnformen. Ist der klassische Wohnbau noch gefragt? Einige Alternativen.
In Zeiten, in denen man an allen Ecken und Enden der sozialen Netzwerke appetitliche Bilder von Tiny Houses und sonstigen exotischen Möglichkeiten wie Wohnwagen präsentiert bekommt, stellt sich die Frage, ob klassische Wohnformen etwas aus dem Mainstream rücken. Und wie so oft scheint das Internet eine verzerrte Wahrnehmung zu befördern: „Wohnwagen und Tiny Houses sind Randerscheinungen. Sie sind nicht für jeden und jede tauglich. Wohnwagen sind relativ teuer, klein und höchst individualisiert. Sie wirken eigentlich all den notwendigen Bemühungen eines Miteinanders entgegen“, sagt Architektin Sabine Pollak. Tiny Houses sähen lustig aus, verbrauchten aber wiederum wertvolle Fläche und seien im Grunde etwas kleinere Einfamilienhäuser.
Ergänzung oder Umgestaltung?
Auch Architekt Alfred Willinger sieht diese Wohnformen, die die Zersiedelung fördern, kritisch, „wegen des insgesamt höheren Bodenverbrauchs und auch Energie- und Ressourcenaufwands.“Er geht aber davon aus, dass ein diverses Angebot an Wohnformen vorteilhaft ist: „Vor allem WG-ähnliche Wohnformen oder auch Cluster-Wohnungen regen an, Gemeinschaft zu leben, und beugen Vereinsamung vor.“Unter ClusterWohnungen versteht man eine Kreuzung zwischen einer WG und einer Kleinwohnung. Jeder Bewohner hat sein eigenes Zimmer inklusive Bad und optionaler Kochnische, der Rest gehört allen. Eine Gestaltung wie diese lässt ein Maximum an gemeinschaftlichem Leben zu und ermöglicht zugleich den Rückzug in die eigene Wohnung.
Es seien neue Wohnformen entstanden, die allerdings zu den klassischen eine Ergänzung bilden und diese nicht ersetzen, sagt die Familiensoziologin Christine Geserick. Die Art des Wohnens habe sich immer
verändert: „Bereits um die Jahrhundertwende, im Zuge der Industrialisierung, wurde in Europas rapide wachsenden Städten Wohnraum geteilt – aus ökonomischen Gründen. In Wien gab es die sogenannten Bettgeher, die vom Land stammten, in der Stadt arbeiteten und dort lediglich ein Bett zum Schlafen beim Hauptmieter anmieteten, weil sie sich eine eigene Wohnung nicht leisten konnten.“
Manche Entwicklungen werden zu positiven Trends erklärt, weil sie „eher Erfordernis als Wunschvorstellung sind, und zwar im Zusammenhang mit finanzieller Leistbarkeit“. Dazu zählen beispielsweise Wohngemeinschaften,
die aus einem gewissen wirtschaftlichen Zwang heraus gebildet werden, etwa WGs für Flüchtlinge. Andere wiederum finden sich bewusst, weil sie dies als Zusammenleben unter Gleichgesinnten verstehen. „Ein Trend ist in diesem Zusammenhang das sogenannte Cohousing“, erläutert Geserick. Es verfolge den Gemeinschaftsgedanken, sei aber keine klassische WG, da die Bewohner keinen gemeinsamen Haushalt führten, sondern in einer eigenen Wohneinheit wohnten, der aber um Gemeinschaftseinrichtungen wie gemeinsame Küche, Fitnessstudio und Garten ergänzt werde. Ein Beispiel dafür ist das Projekt „Lebensraum“in Gänserndorf-Süd, das erste seiner Art in Österreich. Seit 2005 leben 20 Kilometer von Wien entfernt Menschen in 32 Wohneinheiten mit eigenen Gärten und viel Gemeinschaftsfläche.
Eines der aktuellsten Projekte entsteht gerade in Linz. Dort soll bis 2023 das Wohnbauprojekt „Cohousing Holzstraße“im Stadtteil Kaplanhof vollendet sein. Die zentrale Idee für das geplante fünfgeschoßige Gebäude will modernes, urbanes Leben in individuell gestalteten Wohnungen ermöglichen, gleichzeitig aber auch das Miteinander anstelle des sonst eher üblichen Nebeneinanders in den Mittelpunkt der Hausgemeinschaft stellen.
Persönliche Wohnform finden
Doch wie stellt man es an, die richtige Wohnform für sich zu finden zwischen Wohnwagen, WG und Cohousing-Projekten? „Romantische Gedanken verbannen, realistisch auf die eigene Zukunft schauen, Wünsche und Bedürfnisse mit finanziellen Möglichkeiten abwägen und dann eine überlegte Entscheidung treffen“, rät Thomas Morgl, Geschäftsführer des Projektentwicklungsunternehmens Silver Living. Es ist spezialisiert auf Generationenwohnen, aber auch auf studentisches Wohnen. „Was man braucht, ist eine Durchmischung, und zwar
weg vom klassischen, ,anonymisierten‘ Wohnen hin zu Wohnraum, der Platz für Bewohner unterschiedlichster Generationen bietet“, meint Morgl. Und man muss Wohnen ausprobieren können, sagt Architektin Pollak. Besonders junge Menschen: „Das, was früher der Normalfall war, dass junge Leute so lang immer wieder umziehen, bis es eben dann einmal reicht, ist heute nicht mehr so einfach. Zimmer für Studierende oder junge Menschen im Beruf sind sehr teuer, und daher können die Erfahrungen oft gar nicht gemacht werden. Dennoch – jede und jeder sollte einmal in einer Wohngemeinschaft gewohnt haben, um Erfahrungen im Teilen gemacht zu haben“, ist die Architektin überzeugt.
Der Markt reagiert darauf bislang nicht sehr intensiv. „Es gibt schon viel, das Angebot steigt, zugleich steigen aber auch die Preise“, sagt Pollak. Zunehmend gefragt seien nämlich auch Serviced Appartements – eine Mischung aus Hotel und Wohnung. Die meist kleinen, möblierten Einheiten befinden sich in einem Haus mit Portier, Dienstleistungen von Post über Essensbestellungen bis zu Wäsche und Reinigung sind möglich. Fitness, Spa, Meeting- und Partyräume befinden sich häufig ebenfalls im Haus. „Das alles hat seinen Preis, genutzt wird es von Expats, begüterten Studenten und Pensionisten. Mitunter wird aber auch ganz normalem Wohnraum ein Etikett umgehängt“, kritisiert Pollak. Ein paar Balkone und Farben seien zu wenig, um Wohnen attraktiv zu machen. Auch fehle ihrer Ansicht nach der Mut zum experimentellen Wohnbau. Darunter verstehe man die Verbindung zwischen einer praktisch-technischen Ebene im Wohnbau und der sozialen Ebene, die Integration, Austausch, Beschäftigung und/oder Lernen ermöglicht. Architekt Willinger geht es eindeutig zu langsam: „Wir müssen hier als Gesellschaft agieren, auf die großen Herausforderungen an uns im Sinne einer Verantwortung für die Zukunft reagieren.“