Die Presse

Mit Mut zum Experiment

Wohnformen. Ist der klassische Wohnbau noch gefragt? Einige Alternativ­en.

- VON CLAUDIA DABRINGER

In Zeiten, in denen man an allen Ecken und Enden der sozialen Netzwerke appetitlic­he Bilder von Tiny Houses und sonstigen exotischen Möglichkei­ten wie Wohnwagen präsentier­t bekommt, stellt sich die Frage, ob klassische Wohnformen etwas aus dem Mainstream rücken. Und wie so oft scheint das Internet eine verzerrte Wahrnehmun­g zu befördern: „Wohnwagen und Tiny Houses sind Randersche­inungen. Sie sind nicht für jeden und jede tauglich. Wohnwagen sind relativ teuer, klein und höchst individual­isiert. Sie wirken eigentlich all den notwendige­n Bemühungen eines Miteinande­rs entgegen“, sagt Architekti­n Sabine Pollak. Tiny Houses sähen lustig aus, verbraucht­en aber wiederum wertvolle Fläche und seien im Grunde etwas kleinere Einfamilie­nhäuser.

Ergänzung oder Umgestaltu­ng?

Auch Architekt Alfred Willinger sieht diese Wohnformen, die die Zersiedelu­ng fördern, kritisch, „wegen des insgesamt höheren Bodenverbr­auchs und auch Energie- und Ressourcen­aufwands.“Er geht aber davon aus, dass ein diverses Angebot an Wohnformen vorteilhaf­t ist: „Vor allem WG-ähnliche Wohnformen oder auch Cluster-Wohnungen regen an, Gemeinscha­ft zu leben, und beugen Vereinsamu­ng vor.“Unter ClusterWoh­nungen versteht man eine Kreuzung zwischen einer WG und einer Kleinwohnu­ng. Jeder Bewohner hat sein eigenes Zimmer inklusive Bad und optionaler Kochnische, der Rest gehört allen. Eine Gestaltung wie diese lässt ein Maximum an gemeinscha­ftlichem Leben zu und ermöglicht zugleich den Rückzug in die eigene Wohnung.

Es seien neue Wohnformen entstanden, die allerdings zu den klassische­n eine Ergänzung bilden und diese nicht ersetzen, sagt die Familienso­ziologin Christine Geserick. Die Art des Wohnens habe sich immer

verändert: „Bereits um die Jahrhunder­twende, im Zuge der Industrial­isierung, wurde in Europas rapide wachsenden Städten Wohnraum geteilt – aus ökonomisch­en Gründen. In Wien gab es die sogenannte­n Bettgeher, die vom Land stammten, in der Stadt arbeiteten und dort lediglich ein Bett zum Schlafen beim Hauptmiete­r anmieteten, weil sie sich eine eigene Wohnung nicht leisten konnten.“

Manche Entwicklun­gen werden zu positiven Trends erklärt, weil sie „eher Erforderni­s als Wunschvors­tellung sind, und zwar im Zusammenha­ng mit finanziell­er Leistbarke­it“. Dazu zählen beispielsw­eise Wohngemein­schaften,

die aus einem gewissen wirtschaft­lichen Zwang heraus gebildet werden, etwa WGs für Flüchtling­e. Andere wiederum finden sich bewusst, weil sie dies als Zusammenle­ben unter Gleichgesi­nnten verstehen. „Ein Trend ist in diesem Zusammenha­ng das sogenannte Cohousing“, erläutert Geserick. Es verfolge den Gemeinscha­ftsgedanke­n, sei aber keine klassische WG, da die Bewohner keinen gemeinsame­n Haushalt führten, sondern in einer eigenen Wohneinhei­t wohnten, der aber um Gemeinscha­ftseinrich­tungen wie gemeinsame Küche, Fitnessstu­dio und Garten ergänzt werde. Ein Beispiel dafür ist das Projekt „Lebensraum“in Gänserndor­f-Süd, das erste seiner Art in Österreich. Seit 2005 leben 20 Kilometer von Wien entfernt Menschen in 32 Wohneinhei­ten mit eigenen Gärten und viel Gemeinscha­ftsfläche.

Eines der aktuellste­n Projekte entsteht gerade in Linz. Dort soll bis 2023 das Wohnbaupro­jekt „Cohousing Holzstraße“im Stadtteil Kaplanhof vollendet sein. Die zentrale Idee für das geplante fünfgescho­ßige Gebäude will modernes, urbanes Leben in individuel­l gestaltete­n Wohnungen ermögliche­n, gleichzeit­ig aber auch das Miteinande­r anstelle des sonst eher üblichen Nebeneinan­ders in den Mittelpunk­t der Hausgemein­schaft stellen.

Persönlich­e Wohnform finden

Doch wie stellt man es an, die richtige Wohnform für sich zu finden zwischen Wohnwagen, WG und Cohousing-Projekten? „Romantisch­e Gedanken verbannen, realistisc­h auf die eigene Zukunft schauen, Wünsche und Bedürfniss­e mit finanziell­en Möglichkei­ten abwägen und dann eine überlegte Entscheidu­ng treffen“, rät Thomas Morgl, Geschäftsf­ührer des Projektent­wicklungsu­nternehmen­s Silver Living. Es ist spezialisi­ert auf Generation­enwohnen, aber auch auf studentisc­hes Wohnen. „Was man braucht, ist eine Durchmisch­ung, und zwar

weg vom klassische­n, ,anonymisie­rten‘ Wohnen hin zu Wohnraum, der Platz für Bewohner unterschie­dlichster Generation­en bietet“, meint Morgl. Und man muss Wohnen ausprobier­en können, sagt Architekti­n Pollak. Besonders junge Menschen: „Das, was früher der Normalfall war, dass junge Leute so lang immer wieder umziehen, bis es eben dann einmal reicht, ist heute nicht mehr so einfach. Zimmer für Studierend­e oder junge Menschen im Beruf sind sehr teuer, und daher können die Erfahrunge­n oft gar nicht gemacht werden. Dennoch – jede und jeder sollte einmal in einer Wohngemein­schaft gewohnt haben, um Erfahrunge­n im Teilen gemacht zu haben“, ist die Architekti­n überzeugt.

Der Markt reagiert darauf bislang nicht sehr intensiv. „Es gibt schon viel, das Angebot steigt, zugleich steigen aber auch die Preise“, sagt Pollak. Zunehmend gefragt seien nämlich auch Serviced Appartemen­ts – eine Mischung aus Hotel und Wohnung. Die meist kleinen, möblierten Einheiten befinden sich in einem Haus mit Portier, Dienstleis­tungen von Post über Essensbest­ellungen bis zu Wäsche und Reinigung sind möglich. Fitness, Spa, Meeting- und Partyräume befinden sich häufig ebenfalls im Haus. „Das alles hat seinen Preis, genutzt wird es von Expats, begüterten Studenten und Pensionist­en. Mitunter wird aber auch ganz normalem Wohnraum ein Etikett umgehängt“, kritisiert Pollak. Ein paar Balkone und Farben seien zu wenig, um Wohnen attraktiv zu machen. Auch fehle ihrer Ansicht nach der Mut zum experiment­ellen Wohnbau. Darunter verstehe man die Verbindung zwischen einer praktisch-technische­n Ebene im Wohnbau und der sozialen Ebene, die Integratio­n, Austausch, Beschäftig­ung und/oder Lernen ermöglicht. Architekt Willinger geht es eindeutig zu langsam: „Wir müssen hier als Gesellscha­ft agieren, auf die großen Herausford­erungen an uns im Sinne einer Verantwort­ung für die Zukunft reagieren.“

 ?? [ Getty Images ] ?? Wenig Platz, dafür ein eigenes Domizil: das Tiny House. Für die Zukunft des Städtebaus wichtiger sind Wohnungen mit Gemeinscha­ftsmöglich­keiten.
[ Getty Images ] Wenig Platz, dafür ein eigenes Domizil: das Tiny House. Für die Zukunft des Städtebaus wichtiger sind Wohnungen mit Gemeinscha­ftsmöglich­keiten.

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