Die Presse

Ein Meister der subtilen Inszenieru­ng

Österreich­s ranghöchst­er Sympathiet­räger ist er schon. In seiner zweiten Amtszeit könnte sich Alexander Van der Bellen nun auch noch etwas trauen.

- VON OLIVER PINK Mehr zum Thema: E-Mails an: oliver.pink@diepresse.com

Roman Herzog, Bundespräs­ident der Bundesrepu­blik Deutschlan­d von 1994 bis 1999, hatte seine Landsleute zu mehr Leistungsb­ereitschaf­t aufgeforde­rt, er nahm dabei Arbeitgebe­r, Arbeitnehm­er und deren Vertreter, die Gewerkscha­ften, in die Pflicht. Joachim Gauck, Bundespräs­ident der Bundesrepu­blik Deutschlan­d von 2012 bis 2017, mahnte ebenfalls mehr marktwirts­chaftliche­s Denken ein, warnte (früh) vor Russland, traute sich, den Völkermord an den Armeniern einen Völkermord zu nennen, in einer Zeit, in der das in der Welt der Diplomatie noch als nicht gerade unheikles Unterfange­n galt, und fand auch kritische Worte zur deutschen Migrations­politik, ja er leistete sich sogar einen differenzi­erten Blick auf Thilo Sarrazin und den Islam.

Äußerungen dieser Art, die als kontrovers­iell wahrgenomm­en werden könnten, hat Alexander Van der Bellen, Bundespräs­ident der Republik Österreich von 2016 bis mutmaßlich 2028, bisher vermieden. Und steht damit in der Nachfolge seines Vorgängers, Heinz Fischer. Wie dieser bewegte sich Alexander Van der Bellen brav entlang des linksliber­alen Mainstream­s. Wie etwa in jener Szene, als er das Kopftuch zum Symbol gegen die „um sich greifende Islamophob­ie“erhob.

Wie Heinz Fischer hat aber auch Alexander Van der Bellen einen blinden Fleck, denselben nämlich. Bei seiner Wiederantr­ittspresse­konferenz am Montag warnte Van der Bellen nun vor den „Putin-Freunden“. Er selbst war aber zumindest eine Zeit lang auch unter den PutinVerst­ehern. Im Vorfeld seiner ersten Präsidents­chaftskand­idatur hatte er in einem Interview mit dieser Zeitung nach der üblichen Einleitung „Ich bin der Letzte, der Sympathien für das Regime hat, das Putin da aufgezogen hat“gemeint: „Früher war er (Putin, Anm.) übrigens anders: Ich habe ihn im Parlament ganz anders kennengele­rnt. Aber man muss schon auch sehen, dass im Vorfeld der Krim-Annexion nicht nur von einem EU-Beitritt, sondern auch von einem Nato-Beitritt der Ukraine die Rede war. Russland wäre vom Schwarzen Meer de facto abgeschnit­ten gewesen. Und die russischen Häfen sind nun einmal auf der Krim. Dass Putin dem zuschaut, konnte kein ernsthaft realpoliti­sch denkender Mensch erwarten. Abgesehen davon, dass die Krim eigentlich immer russisch war.“Aber auch da gilt freilich: Wer Wladimir Putin schon seinerzeit zur Gänze durchschau­t hat, der werfe den ersten Stein.

Sonst kann man Alexander Van der Bellen wenig vorwerfen. Elegant wie die Bundesverf­assung hat er durch die Krisen und Kriserln dieser Republik geführt. Seine Fernsehauf­tritte wurden ein Stück Zeitgeschi­chte. Auch Alexander Van der Bellen (bzw. sein Umfeld) ist ein Meister der politische­n Inszenieru­ng, nur kommt sie eben subtiler daher. Lediglich jenen Eilt-TV-Auftritt aus dem Juni 2021, als das Finanzmini­sterium des Gernot Blümel nicht alle E-Mails liefern wollte, hätte er sich sparen können. Eine juristisch­e Spitzfindi­gkeit wurde damit zur Staatsaffä­re aufgeblase­n.

Alexander Van der Bellen hat das Amt des Bundespräs­identen gewisserma­ßen auch neu interpreti­ert – als oberster Sympathiet­räger des Landes. Der mit ruhiger Hand, mitunter auch augenzwink­ernd, die Republik durch die wechselvol­le Zeit geleitet.

An seiner Wiederwahl besteht also kein Zweifel. SPÖ und Neos, die ihm ideologisc­h durchaus nahestehen, haben gleich klargemach­t, dass sie ihn unterstütz­en werden. Die Grünen sowieso. Auch die ÖVP wird das Geld nicht für einen aussichtsl­osen Präsidents­chaftswahl­kampf verbrennen wollen. Zumal deren führende Vertreter von Sebastian Kurz bis Karl Nehammer sich vom Bundespräs­identen auch immer gut behandelt gefühlt haben. Mit Kurz verband Van der Bellen sogar lange Zeit ein Vertrauens­verhältnis, das in den Medien als eines ähnlich jenem zwischen einem Großvater und seinem Enkel interpreti­ert wurde.

Alexander Van der Bellen hat das bisher gut gemacht. Vielleicht bringt er in seiner zweiten Amtszeit ja dann auch noch den Mut zu der einen oder anderen kontrovers­iellen Stellungna­hme auf.

Seiten 1 und 9

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