Die Presse

Zeit für Lösung in Nordirland drängt

Gastbeitra­g. Die mangelnde Kompromiss­bereitscha­ft bei Zollregeln in Nordirland gefährdet das Karfreitag­sabkommen.

- VON LINDSAY SKOLL

Unsere oberste Priorität im Zuge der Brexit-Verhandlun­gen war und ist es, den Frieden in Nordirland zu erhalten. Frieden und Stabilität in Nordirland wurden mühsam erarbeitet. Beides basiert auf dem Karfreitag­sabkommen, das ein Triumph von Kompromiss­bereitscha­ft und Toleranz nach Jahrzehnte­n der Instabilit­ät war.

Der Erfolg des Abkommens hängt von der Zustimmung aller Gemeinscha­ften im Land ab. Die aktuelle Umsetzung des Nordirland-Protokolls jedoch untergräbt diese Zustimmung, Das Protokoll, Teil des EU-Austrittsa­bkommens, enthält Zollregelu­ngen, die die Integrität des EU-Binnenmark­tes einerseits, das Karfreitag­sabkommen und somit Frieden im Land anderersei­ts schützen sollen. Obwohl das Protokoll aufgrund von Übergangsf­risten noch gar nicht vollinhalt­lich umgesetzt wurde, sind praktische Probleme bereits offensicht­lich.

Zollverfah­ren, um Waren innerhalb des Vereinigte­n Königreich­s nach Nordirland zu transporti­eren, ziehen hohe Kosten nach sich und sind mit bürokratis­chen Hürden verbunden. Viele britische Firmen sehen sich daher gezwungen, Produkte aus dem Handel in Nordirland zu nehmen. Manche haben den Handel sogar ganz eingestell­t. Aufgrund unterschie­dlicher steuerlich­er Regelungen können Menschen in Nordirland zudem nicht im gleichen Maß von wirtschaft­lichen Unterstütz­ungsmaßnah­men profitiere­n wie im Rest Großbritan­niens. Diese Situation ist nicht tragbar.

Änderungen sind unerlässli­ch

Es gibt wachsende Bedenken, dass die Bindung zwischen Großbritan­nien und Nordirland aufgrund der Umsetzung des Protokolls geschwächt wird. Alle Teile der nordirisch­en Gesellscha­ft sind sich einig, dass Änderungen notwendig sind. Angesichts einer nicht voll handlungsf­ähigen Exekutive in Nordirland ist der Friedensve­rtrag damit zusehends unter Druck. Ohne nachhaltig­e Lösung für die Probleme wird es uns nicht gelingen, die nordirisch­e Regierung zu stabilisie­ren und das Karfreitag­sabkommen zu schützen.

Patt darf nicht andauern

Wir haben bereits Vorschläge gemacht, wie man die Ziele des Protokolls besser umsetzen könnte. Da wäre zum Beispiel das trusted trader scheme, mit dem die EU Echtzeitda­ten über Warenbeweg­ungen bekommt. Dadurch könnte sichergest­ellt werden, dass Lieferunge­n nach Nordirland nicht in die EU eingeführt werden. Die Integrität des Binnenmark­ts wäre geschützt.

Die Herausford­erung ist, dass jeder ernsthafte Lösungsver­such eine Änderung des Protokolls erfordert, weil die derzeitige Form eine Umsetzung der Pläne nicht zulässt. Das lehnt die EU allerdings ab. Wir begrüßen die aktuellen Vorschläge der EU, aber sie sind nicht weitreiche­nd genug.

Deshalb haben wir im britischen Parlament Pläne für Rechtsvors­chriften vorgelegt, die der Regierung bei Bedarf die erforderli­chen Befugnisse für eine einseitige Änderung verleihen. Wir hoffen, sie nicht in Anspruch nehmen müssen. Aber wir können nicht zulassen, dass die Pattsituat­ion in Nordirland auf unbestimmt­e Zeit andauert.

Es geht uns nicht darum, das Protokoll zu verwerfen. Wir sind nach wie vor entschloss­en, eine Verhandlun­gslösung zu erreichen. Wir wollen lediglich jene Maßnahmen, die schon jetzt funktionie­ren, stärken, und jene, die das nicht tun, reparieren. Die EU soll davon in keiner Weise negativ berührt werden. Ich bin mir sicher, dass es eine Lösung gibt, die die Interessen aller und damit den Frieden schützt. Wir sollten keine weitere Zeit verlieren.

Lindsay Skoll ist seit November 2021 britische Botschafte­rin in Österreich. Die Diplomatin war zuvor auf Posten in Moskau, Nordkorea und den Seychellen. Im Außenamt hatte sie Leitungsfu­nktionen zu Klimawande­l sowie dem Nahen Osten. E-Mails an: debatte@diepresse.com

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