Zeit für Lösung in Nordirland drängt
Gastbeitrag. Die mangelnde Kompromissbereitschaft bei Zollregeln in Nordirland gefährdet das Karfreitagsabkommen.
Unsere oberste Priorität im Zuge der Brexit-Verhandlungen war und ist es, den Frieden in Nordirland zu erhalten. Frieden und Stabilität in Nordirland wurden mühsam erarbeitet. Beides basiert auf dem Karfreitagsabkommen, das ein Triumph von Kompromissbereitschaft und Toleranz nach Jahrzehnten der Instabilität war.
Der Erfolg des Abkommens hängt von der Zustimmung aller Gemeinschaften im Land ab. Die aktuelle Umsetzung des Nordirland-Protokolls jedoch untergräbt diese Zustimmung, Das Protokoll, Teil des EU-Austrittsabkommens, enthält Zollregelungen, die die Integrität des EU-Binnenmarktes einerseits, das Karfreitagsabkommen und somit Frieden im Land andererseits schützen sollen. Obwohl das Protokoll aufgrund von Übergangsfristen noch gar nicht vollinhaltlich umgesetzt wurde, sind praktische Probleme bereits offensichtlich.
Zollverfahren, um Waren innerhalb des Vereinigten Königreichs nach Nordirland zu transportieren, ziehen hohe Kosten nach sich und sind mit bürokratischen Hürden verbunden. Viele britische Firmen sehen sich daher gezwungen, Produkte aus dem Handel in Nordirland zu nehmen. Manche haben den Handel sogar ganz eingestellt. Aufgrund unterschiedlicher steuerlicher Regelungen können Menschen in Nordirland zudem nicht im gleichen Maß von wirtschaftlichen Unterstützungsmaßnahmen profitieren wie im Rest Großbritanniens. Diese Situation ist nicht tragbar.
Änderungen sind unerlässlich
Es gibt wachsende Bedenken, dass die Bindung zwischen Großbritannien und Nordirland aufgrund der Umsetzung des Protokolls geschwächt wird. Alle Teile der nordirischen Gesellschaft sind sich einig, dass Änderungen notwendig sind. Angesichts einer nicht voll handlungsfähigen Exekutive in Nordirland ist der Friedensvertrag damit zusehends unter Druck. Ohne nachhaltige Lösung für die Probleme wird es uns nicht gelingen, die nordirische Regierung zu stabilisieren und das Karfreitagsabkommen zu schützen.
Patt darf nicht andauern
Wir haben bereits Vorschläge gemacht, wie man die Ziele des Protokolls besser umsetzen könnte. Da wäre zum Beispiel das trusted trader scheme, mit dem die EU Echtzeitdaten über Warenbewegungen bekommt. Dadurch könnte sichergestellt werden, dass Lieferungen nach Nordirland nicht in die EU eingeführt werden. Die Integrität des Binnenmarkts wäre geschützt.
Die Herausforderung ist, dass jeder ernsthafte Lösungsversuch eine Änderung des Protokolls erfordert, weil die derzeitige Form eine Umsetzung der Pläne nicht zulässt. Das lehnt die EU allerdings ab. Wir begrüßen die aktuellen Vorschläge der EU, aber sie sind nicht weitreichend genug.
Deshalb haben wir im britischen Parlament Pläne für Rechtsvorschriften vorgelegt, die der Regierung bei Bedarf die erforderlichen Befugnisse für eine einseitige Änderung verleihen. Wir hoffen, sie nicht in Anspruch nehmen müssen. Aber wir können nicht zulassen, dass die Pattsituation in Nordirland auf unbestimmte Zeit andauert.
Es geht uns nicht darum, das Protokoll zu verwerfen. Wir sind nach wie vor entschlossen, eine Verhandlungslösung zu erreichen. Wir wollen lediglich jene Maßnahmen, die schon jetzt funktionieren, stärken, und jene, die das nicht tun, reparieren. Die EU soll davon in keiner Weise negativ berührt werden. Ich bin mir sicher, dass es eine Lösung gibt, die die Interessen aller und damit den Frieden schützt. Wir sollten keine weitere Zeit verlieren.
Lindsay Skoll ist seit November 2021 britische Botschafterin in Österreich. Die Diplomatin war zuvor auf Posten in Moskau, Nordkorea und den Seychellen. Im Außenamt hatte sie Leitungsfunktionen zu Klimawandel sowie dem Nahen Osten. E-Mails an: debatte@diepresse.com