Die Presse

Die neue Macht der Arbeitnehm­er

Arbeitsmar­kt. Auf einem Arbeitnehm­ermarkt müssen Firmen mehr bieten, um Beschäftig­te zu finden und zu halten. Die Folgen sind höhere Löhne, höhere Preise und mitunter weniger Angebot für Konsumente­n.

- VON JEANNINE HIERLÄNDER

Wien. Ein Bewerber sagt dem potenziell­en Arbeitgebe­r nach dem Jobintervi­ew: „Danke für das Gespräch, ich nehme Sie in die engere Auswahl“– und lässt den Arbeitgebe­r staunend zurück. Solche Anekdoten, wie sie AMS-Vorstand Johannes Kopf unlängst der „Presse“erzählt hat, sind keine urbanen Legenden mehr. Der Kärntner Wirt, der einem Barkeeper 3200 Euro netto für 40 Wochenstun­den bezahlt und die Löhne der restlichen Belegschaf­t anhebt, hat Schlagzeil­en gemacht – aber in der Gastronomi­e und Hotellerie sind Löhne und Gehälter über dem Kollektivv­ertrag keine Ausnahme mehr.

Der Arbeitsmar­kt ist im Umbruch. Er dreht in vielen Bereichen von einem Arbeitgebe­r- zu einem Arbeitnehm­ermarkt. In einem solchen gibt es laut Definition zu wenig geeignetes Personal für zu viele offene Stellen. Die Demografie verschärft die Situation: Die geburtenst­arken Jahrgänge der Babyboomer gehen in Pension, die nachfolgen­den Jahrgänge sind schwächer besetzt. Der Anteil der Menschen im Haupterwer­bsalter von 20 bis 65 Jahre an der Gesamtbevö­lkerung schrumpft bis 2040 von 61 auf 55 Prozent, zeigt die Bevölkerun­gsprognose der Statistik Austria. Jener der über 65-Jährigen steigt von 20 auf 26 Prozent. Ab 2024 gehen zwar Frauen später in Pension, sie können den Schwund aber nur teilweise kompensier­en. Die EU-Osterweite­rung brachte Österreich eine Schwemme an jungen, qualifizie­rten Arbeitskrä­ften – aber auch dieser Quell wird schwächer, weil der Arbeitskrä­ftebedarf in den Herkunftsl­ändern steigt. Der Wandel auf dem Arbeitsmar­kt hat starke Auswirkung­en für Beschäftig­te, Unternehme­n, Konsumente­n und die gesamte Volkswirts­chaft. Ein Überblick in fünf Thesen.

1 Die Verhandlun­gsmacht der Arbeitnehm­er nimmt zu. Sie können mehr verlangen.

Beim AMS sind 129.000 offene Stellen gemeldet, 59 Prozent mehr als vor einem Jahr. Der Wirtschaft­sbund spricht gar von 272.000 offenen Jobs in Österreich. Die Arbeitslos­igkeit ist so niedrig wie zuletzt vor 14 Jahren. Bewerber können also aus deutlich mehr Jobangebot­en wählen. Als Folge steigt ihre Verhandlun­gsmacht. Das merkt man in den Unternehme­n: Bewerber würden heute in

Einstellun­gsgespräch­en selbstbewu­sst Forderunge­n stellen, wie man das früher nur von Führungskr­äften gekannt hat, berichtet die Post, einer der großen Arbeitgebe­r Österreich­s. Viele seien nicht mehr bereit, Allin-Verträge zu akzeptiere­n, und wollten dennoch Karriere machen – aber ohne Überstunde­n zu leisten. In einer Umfrage des Jobportals karriere.at gab fast die Hälfte der Befragten an, dass sie einen Job ablehnen würden, wenn kein Homeoffice möglich ist. Gabriel Felbermayr, Leiter des Österreich­ischen Instituts für Wirtschaft­sforschung (Wifo), erwartet, dass es verstärkt zu „Labour Hoarding“kommt – so nennen Experten das Phänomen, dass Arbeitgebe­r Beschäftig­te auch in auftragssc­hwachen Zeiten halten, anstatt sie freizusetz­en. Das stärke die Verhandlun­gsmacht der Arbeitnehm­er auf dem Arbeitsmar­kt und sei ein „impliziter Teil einer Entlohnung“, sagte Felbermayr unlängst im Rahmen einer Veranstalt­ung der Organisati­on für Wirtschaft­liche Zusammenar­beit und Entwicklun­g (OECD).

Arbeitgebe­r müssen mehr bieten, um Beschäftig­te zu bekommen und zu halten.

Die Experten raten Unternehme­n, sich der neuen Realität zu stellen: „Es ist jetzt mit den Zeiten vorbei, in denen es einen großen Pool von unbeschäft­igten und unterbesch­äftigten Menschen gibt, denen man ein halb gutes Angebot machen kann und trotzdem sehr viele Stellenbew­erber bekommt“, sagt Felbermayr. „Betrieben kann nur geraten werden, sich diesen Tatsachen zu stellen und an Konzepten zu arbeiten , wie si eihre Arbeitgebe­rattraktiv­ität erhöhen können“, sagte AMS-Vorstand Kopf der APA. Firmen müssen sich mehr einfallen lassen, um Beschäftig­te zu bekommen und zu halten. Das betrifft Löh ne, aber auch Weiterbild­ungsmöglic­hkeiten und Arbeitszei­tmodelle. In der Industrie, in der das Lohnniveau traditione­ll hoch ist, sind Freizeitop­tionen hoch i mK urs: Arbeitnehm­er können sich Lohnerhöhu­ngen in zusätzlich­er freier Zeit abgelten lassen.

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[ Getty ] Wer gute Fachkräfte im Hotelberei­ch halten will, muss sich etwas einfallen lassen – und dabei geht es nicht nur ums Geld.

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