„Es ist eine gute Zeit, um mehr zu fordern“
Interview. GPA-Chefin Barbara Teiber will keine Abstriche in der Lohnrunde machen – trotz Teuerungsausgleichs.
Die Presse: Die Zahl der offenen Stellen ist auf einem Rekordhoch, die Betriebe werben um Arbeitnehmer, statt Arbeitnehmer um Jobs. Braucht es in so einer Situation überhaupt noch eine Gewerkschaft? Barbara Teiber: Ja, jedenfalls. Es stimmt, dass es Arbeitnehmer beim Einstieg jetzt einfacher haben und durchaus Bedingungen stellen können. Wir unterstützen die Menschen dabei, wie man solche Gespräche führt, und zeigen, welche Durchschnittsgehälter es in einer Branche gibt. Und es ist auch wichtig, wenn man schon im Job ist, regelmäßige Gehalts- und Lohnerhöhungen zu bekommen. Und das kriegt man nur mit einer starken Gewerkschaft.
Wobei sich das ja gerade wandelt, weil Betriebe viel bieten müssen, um Mitarbeiter zu bekommen und zu halten. Da sind Beschäftigte weniger auf die Gewerkschaft angewiesen, weil sie sich die Lohnerhöhungen leichter selbst holen können.
Aber viel zu wenige tun das auch. Gerade Frauen treten im Job zu wenig selbstbewusst auf. Wir wollen zeigen, dass man nicht nur beim Berufseinstieg verhandeln kann, sondern auch, wenn man schon im Job ist. Das betrifft die Löhne und Gehälter, aber auch die Rahmenbedingungen wie die
Arbeitszeit, Vergünstigungen wie das Klimaticket. Es ist jetzt einfach eine gute Zeit, um mehr zu fordern.
Unlängst ging die Geschichte eines Gastwirts durch die Medien, der einem Barkeeper 3200 Euro netto für eine 40-StundenWoche geboten hat, weil er sonst niemanden findet. Viele Unternehmen sagen, sie bieten Überzahlungen an. Sind das Einzelfälle, oder können Sie das bestätigen?
Durchaus, wir sehen das in vielen Branchen. Hier wirken Angebot und Nachfrage, die Löhne und Gehälter gehen teilweise in die Höhe. Leider gibt es auch Arbeitgeber, die nach wie vor zu niedrige Gehälter anbieten in Verbindung mit unattraktiven Arbeitszeiten. Die tun sich aktuell natürlich schwer.
Der Gewerkschaftsbund hatte vor 30 Jahren 1,6 Millionen Mitglieder, heute sind es 1,2 Millionen, trotz steigender Beschäftigung. Wird die Gewerkschaft ein Programm für Geringqualifizierte?
In der GPA haben wir ein Wachstum, sogar vergangenes Jahr während der Pandemie. Bei uns nimmt der Mitgliederstand unter den Akademikern zu. Was für eine Gewerkschaft natürlich eine Herausforderung ist, ist, dass es immer weniger große Unternehmen gibt, wo man an einem Standort Zigtausende Beschäftigte vor Ort hat. Auch Phänomene wie Home-Office, viele Filialen sind eine Herausforderung. Aber wir nehmen sie gern an und freuen uns vor allem, dass unter jungen Menschen der Zuspruch zu den Gewerkschaften steigt, gerade in unsicheren Zeiten.
Die Zeiten sind unsicher, aber für Arbeitnehmer so gut wie lang nicht.
Wir haben multiple Krisen. Auf der anderen Seite ist das nicht eingetroffen, was viele prophezeit haben: Dass die Digitalisierung, der Wandel in der Wirtschaft, dazu führt, dass wir Massenarbeitslosigkeit haben und immer weniger Jobs. Genau das Gegenteil ist der Fall. Dazu kommt, dass die Babyboomer in Pension gehen und der Zuzug von Arbeitskräften aus dem Osten zurückgeht, weil Gott sei Dank auch dort die Löhne und Gehälter anziehen und die Arbeitslosigkeit gegen null geht.
Eine gute Nachricht für die Gewerkschaft, die ja gegen Arbeitsmigration ist.
Nicht generell, aber wir haben es oft erlebt, dass miese Löhne und Gehälter gezahlt werden, weil die Arbeitgeber sagen, sie kriegen eh genug Beschäftigte aus dem Ausland, daher bieten sie nicht mehr. Das kann natürlich keine Gewerkschaft unterstützen.
Die höheren Löhne werden sich jedenfalls in höheren Preisen ausdrücken – in den USA sieht man schon, dass die Inflation auch lohngetrieben ist, in Österreich könnte das noch kommen. Da ist die Frage, ab wann man sich zum Beispiel das Essengehen nicht mehr leisten kann.
Ich finde es gut, wenn wir nicht zur Dienstbotengesellschaft werden. Dienstleistungen haben einen Wert, wenn Arbeit dahinter steckt. Die Systemerhalterinnen, in der Pflege, im Handel, der Elementarpädagogik, werden jetzt mehr gesehen, und das haben sie sich auch verdient.
Die Regierung hat bereits Maßnahmen gegen die Teuerung umgesetzt, weitere sollen folgen, etwa eine Senkung der Lohnnebenkosten. Wird das die Gewerkschaft in den Lohnverhandlungen berücksichtigen und entsprechend weniger fordern?
Nein. Wir machen sicher keine Abstriche bei den Verhandlungen über den Kollektivvertrag. Wir verhandeln über das, was ist, und das ist immer die durchschnittliche Inflation der zurückliegenden zwölf Monate plus das, was die jeweilige Branche verdient hat. Wir als Gewerkschaft werden immer schauen, dass es einen Reallohnzuwachs für die Beschäftigten gibt.
Einen Lohnabschluss mit Augenmaß wird es also im Herbst nicht geben? Stichwort Lohn-Preis-Spirale.
Wir sind als Gewerkschaft nicht unvernünftig und waren es nie. Wir verlangen das, was die Kolleginnen verdienen. Mich ärgert dieses Argument der Lohn-Preis-Spirale total. Wir bringen ja die Inflation nicht zum Steigen, sondern verhandeln über die Inflation als Ausgangsbasis, plus die Produktivität. Insofern wird die Lohnforderung noch stark steigen in Richtung Herbst.
ZUR PERSON
Barbara Teiber (44) startete ihre Karriere als Frauensekretärin der Gewerkschaft der Privatangestellten (GPA) in Wien. 2015 stieg sie in die Bundesgeschäftsführung auf, seit Juni 2018 ist sie Bundesvorsitzende der GPA, die mit 280.000 Mitgliedern die größte Teilgewerkschaft im ÖGB ist. Teiber sitzt auch im Verwaltungsrat der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK).