Die Demografie ist die tickende Zeitbombe für den Sozialstaat
Heute führt die Demografie zu Arbeitskräftemangel und höheren Löhnen. Morgen sorgt sie für den Kollaps des Pensionssystems und Altersarmut.
Die Vorzeichen stehen bekanntlich auf Sturm. Gemeint sind die Kollektivvertragsverhandlungen im Herbst. Da wollen die Gewerkschafter, dass es in den Geldbörsen ordentlich „raschelt“, wie ÖGB-Chef Wolfgang Katzian zu sagen pflegt. Und dieser Anspruch scheint ja auch völlig legitim. Schließlich liegt die Teuerung jenseits der sieben Prozent und beschert den Arbeitnehmerinnen reale Einkommensverluste. Und wer nicht anständig bezahlt, hat auf lange Sicht ohnehin keine Chance, ordentliche Mitarbeiter zu bekommen. Die Demografie spricht eine deutliche Sprache. Es fehlt an allen Ecken und Enden an Arbeitskräften. Nicht nur an Fachleuten, es fehlt generell an Personal. Zuletzt sorgte ein Kärntner Wirt für Aufsehen, der einen Barkeeper suchte und dafür mehr als 3000 Euro netto bot.
Wir leben also in einer Zeit, in der endlich wieder die Arbeitskraft am längeren Hebel sitzt, und nicht das Kapital, mögen manche denken. Marx und Engels rotieren vor Freude im Grab, und die Gewerkschaft feiert ein Revival.
Aber was ist mit morgen und übermorgen? Wer höhere Löhne fordert, der sollte gleichzeitig aber auch für eine längere Lebensarbeitszeit plädieren. Sonst endet die Sache für den Sozialstaat nämlich in einem Desaster.
Vieles ist dieser Tage voller Unsicherheit. Pandemie, Krieg, Lieferengpässe: Prognosen sind da, um schnell wieder revidiert zu werden. Die Entwicklung der Bevölkerung hingegen lässt sich ziemlich genau berechnen. In 50 Jahren werden die Österreicherinnen und Österreicher im Schnitt um 7,5 Jahre länger leben. Bleibt aber das gesetzliche Pensionsalter bis dahin bei 65, dann wird sich das nach Adam Riese nicht ausgehen. Zumindest nicht, wenn man will, dass mit diesen Pensionen auch ein menschenwürdiges Dasein möglich ist.
Höhere Lebenserwartung bedeutet aber auch höhere Pflegebedürftigkeit, sagt Dénes Kucsera von der Agenda Austria. Heute leben etwa 200.000 Menschen über 85 in Österreich, 2070 werden mehr als 700.000 dieses hohe Alter überschreiten. Wer pflegt sie dann? Es ist ja heute schon schwer, die Pflege auf die Reihe zu bekommen.
Die Demografie mag zwar kurzfristig dazu führen, dass die Arbeitslosigkeit verhältnismäßig niedrig ist und das Griss um gut ausgebildete Leute zunimmt. Das sind, wie man bei uns sagt, aber eher temporäre „Zufallsgewinne“. Mittelfristig ist die Überalterung eine tickende Zeitbombe für Sozialstaat und Demokratie.
Wer außerdem glaubt, dass die Demografie dazu führt, dass die Arbeitslosigkeit verschwindet, irrt gewaltig. Bei knapp 330.000 arbeitslos gemeldeten Menschen ist die Arbeitslosenquote so niedrig wie zuletzt vor 14 Jahren. Aber es kommt nicht darauf an, wie viele Menschen vorübergehend keinen Job haben, sondern darauf, wie viele es zurück auf den Arbeitsmarkt schaffen. Diese Zahl sinkt dramatisch. Arbeitskräftemangel ist kein Garant für niedrige Arbeitslosigkeit. Und die Segnungen der Digitalisierung und der Einsatz künstlicher Intelligenz werden die Arbeitslosigkeit neu befeuern.
Was dagegen zu tun ist, ist seit Langem bekannt, wird aber viel zu wenig gemacht. Nicht exzessive Lohnforderungen, sondern eine massive steuerliche Entlastung des Faktors Arbeit inklusive Abschaffung der kalten Progression wäre ein Ansatz. Und das beste Mittel gegen Arbeitslosigkeit sind bekanntlich Bildung und Integration.
Und während darüber debattiert wird, wie schwierig es sein soll, die österreichische Staatsbürgerschaft zu erlangen, verabschieden sich jedes Jahr mehr als 100.000 Menschen ins Ausland, weil sie offenbar in Österreich keine Perspektive für sich sehen. Statt immerzu die gleiche Leier über Einwanderung abzusondern, wäre ein Blick in die Auswanderungsstatistik angebracht. Der Großteil der Auswanderer ist zwischen 20 und 40 Jahre alt. Vor der Pandemie nahm die Zahl jener stetig zu, die Österreich den Rücken kehrten. Der globale Wettbewerb wird härter. Es geht längst nicht mehr nur darum, Arbeitskräfte ins Land zu bringen. Sie zu halten wäre mindestens genauso wichtig.