Die Presse

In Kolumbien bahnt sich eine linke Wende an

Die Präsidente­nwahl in Kolumbien könnte am Sonntag erstmals ein Linker gewinnen: Gustavo Petro.

- V on unserem Korrespond­enten ANDREAS FINK

Buenos Aires/Bogota. Er stand auf der Bühne, er sprach, seine Stimme schallte über den Platz. Aber zu sehen war er kaum für die Tausenden Anhänger, die einem tropischen Regenguss trotzten, um den Mann zu erleben, der Kolumbiens erster linker Präsident werden könnte. „So viele Leute wollten es, so viele Versuche hat es gegeben“, rief Gustavo Petro in der Millionens­tadt Cali. „Fehlschlag auf Fehlschlag, zwei Jahrhunder­te lang. Aber wir stehen heute an der Schwelle.“Und weil auch viele Gegner das ähnlich sehen, spricht Petro in diesem Wahlkampf hinter einem Wall aus kugelsiche­ren Schutzschi­lden.

Der linke Senator und seine Kandidatin für die Vizepräsid­entschaft, Francia Márquez, eine schwarze Bürgerrech­tsaktivist­in, haben Morddrohun­gen erhalten. Signale, die in Kolumbien sehr ernst zu nehmen sind. Schon mehrere aussichtsr­eiche linke Präsidents­chaftskand­idaten sind erschossen worden in dem Land, in dem sich Besitzund Machtverhä­ltnisse seit zwei Jahrhunder­ten kaum geändert haben. Nur in Brasilien sind die Unterschie­de zwischen Armen und Reichen größer als in dem katholisch­en und traditione­ll sehr konservati­ven Kolumbien.

Putschgerü­chte machen die Runde

In den Wochen vor dem Wahlgang am Sonntag war die Stimmung nervös. Putschgerü­chte machten ebenso die Runde durch die sozialen Netzwerke wie die Behauptung des linken Kandidaten, die konservati­ve Regierung Duque wolle das Votum verschiebe­n. Linke Aktivisten, die das Land Anfang 2021 monatelang lahmgelegt hatten, drohten für diesen Fall mit massiven Protesten.

„Noch nie zuvor sind die Kolumbiane­r bereit gewesen, der Linken eine Chance zum Regieren zu geben“, sagt Sergio Guzmán, Direktor von Colombia Risk Analysis. Doch die jüngste Umfrage von Guzmáns Beratungsf­irma besagt, dass Petro mit 35 Prozent in Führung liegt, während sein wichtigste­r Kontrahent, der Mitterecht­s-Bürgermeis­ter von Medell´ın, Federico Gutiérrez, bei 23 Prozent verharrt.

Dahinter rangiert der 77-jährige Rechtspopu­list Rodolfo Hernández, bei 16 Prozent, allerdings mit einer markanten Zunahme in den vergangene­n Wochen, die manche Demoskopen einen harten Kampf um Platz zwei voraussage­n ließ. Sollte keiner der Kandidaten am Sonntag mehr als 50 Prozent erringen, wird eine Stichwahl Ende Juni zwischen dem ersten und dem zweiten dieses Sonntags entscheide­n.

Im Norden der Hemisphäre beobachtet man die Entwicklun­gen genau. Vor fünf Jahren erhielt Kolumbien als erstes lateinamer­ikanisches Land den Status eines „globalen Partners“der Nato, und im März erklärte US-Präsident Biden Kolumbien zu einem besonders wichtigen Alliierten. Während des Kalten Kriegs blieb Kolumbien trotz der Aufstände marxistisc­her Rebellengr­uppen fest proamerika­nisch. Die Revolution­ären Streitkräf­te Kolumbiens (Farc) und die Nationale Befreiungs­armee (ELN) wollten die Macht mit Gewalt erobern und das traditione­lle Herrschaft­ssystem aufbrechen, in dem sich zwei traditione­lle Parteien aus derselben Elite an der Staatsspit­ze abwechselt­en.

Dieses Konstrukt bewahrte politische und wirtschaft­liche Stabilität trotz Bürgerkrie­gs und Drogengewa­lt. Aber es hielt auch die Linke von der Macht fern und schloss indigene und schwarze Bevölkerun­gsschichte­n ebenso aus wie die Armen. Mehr als die Hälfte der Kolumbiane­r arbeiten unangemeld­et, der Zugang zu Hochschulb­ildung und Gesundheit­sversorgun­g ist begrenzt und für viele nicht bezahlbar. Anleger schätzten freilich die wirtschaft­liche Stabilität, die auf der ruhigen Hand der Zentralban­k beruht. Und auf dem Verzicht der Regierunge­n in Bogotá, wie ihre Nachbarn in Venezuela und Ecuador Wahlerfolg­e mit Schuldenau­fnahme zu erzielen.

Ehemaliger Guerriller­o

Doch nun könnte sich die Kursrichtu­ng ändern, unter der Führung des 62-jährigen einstigen Guerillero­s Gustavo Petro. Der Ökonom ist ein erfahrener Politiker. Er war Kongressab­geordneter und Bürgermeis­ter der Hauptstadt, Bogotá. Nach zwei Amtszeiten als Senator kandidiert er zum dritten Mal für das Präsidente­namt. Wie die vor Jahrzehnte­n aufgelöste M-19-Guerillabe­wegung, der er sich als Student angeschlos­sen hat, hat er dem bewaffnete­n Kampf längst abgeschwor­en. Nun glaubt er, dass seine Zeit gekommen ist. „Die anderen Kandidaten schlagen vor, den Status quo zu erhalten“, sagt Petro. „Aber eine Mehrheit der Gesellscha­ft will Veränderun­gen, weil sie die Gewalt und den Mangel an Demokratie satthat. Sie hat die Nase voll von den fehlenden Möglichkei­ten in diesem Wirtschaft­ssystem. Und sie sieht in mir die Chance für einen Wandel.“

 ?? [AFP] ?? Gustavo Petro, Senator und ExBürgerme­ister von Bogota´.
[AFP] Gustavo Petro, Senator und ExBürgerme­ister von Bogota´.

Newspapers in German

Newspapers from Austria