In Kolumbien bahnt sich eine linke Wende an
Die Präsidentenwahl in Kolumbien könnte am Sonntag erstmals ein Linker gewinnen: Gustavo Petro.
Buenos Aires/Bogota. Er stand auf der Bühne, er sprach, seine Stimme schallte über den Platz. Aber zu sehen war er kaum für die Tausenden Anhänger, die einem tropischen Regenguss trotzten, um den Mann zu erleben, der Kolumbiens erster linker Präsident werden könnte. „So viele Leute wollten es, so viele Versuche hat es gegeben“, rief Gustavo Petro in der Millionenstadt Cali. „Fehlschlag auf Fehlschlag, zwei Jahrhunderte lang. Aber wir stehen heute an der Schwelle.“Und weil auch viele Gegner das ähnlich sehen, spricht Petro in diesem Wahlkampf hinter einem Wall aus kugelsicheren Schutzschilden.
Der linke Senator und seine Kandidatin für die Vizepräsidentschaft, Francia Márquez, eine schwarze Bürgerrechtsaktivistin, haben Morddrohungen erhalten. Signale, die in Kolumbien sehr ernst zu nehmen sind. Schon mehrere aussichtsreiche linke Präsidentschaftskandidaten sind erschossen worden in dem Land, in dem sich Besitzund Machtverhältnisse seit zwei Jahrhunderten kaum geändert haben. Nur in Brasilien sind die Unterschiede zwischen Armen und Reichen größer als in dem katholischen und traditionell sehr konservativen Kolumbien.
Putschgerüchte machen die Runde
In den Wochen vor dem Wahlgang am Sonntag war die Stimmung nervös. Putschgerüchte machten ebenso die Runde durch die sozialen Netzwerke wie die Behauptung des linken Kandidaten, die konservative Regierung Duque wolle das Votum verschieben. Linke Aktivisten, die das Land Anfang 2021 monatelang lahmgelegt hatten, drohten für diesen Fall mit massiven Protesten.
„Noch nie zuvor sind die Kolumbianer bereit gewesen, der Linken eine Chance zum Regieren zu geben“, sagt Sergio Guzmán, Direktor von Colombia Risk Analysis. Doch die jüngste Umfrage von Guzmáns Beratungsfirma besagt, dass Petro mit 35 Prozent in Führung liegt, während sein wichtigster Kontrahent, der Mitterechts-Bürgermeister von Medell´ın, Federico Gutiérrez, bei 23 Prozent verharrt.
Dahinter rangiert der 77-jährige Rechtspopulist Rodolfo Hernández, bei 16 Prozent, allerdings mit einer markanten Zunahme in den vergangenen Wochen, die manche Demoskopen einen harten Kampf um Platz zwei voraussagen ließ. Sollte keiner der Kandidaten am Sonntag mehr als 50 Prozent erringen, wird eine Stichwahl Ende Juni zwischen dem ersten und dem zweiten dieses Sonntags entscheiden.
Im Norden der Hemisphäre beobachtet man die Entwicklungen genau. Vor fünf Jahren erhielt Kolumbien als erstes lateinamerikanisches Land den Status eines „globalen Partners“der Nato, und im März erklärte US-Präsident Biden Kolumbien zu einem besonders wichtigen Alliierten. Während des Kalten Kriegs blieb Kolumbien trotz der Aufstände marxistischer Rebellengruppen fest proamerikanisch. Die Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (Farc) und die Nationale Befreiungsarmee (ELN) wollten die Macht mit Gewalt erobern und das traditionelle Herrschaftssystem aufbrechen, in dem sich zwei traditionelle Parteien aus derselben Elite an der Staatsspitze abwechselten.
Dieses Konstrukt bewahrte politische und wirtschaftliche Stabilität trotz Bürgerkriegs und Drogengewalt. Aber es hielt auch die Linke von der Macht fern und schloss indigene und schwarze Bevölkerungsschichten ebenso aus wie die Armen. Mehr als die Hälfte der Kolumbianer arbeiten unangemeldet, der Zugang zu Hochschulbildung und Gesundheitsversorgung ist begrenzt und für viele nicht bezahlbar. Anleger schätzten freilich die wirtschaftliche Stabilität, die auf der ruhigen Hand der Zentralbank beruht. Und auf dem Verzicht der Regierungen in Bogotá, wie ihre Nachbarn in Venezuela und Ecuador Wahlerfolge mit Schuldenaufnahme zu erzielen.
Ehemaliger Guerrillero
Doch nun könnte sich die Kursrichtung ändern, unter der Führung des 62-jährigen einstigen Guerilleros Gustavo Petro. Der Ökonom ist ein erfahrener Politiker. Er war Kongressabgeordneter und Bürgermeister der Hauptstadt, Bogotá. Nach zwei Amtszeiten als Senator kandidiert er zum dritten Mal für das Präsidentenamt. Wie die vor Jahrzehnten aufgelöste M-19-Guerillabewegung, der er sich als Student angeschlossen hat, hat er dem bewaffneten Kampf längst abgeschworen. Nun glaubt er, dass seine Zeit gekommen ist. „Die anderen Kandidaten schlagen vor, den Status quo zu erhalten“, sagt Petro. „Aber eine Mehrheit der Gesellschaft will Veränderungen, weil sie die Gewalt und den Mangel an Demokratie satthat. Sie hat die Nase voll von den fehlenden Möglichkeiten in diesem Wirtschaftssystem. Und sie sieht in mir die Chance für einen Wandel.“