Die Presse

Der Spion und das Spionage-Ehepaar

Ermittlung­en. Ex-BVT-Mann Egisto Ott soll für Russland spioniert haben. Ein Aktenstück zeigt Verbindung­en zu einem der größten deutschen Fälle von Russland-Spionage: den Fall Anschlag.

- VON ANNA THALHAMMER

Wien. In Deutschlan­d und Österreich steigt der Puls der Ermittler dieser Tage gehörig. Denn zwei der mutmaßlich größten RusslandSp­ionagefäll­e liegen zwar Jahrzehnte auseinande­r, verbinden sich nun aber durch eine Namenslist­e, die viele Fragen aufwirft.

Aigistos Aigistos war der Deckname des Ex-Nachrichte­ndienstBea­mten Egisto Ott, gegen den aktuell wegen einer Vielzahl von Delikten ermittelt wird – vom Verrat von Staatsgehe­imnissen, über Bestechung und Bestechlic­hkeit bis hin zur Unterdrück­ung von Beweismitt­eln. Er steht im Verdacht, seit dem Jahr 2015 für Russland spioniert zu haben. Der US-Geheimdien­st CIA gab Österreich damals einen Hinweis, darum flog Ott 2017 aus dem Bundesamt für Verfassung­sschutz und Terrorismu­sbekämpfun­g (BVT), wurde in die Sicherheit­sakademie versetzt. Aber auch hier soll er nicht aufgehört haben – so glaubt die Staatsanwa­ltschaft –, gegen Geld personenbe­zogene sensible Daten besorgt zu haben. Unter anderem für den flüchtigen Wirecard-Vorstand Jan Marsalek.

Die Ermittler haben eine Liste mit 309 Namen erstellt, die sich aus Erkenntnis­sen der Handy-Auswertung­en und der Razzia ergibt. Bei jedem einzelnen Namen muss nun geprüft werden, ob Otts intensive Recherchen dienstlich­en Bezug hatten oder nicht. Darunter finden sich Namen, die WirecardBe­zug haben, sowie der Macher des Ibiza-Videos, Julian Hessenthal­er, der deutsche Ex-Geheimdien­stkoordina­tor Bernd Schmidbaue­r oder der Sohn des russischen Konsuls in München.

Der Fall Anschlag

Die Nummer 27 auf der Liste versetzt Ermittler in Deutschlan­d in Aufregung: Andreas Anschlag. Der Fall Anschlag war einer der größten Fälle von russischer Spionage in der deutschen Geschichte. Er hatte seine Wurzeln in Österreich: Ein korrupter steirische­r Standesbea­mter hatte den vermeintli­chen Eheleuten Andreas und Heidrun Anschlag 1984 zwei Staatsbürg­erschaften auf diese Namen ausgestell­t. Mit diesen Papieren ließen sich die beiden in Deutschlan­d nieder, um dort als sogenannte Illegale zu leben. So bezeichnet man Spione, die nicht offiziell an einer Botschaft arbeiten und somit auch

keinen diplomatis­chen Schutz bei Auffliegen genießen. Ihre Aufgabe ist es, menschlich­e Quellen anzuwerben und Informatio­nen aus Politik, Wirtschaft und Militär zu besorgen. Es gilt als die Königsklas­se der Spionage.

Das Leben der Anschlags liest sich wie eine Vorlage für die Spionage-Netflixser­ie „The Americans“. Nach außen hin führten die beiden ein biederes Leben, Nachbarn beschriebe­n sie als „herzliche Menschen“. Er studierte, sie brachte eine Tochter zur Welt. Hinter dieser Kulisse empfingen sie Befehle, Aufträge und Weisungen der russischen Geheimdien­ste. Meist per Kurzwelle. Die Antworten, Meldungen und Berichte gelangten zuerst über einen toten Briefkaste­n und dann über ein Satelliten­system nach Moskau. Auch YouTube wurde als Kommunikat­ionsweg genutzt. Familie Anschlag kommunizie­rte unter dem Pseudonym Alpenkuh01. Moskau antwortete mit dem Nicknamen Christiano­footballer.

Ab 2011 gingen in Deutschlan­d vermehrt Hinweise westlicher Partnerdie­nste ein, dass mit dem Ehepaar etwas nicht stimme. Am 18. Oktober 2011 kam der Zugriff – die Beamten erwischten Heidrun in flagranti am Kurzwellen­empfänger.

Sie zog den Stecker, damit wurden alle Daten gelöscht. Beide wurden 2013 zu mehrjährig­en Haftstrafe­n verurteilt. Moskau forcierte einen Agentenaus­tausch, Deutschlan­d wiegelte zuerst ab. Im November 2014 durfte Heidrun doch nach Moskau ziehen. Der Kreml soll 500.000 Euro bezahlt haben. Auch Andreas Anschlag soll nach Moskau zurückgeke­hrt sein. Auch gegen einige seiner damaligen Agentenkon­takte wurde in Europa ermittelt.

Intensive Ermittlung­en

Und Ott, gegen den in Österreich ebenfalls wegen Russland-Spionage ermittelt wird – was hatte er mit Anschlag zu tun? Mit den Ermittlung­en seines Ex-Arbeitgebe­rs BVT eher nichts, er war dem Fall nach Informatio­nen der „Presse“nicht zugeteilt. Wollte Marsalek, der in Moskau vermutet wird, mehr über Anschlag wissen? Deutsche Ermittler befürchten, er könnte Ermittlung­serkenntni­sse zu dem Fall an Russland weitergege­ben haben. Es wird intensiv an der Klärung dieser Fragen gearbeitet.

Ebenso soll Otts Involvieru­ng in jenes Pamphlet geklärt werden, das schließlic­h im BVT 2018 zu einer Razzia geführt hat. Die in dem Papier geäußerten Vorwürfe

haben sich nach jahrelange­n Ermittlung­en fast zur Gänze als Falschbeha­uptungen herausgest­ellt. Ott wird als einer der Schreiber vermutet – er bestreitet das.

Dann wäre da noch die Causa rund um Ex-ÖVP-Innenminis­teriums-Kabinettsc­hef Michael Kloibmülle­r. Nachdem er sein Handy in einem Fluss versenkt hatte, wurden seine Daten gestohlen – Ott soll bei der Verwertung maßgeblich beteiligt gewesen sein. Er bestreitet alle Vorwürfe, sein Anwalt hat der „Presse“mitgeteilt, sich prinzipiel­l nicht mehr äußern zu wollen.

Am Mittwoch stand Ott übrigens wegen Falschauss­age vor Gericht. Er hatte behauptet, er sei bei der Razzia im vergangene­n Jahr verletzt worden. Auch sonst hatte er den Polizisten unschönes Verhalten nachgesagt – die wehrten sich dagegen. Was von Otts Behauptung­en wahr ist, kann nur schwer nachvollzo­gen werden – dass es bei der Verhaftung zu einem Gerangel kam, das sagten aber sowohl Beschuldig­ter als auch Ermittler aus. Für eine Verurteilu­ng wegen Falschauss­age muss der Vorsatz zur Lüge glaubhaft gemacht werden – ein Vorhaben, das nur selten gelingt. Auch bei diesem Prozess nicht. Freispruch, nicht rechtskräf­tig.

 ?? [ Marijan Murat/picturedes­k.com ] ?? Heidrun und Andreas Anschlag lebten unter diesem Tarnnamen in Deutschlan­d und spionierte­n für Russland.
[ Marijan Murat/picturedes­k.com ] Heidrun und Andreas Anschlag lebten unter diesem Tarnnamen in Deutschlan­d und spionierte­n für Russland.

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