Sollen zwei Staatsbürgerschaften erlaubt sein?
Österreich. Van der Bellen plädiert für Doppelpässe – Grüne, Neos und SPÖ wären auch dafür. Realistisch scheint der Wunsch trotzdem nicht.
Wien. Ist es sinnvoll, dass eine Deutsche, die seit 20 Jahren in Österreich lebt, keine Doppelstaatsbürgerschaft bekommt? Die Frage warf Bundespräsident(schaftskandidat) Alexander Van der Bellen im „Presse“-Interview auf. Man könnte sie auch umkehren. Denn auch eine Österreicherin, die seit 20 Jahren in Deutschland lebt, kann keine Doppelstaatsbürgerin werden. Deutschland würde es zulassen, Österreich aber nicht.
Zwar gilt auch in Deutschland das Prinzip der Vermeidung von Mehrfach-Staatsbürgerschaften. Aber es gibt davon mehrere Ausnahmen. Und: Seit 2007 werden EU-Staatsangehörige und solche aus der Schweiz auch ohne speziellen Grund unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit eingebürgert – wenn es das jeweilige Herkunftsland akzeptiert. Hierzulande ist man strenger: Nur wer besondere Leistungen für die Republik erbringt, darf bei Einbürgerung seine ursprüngliche Staatsbürgerschaft behalten. Ähnliches gilt für Österreicher, die Doppelstaatsbürger werden wollen. Eine zweite Staatsbürgerschaft muss schriftlich bewilligt werden. Das wird sie nur, wenn das entweder im Interesse der Republik liegt oder aufgrund des Kindeswohls, oder wenn jemand seit Geburt an Österreicher(in)
ist und ein „besonders berücksichtigungswürdiger Grund im Privat- und Familienleben“für die Beibehaltung spricht. Durch die Geburt kann man unter bestimmten Umständen aber mehrere Staatsbürgerschaften bekommen und behalten.
Für Unionsbürger oder alle?
Ist das zu streng? Ja, finden mehrere Parteien. „Der Verzicht auf die bisherige Staatsangehörigkeit soll keine Voraussetzung für die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft mehr sein“, so die
Neos-Sprecherin für Inneres, Stephanie Krisper. Die Neos wollen für Unionsbürger(innen) „umgehende Erleichterungen“. Nach einer Evaluierung, so Krisper, „soll entschieden werden, wie weit diese Erleichterung auch auf Angehörige weiterer Staaten ausgedehnt werden kann“. Auch Auslandsösterreicher(innen) sollen ihre Staatsbürgerschaft behalten dürfen, wenn sie die Staatsbürgerschaft ihres Aufenthaltslands annehmen.
Ähnlich klingen die Grünen. „Eine ausschließliche Loyalität nur zu einem Land zu haben bildet die Lebensrealität nicht ab“, sagt Integrationssprecherin Faika El-Nagashi. Und stellt klar: „Das muss für alle, nicht nur für EU-Bürger gelten.“Allerdings gibt sich die Grüne pragmatisch: „Wenn es eine Mehrheit gibt, das Staatsbürgerschaftsrecht für EU-Bürger oder Auslandsösterreicher zu liberalisieren, kann das ein erster Schritt sein.“Dass der Koalitionspartner, die ÖVP, das anders sieht (weshalb sich im Regierungsprogramm nichts dazu findet), ist ihr bewusst: „Wir haben mit der ÖVP einen deutlichen Dissens. Es gibt Angst, das Thema anzugreifen, weil wir dann auch über türkische Doppelstaatsbürgerschaften reden“, glaubt El-Nagashi. Aber man sei „froh, wenn durch die Diskussion Druck entsteht“. Sie verweist darauf, dass man – sollte sich bei der Staatsbürgerschaft nichts bewegen – auch einzelne Bereiche der Staatsbürgerrechte (Zugang zu Wahlen etc.) liberalisieren könnte.
In die Reihen der Reformer ordnet sich auch die SPÖ ein. Ein konkretes Konzept gibt es aber nicht, vielmehr sieht man die Doppelstaatsbürgerschaften als „Teil einer Reform für ein zeitgemäßes Staatsbürgerschaftsrecht“. Den Fokus
legt man auf die über 500.000 Auslandsösterreicher(innen): „Wenn sie die dortige Staatsbürgerschaft aus beruflichen Gründen annehmen müssen, müssten sie dafür die österreichische aufgeben. Das erscheint nicht mehr zeitgemäß“, heißt es aus dem SPÖParlamentsklub.
Türkis-Blau und Südtirol
Die ÖVP ist – wie vom Koalitionspartner vermutet – gegen diese Pläne. Generalsekretärin Laura Sachslehner richtet der „Presse“aus: „Leichtfertige Vergaben von Doppelstaatsbürgerschaften würden dazu führen, dass wichtige Kriterien, wie das Erlernen der deutschen Sprache, die Unbescholtenheit und Integrationswilligkeit, außer Acht gelassen werden.“In ihrer Koalition mit den Freiheitlichen setzte sie nur eine Maßnahme in dem Bereich um: Nachfahren von NS-Opfern können die österreichische Staatsbürgerschaft erlangen und müssen ihren anderen Pass nicht zurücklegen.
Die FPÖ setzte sich aktiv nur für eine Doppelstaatsbürgerschaft ein: für Südtirolerinnen und Südtiroler. Es war die zweite Maßnahme, die Türkis-Blau in ihrem Koalitionspakt festschrieb: „Im Geist der europäischen Integration und zur Förderung einer immer engeren Union der Bürgerinnen und Bürger der Mitgliedstaaten“sollten „Angehörige der Volksgruppen deutscher und ladinischer Muttersprache in Südtirol“einen österreichischen Pass erhalten können – ohne den italienischen zu verlieren.
Die Pläne sorgten für diplomatische Verstimmungen zwischen Wien und Rom, und selbst in Bozen sorgte man sich: Die Frage nach der ethnischen Herkunft könnte die Bevölkerung spalten. Eine eigene Arbeitsgruppe arbeitete einen Gesetzesvorschlag aus. Laut Informationen der „Presse“wäre das entscheidende Kriterium das Jahr 1918 gewesen: Wer damals laut „Heimatschein“deutschsprachig oder ladinisch war, sollte die österreichische Staatsbürgerschaft erhalten können – genauso wie seine Nachfahren. Veröffentlicht wurden die detaillierten Pläne aber nie, die Koalition zerbrach.