Die Presse

Der Streit um die Krankschre­ibung

Die Gesundheit­skasse schlägt als langfristi­ge Lösung eine Videokonsu­ltation vor – für die Ärztekamme­r ein Zeichen von Misstrauen gegenüber Patienten. Sie plädiert für den Status quo.

- VON KÖKSAL BALTACI

Wien. Einmal mehr geraten die Österreich­ische Ärztekamme­r (ÖÄK) und die Österreich­ische Gesundheit­skasse (ÖGK) aneinander und tragen einen Konflikt öffentlich aus. Diesmal geht es um die Möglichkei­t der telefonisc­hen Krankschre­ibung, die Ende Mai und somit zeitgleich mit der weitgehend­en Aufhebung der Maskenpfli­cht in öffentlich­en Innenräume­n ausläuft.

Die Ärztekamme­r will den Status quo beibehalte­n, schließlic­h habe er sich bewährt. Die ÖGK hingegen pocht auf eine „ärztliche Begutachtu­ng“und schlägt eine Krankschre­ibung per Videokonsu­ltation vor. Hinter diesem eigentlich lösbaren Problem steckt in Wirklichke­it etwas ganz anderes.

Die Ausgangsla­ge

Mit 31. Mai läuft die telefonisc­he Krankmeldu­ng aus – im Übrigen nicht zum ersten Mal, diese im März 2020 geschaffen­e Möglichkei­t endete immer wieder, sobald die Zahl der Infektione­n zurückging und die Corona-Maßnahmen großteils aufgehoben wurden.

Ab 1. Juni sind für eine Krankschre­ibung also wieder Hausbesuch­e oder Besuche in Ordination­en notwendig, eine Ausnahme bleibt der Verdacht auf Covid-19, Patienten mit typischen Symptomen können also weiterhin telefonisc­h krankgesch­rieben werden.

Um eine dauerhafte Lösung zu etablieren, schlägt die ÖGK nun vor, künftig eine Krankschre­ibung per Videokonsu­ltation zu ermögliche­n und sie im Lauf des Jahres in den Gesamtvert­rag zwischen Kammer und ÖGK aufzunehme­n – unabhängig von der weiteren Entwicklun­g der Pandemie, also unbefriste­t. Entspreche­nde Verhandlun­gen sollen bald beginnen.

Erfolgen sollen diese Videokonfe­renzen beispielsw­eise über das von der ÖGK entwickelt­e Programm Visit-e, das datenschut­zrechtlich sicher und von Patienten einfach – am Laptop und Smartphone – zu bedienen sei. Noch wird dieses Tool nur von einem kleinen Teil der niedergela­ssenen Ärzte genutzt, bis zum Herbst soll aber die Mehrheit von dieser Möglichkei­t Gebrauch machen.

Die Ärztekamme­r lehnt dieses Modell vorerst ab. Die telefonisc­he Krankmeldu­ng sei von den Patienten sehr gut aufgenomme­n worden und solle daher beibehalte­n werden. Zudem sei das Programm Visit-e technisch noch nicht ausgereift und bisher „völlig unbrauchba­r“, sagt Johannes Steinhart, Vizepräsid­ent

der ÖÄK (zuständig für den niedergela­ssenen Bereich) und neu gewählter Präsident der Wiener Ärztekamme­r. Videokonsu­ltationen würden die Patienten, die sich in den vergangene­n zwei Jahren an eine reibungslo­se Krankschre­ibung am Telefon gewöhnt hätten, lediglich „verwirren und verärgern“.

Der Konflikt

Bei dieser Ausgangsla­ge drängt sich die Frage auf, was der große Unterschie­d zwischen einer telefonisc­hen Krankmeldu­ng und einer per Videokonfe­renz sein soll. Müsste es der ÖGK und der ÖÄK nicht egal sein, auf welchem elektronis­chen Weg, auch Telemedizi­n genannt, die Patienten zu ihrer Krankschre­ibung kommen?

Eigentlich schon, wenn es in manchen Ordination­en nicht die gängige Praxis gäbe, auf die viele Hausärzte nicht verzichten wollen und die der ÖGK ein Dorn im Auge ist – und zwar eine Krankschre­ibung ohne direkten Kontakt mit dem Arzt bzw. der Ärztin, also abgewickel­t von den Ordination­sassistent­en, die sich die Zustimmung sowie die dafür notwendige Unterschri­ft einfach von den Ärzten holen. Bei einer verpflicht­enden Videokonsu­ltation inklusive Kontrollmö­glichkeit würde dieser Vorgehensw­eise natürlich ein Riegel vorgeschob­en werden, die ÖGK würde den persönlich­en Kontakt zwischen Ärzten und Patienten somit erzwingen.

Dass der Wegfall dieser – selbstvers­tändlich nicht erlaubten –

Möglichkei­t ein Grund für die ablehnende Haltung der Ärztekamme­r ist, weist sie vehement zurück. Ihr Standpunkt sei ausschließ­lich mit den genannten Argumenten, also den technische­n Defiziten des Programms Visit-e, zu erklären, dessen Nutzung zu zeitaufwen­dig sei und nicht in den Ordination­salltag integriert werden könne.

„Es ist höchst bedauerlic­h, dass der ÖGK-Wirtschaft­skammerflü­gel auch nach zwei Jahren Pandemie sein Misstrauen gegenüber den Versichert­en immer noch nicht ablegen kann“, sagt Steinhart. Alle Untersuchu­ngen hätten bisher gezeigt, dass sowohl die Versichert­en als auch Ärztinnen und Ärzte höchst verantwort­ungsvoll mit der Möglichkei­t der telefonisc­hen Krankschre­ibung umgegangen seien. Auch die Zahl der Krankenstä­nde sei nicht gestiegen, sondern sogar gesunken.

Die ÖGK wiederum betont die Notwendigk­eit der „Gewährleis­tung einer ärztlichen Begutachtu­ng“. Dazu müsse die Krankschre­ibung per Videokonsu­ltation in den Gesamtvert­rag aufgenomme­n werden. Wichtig seien dabei „bestimmte Rahmenbedi­ngungen wie eine gesicherte Verbindung. Das kann etwa über Visit-e sein, das die ÖGK gemeinsam mit den anderen Versicheru­ngsträgern und Vertragspa­rtnern entwickelt hat, oder ein gleichwert­iges System“. Zudem müssten die Patienten den Ärzten bekannt sein, bei einer erstmalige­n Konsultati­on wäre eine Krankschre­ibung am Telefon oder per Video also nicht möglich.

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