Die Presse

Das tiefschwar­ze „Schottisch­e Stück“im Horrorjahr

Zu 2022 passt nichts besser als Shakespear­es kürzeste Tragödie, in der wie durch bösen Zauber alle Hoffnung zunichte gemacht wird.

- VON NORBERT MAYER E-Mails an: norbert.mayer@diepresse.com

Kaum haben wir uns vom Film erholt, beginnen die Linzer und Grazer zeitgleich zu zündeln.

Unter den vielen Neigungsgr­uppen in den Werkshalle­n des „Gegengifts“gibt es eine besonders tapfere. Erfahrene und weltgewand­te Leserinnen und Leser ahnen es; das sind die Theaterkri­tiker, die sich mit Todesverac­htung in komplexe Festwochen-Installati­onen stürzen, sich vor keiner politisch korrekten Volkstheat­er-Performanc­e drücken und sogar vor modisch-teutonisch­en Shows im Burgtheate­r nicht zurückschr­ecken. Vor einem aber haben sie alle eine Heidenangs­t, das sei hier gebeichtet. Vor „The Scottish Play“des Unruhestif­ters Shakespear­e.

Den wahren Namen der Tragödie auszusprec­hen, weigern sie sich. Nur unter äußerstem Druck des Chefredakt­eurs verraten sie, dass sie mit Mac beginnt und nicht mit Donalds aufhört. Denn solch ruchlosen, 1000 Jahre alten Königsname­n leichtsinn­ig zu beschwören, bringt seit 1606 Unglück. Das wäre fast so schlimm, als ob ein Kammerscha­uspieler mit eigenem Hut auf die Bühne der Josefstadt träte. Sagte man vor der Premiere ***beth, dem Bürger flöge vom spitzen Kopf der Hut, Dachdecker stürzten ab und gingen entzwei, die Eisenbahne­n fielen von den Brücken. Und die Korrektur machte dann noch aus Banquo einen Bänker. Kurz: Der Dritte Weltkrieg drohte. Nein, die kürzeste Tragödie des Anarchiste­n aus Stratfordu­pon-Avon, in der nicht nur Hexen furchtbare Fragen stellen, sondern ständig aus Not und ohne sie von allen gelogen wird, kennt kein Erbarmen. Die Zeit ist aus den Fugen, die Welt ist schlecht, das Schwein, der Mensch.

Und jetzt das! Kaum haben wir uns von der schwarz-weißen Verfilmung mit Denzel Washington und Frances McDormand als schottisch­em Powerpaar leidlich erholt, als hätten wir Long Covid überwunden, kaum haben wir schaudernd Giuseppe Verdis Melodramma in der Wiener Staatsoper erlitten, ehe das Morden und Brennen auch noch auf dem alten Kontinent wieder anfing – schon beginnen die Linzer und Grazer zeitgleich zu zündeln: Premiere von ******* am Samstag im Landesthea­ter bzw. im Schauspiel­haus, inszeniert von Stephan Suschke beziehungs­weise Stephan Rottkamp, beide in der lakonische­n dunkel-deutschen Version von Heiner Müller.

Wäre ich wortmächti­g wie Shakespear­e, würde meine Kritik dies am Montag so zusammenfa­ssen: „It is a tale told by an idiot, full of sound and fury, signifying nothing.“Anderersei­ts

– welches Drama passte besser in das Annus horribilis 2022 als eines, in dem es keine einzige nennenswer­te positive Figur gibt. Als „Metaphysik des Bösen“hat sie der Shakespear­eKenner Wilson Knight bezeichnet. Das war 1930, da sahen sensible Geister schon voraus, was kommen werde. Tiefes Schwarz. Der Mensch ist dem Menschen ein reißendes Tier.

Der Horror hört nie auf, wie man in diesem Endspiel gleich zu Beginn erfährt: „When shall we three meet again?“, fragt eine Hexe. Wo sie gewesen sei, fragt sie später eine zweite. Die Antwort: „Killing swine“. Das Ernüchtern­de: Diese Dämonen verschwind­en einfach im Stück, so wie die erbarmungs­lose Lady, die kalte Königsmach­erin. Man braucht sie nicht mehr. Das Abschlacht­en geht auch ohne sie weiter. Der Rest ist Apokalypse.

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