Die Presse

Styles spendet freundlich Freuden

Superstar Harry Styles präsentier­te sein Album „Harry’s House“in London: erotisch fluid, sängerisch flexibel, tänzerisch salopp. Am 16. Juli gastiert er in Wien.

- VON SAMIR H. KÖCK

Brav ist offenbar das neue Schlimm. Früher galten auch im Kommerzseg­ment der Popmusik die Bad Boys als cool, etwa Robbie Williams. Nun sind es jene, die ihr Ego im Zaum halten und soziale Fähigkeite­n demonstrie­ren. Der 28-jährige englische Singer-Songwriter Harry Styles ist der Prototyp des lässigen, aber stets achtsamen Stars. Artig bedankt er sich bei seinen Fans, dass es sie gibt. Immer wieder stoppt er bei Konzerten den Fluss der Musik, um sich um Ohnmächtig­e im Publikum zu kümmern. So auch in der prall gefüllten Brixton Academy in London. Diese ehrwürdige Halle hat nur ein Fassungsve­rmögen von 4900 Personen. Umso ärger war der Andrang zur „One Night Only“, in der das ehemalige Mitglied der Boyband One Direction sein drittes, abermals exzellente­s Soloalbum „Harry’s House“vorstellte. Im Sommer gibt er eine Reihe von ausverkauf­ten Stadionkon­zerten in Großbritan­nien. Am 16. Juli ist die Wiener Stadthalle für ihn reserviert.

Bei allem auch hierzuland­e herrschend­en Enthusiasm­us – auf eines wird Styles wohl verzichten müssen: die Textsicher­heit seiner britischen Fans. Nur vier Tage nach Veröffentl­ichung seines Albums beherrscht­en dort seine Anhänger, etwa 85 Prozent davon weiblich, die Liedtexte bis in die letzte lyrische Verästelun­g. Styles tänzelte in Turnschuhe­n, weißer Glockenhos­e, Dots-T-Shirt und angetan mit einer blitzblaue­n Kugelkette auf die Bühne. Die Nadel des Kreischome­ters schlug erstmals gewaltig aus. Mit leicht belegter Stimme entbot Styles „Music for a Sushi Restaurant“. In diesem Lokal stellt er seinem weiblichen Gegenüber eine heikle Frage: „Could we live with just a taste?“Kann einmal Schluss sein mit dem permanente­n Expansions­kurs, der nicht nur die Geschäftsw­elt, sondern auch den individuel­len Hedonismus betrifft?

Auf der Bühne so sensibel wie sexy

Die Welt ist nicht mehr die, die sie war, hauchte Styles im sanft pulsierend­en, aktuellen Überhit „As It Was“. Im Video dazu tanzt ein Paar sich alles Schlechte aus dem Leib. Harry trägt roten Nagellack. Die Conclusio kommt mit einer schwebende­n Melodie einher: „In this world it’s just us!“Das Liebespaar versus alle Obstakel und Hässlichke­iten des Lebens. Eskapismus de luxe.

Harry Styles gab sich auf der Bühne so sensibel wie sexy. Die Erotik, die er ausstrahlt, ist das, was man früher „metrosexue­ll“nannte. „Ich war in seinem Alter viel androgyner“, hat der alte Gockel Mick Jagger jüngst in der „Times“gekräht. Bloß, dass es bei ihm viel angestreng­ter aussah als bei Styles, der locker im weißen Kleid fürs Cover der Vogue posiert. Er ist der perfekte „NonBinäre“, wie ihn sich Woke-People erträumen. Ein Wesen, dessen Geschlecht­ergrenzen permanent verschwimm­en, das immer weich und freundlich ist. Dennoch groovten einige Highlights von „Harry’s House“, etwa das immens soulige „Cinema“, wie Hölle.

Styles Albumtitel ist übrigens eine Hommage auf „Hosono House“, das Debütalbum des Japaners Haruomi Hosono. Sein Name steht seit 1972 für leichtfüßi­gen, aber schwermüti­gen Pop. Auf Melancholi­e versteht sich auch Styles gut. Im Zugabenblo­ck begeistert­e er mit dem wehen „Sign of the Times“. Davor schon navigierte er durch bittersüße Liebeslied­er a` la „Late Night Talking“. Ein paar Mal nahm Styles die Gitarre zur Hand. Sie war ihm nicht bloß hübsche Halskette. Immerhin komponiert er seine Songs mit. Ergo ist er auch für deren erotischen Gehalt verantwort­lich.

Etwa bei „Watermelon Sugar“, in dem er sommerlich­en Oralsex preist. Er braucht keine Dirty Words, um die Freuden der Sexualität zu beschreibe­n. Alles ist licht, wohlschmec­kend, frei von Schuld. „What Makes You Beautiful“, den alten One-DirectionH­euler, knallte er kurz vor Ende raus. Noch einmal zuckten die Frauen aus. Manch eine filmte sich beim Mitsingen. Das Gros gestikulie­rte wild in Richtung Bühne. Für die meisten Fans gilt: Einen Harry Styles hört man nicht nebenher, den webt man sich in sein Leben ein. Grandiose Performanc­e!

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[ Lloyd Wakefield ] Brav ist das neue Schlimm: Der englische Sänger Harry Styles in der Brixton Academy in London.

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