Der „zweite Mann“neben Heinrich Harrer
Die Biografie Peter Aufschnaiters: Ein Bergsteiger- und Forscherleben.
„Sieben Jahre in Tibet“: Der MillionenBestseller der Fünfzigerjahre machte den Kärntner Heinrich Harrer zu einem Idol jugendlicher Leseratten. Seine autobiografische Erzählung über die exotische Welt am Fuß des Himalaja-Massivs und seine Freundschaft mit dem kindlichen Dalai-Lama wurde in 53 Sprachen übersetzt und drei Millionen Mal verkauft. Für die Österreicher waren Harrers Abenteuer und der Stolz darauf essenziell für die langsam beginnende Selbstfindung nach nazistischer Verirrung, nach Krieg, Not und Tod. Wiederaufbau, Kaprun, Toni Sailer – das waren auch Haltepunkte, an denen sich österreichisches Selbstbewusstsein emporranken konnte.
Der Name seines Tiroler Kameraden Diplom-Landwirt Peter Aufschnaiter kommt in dem Harrer-Werk zwar immer wieder vor, doch heute glänzt sein Name längst nicht so prominent – nimmt man die Welt der Bergsteiger einmal aus. Zu Unrecht, denn Aufschnaiters Lebensbogen von 1899 bis 1973 war mindestens so bunt wie jener Harrers. Seine 2019 erschienene Biografie liegt nun in einer Neuauflage vor – akribisch recherchiert, mit historischem Bildmaterial. Autor Mailänder nennt Aufschnaiter „einen der größten Entdecker, Bergsteiger, Kartografen und Entwicklungshelfer des 20. Jahrhunderts“.
Freilich: Das größte Abenteuer war wohl die Flucht aus einem indischen Kriegsgefangenenlager 1944 über die ungeheueren Weiten des tibetischen Hochlands, das Aufschnaiter schon aus langjährigen Studien kannte. Er beherrschte Tibetisch und war Kopf und treibende Kraft. Harrer war anfangs gar nicht so begeistert. Zwanzig Monate dauerte die Flucht, sie überwanden dabei mindestens fünfzig Pässe – keiner unter fünftausend Meter – und legten rund 2100 Kilometer zu Fuß zurück. Am 15. Jänner 1946 waren die an Entbehrungen gewöhnten Extrembergsteiger am Ziel: Lhasa, die „verbotene Stadt“. Unsere beiden Helden erlebten als Zeitzeugen die letzte Blüte der tibetischen Kultur.
Am Hof des Dalai-Lama
Harrer geht bald als Lehrer an den Hof des minderjährigen göttlich verehrten Dalai-Lama, der 1950 religiöser und weltlicher Herrscher des Staats wird. Sein Kamerad tritt als studierter Landvermesser in die Dienste des tibetischen Staats. Er fertigt den ersten brauchbaren Stadtplan von Lhasa an, der für die geplante Stromversorgung wichtig wird. Doch die Zeiten werden kriegerischer, 1949 ruft Mao Zedong die Volksrepublik China aus und droht Tibet mit der „Befreiung“.
1951 ist es dann so weit, die Chinesen überfallen das Land, und der Dalai-Lama muss – begleitet von Harrer – nach Indien flüchten. Aufschnaiter bleibt im Land. Kein Europäer hat sich mehr um die Entwicklung Tibets und Nepals gekümmert, sagt man.
Während Harrer nach seiner Rückkehr nach Österreich Weltberühmtheit erlangt (die Verfilmung mit Bratt Pitt erfolgt erst viel später), arbeitet Aufschnaiter als Kartograf, übersiedelt später nach Nepal, dann nach Indien und wird Mitarbeiter der FAO, also UN-Repräsentant. Das hält ihn freilich nicht davon ab, einen 5850 Meter hohen Berg im indischen Himalaja zu erklimmen. In Nepal kümmert er sich um moderne Bewässerungsmethoden, 1967 will er nepalesischer Staatsbürger werden, aber der Wunsch geht nicht in Erfüllung. Bei einem seiner Heimataufenthalte stirbt Peter Aufschnaiter in Kitzbühel.
Tyrolia-Verlag 413 S., 30 €