Der deutsche Scherbenhaufen
Energiewende. Mit Doppelausstieg aus Atom und Kohle hat sich Deutschland im Höchstmaß gefährdet.
Deutschland sah sich lang als Speerspitze der westlichen Industrieländer bei der Energiewende. In der Erwartung, die gesamte Energieversorgung mit Strom aus erneuerbaren Quellen realisieren zu können, hat es den Doppelausstieg aus der Kohle und der Kernkraft beschlossen und zum Teil schon realisiert.
Die von grünen Politikern propagierte Hoffnung war stets, dass andere Länder dem deutschen Beispiel folgen würden, wenn sie sehen, wie gut der grüne Weg funktioniert. Tatsächlich kann die Welt aber heute, im Zeichen des Krieges in der Ukraine, den Scherbenhaufen besichtigen, den diese naive und zutiefst ideologische Positionierung hinterlassen hat.
Um den Doppelausstieg aus Kohle und Atomkraft und den Übergang zur grünen Energie abzufedern, hat Deutschland nämlich zugleich beschlossen, viele zusätzliche Gaskraftwerke zu errichten, um seine Energieversorgung zu sichern. Das Erdgas würde, so glaubte man noch kurz vor dem Krieg, immer verlässlich aus Russland fließen. Noch 2021 importierte Deutschland über die Hälfte seines Erdgases aus Russland.
Der Krieg zeigt nun aber, dass diese Rechnung nicht aufgeht. Die für die deutsche Strategie unerlässlichen Erdgasimporte aus Russland sind heute ein Risiko für die gesamte westliche Welt. Sie geben Russland die Macht, Europas größte Volkswirtschaft in die Knie zu zwingen, und sie begrenzen zugleich die Möglichkeit des Westens, weitergehende Sanktionen gegenüber Russland zu verhängen.
Subventionierte Windkraft
Mit dem Doppelausstieg aus Kohle und Atomkraft hat Deutschland sich in höchstem Maße gefährdet, weil es damit gerade jene Energiequellen aufgibt, die ihm ein gewisses Maß an energiepolitischer Autarkie und Unabhängigkeit gewährt hätten. Deutschland war noch vor Kurzem der zweitgrößte Braunkohleproduzent der Welt nach China, und das bisschen
Uran, das für den Betrieb seiner Atomkraftwerke benötigt wird, hätte es sich leicht auf den Weltmärkten besorgen können.
Eingefleischte Grüne vertreten den Standpunkt, der Doppelausstieg wäre kein Problem, wenn Deutschland den Ausbau der Wind- und Solarenergie rasch genug vorangetrieben hätte, um mithilfe der grünen Energie autark zu werden. Wenn überhaupt, so sei die Versorgungssicherheit ein Argument für statt gegen den deutschen Weg. Diese Position ist unbedarft, denn obwohl Deutschland dank großzügiger Subventionsprogramme bereits große Teile seiner Naturflächen mit Windanlagen zugepflastert hat, lag der Anteil der elektrischen Energie aus Windund Solaranlagen 2021 erst bei kümmerlichen 6,9 Prozent des Endenergieverbrauchs.
Der Anteil am Strom war zwar schon auf 29 Prozent gestiegen, doch machte der Strom selbst nur etwas mehr als ein Fünftel der verbrauchten Endenergie aus. Auch eine doppelt so hohe Ausbaugeschwindigkeit hätte Deutschland nicht im Entferntesten in die Nähe einer Autarkie mithilfe des Windund Sonnenstroms gebracht.
Das Argument der Grünen ist auch deshalb unhaltbar, weil es übersieht, dass eine Energiever
sorgung auf der Basis des Windund Sonnenstroms stets als Komplement regelbaren konventionellen Strom benötigt, der gegenläufig zum Wind- und Sonnenstrom eingespeist wird und während der vielen Dunkelflauten in der Lage ist, die Versorgung der Wirtschaft mit Strom zu sichern.
Grüner Strom reicht nicht aus
So gesehen ist der grüne Strom außerstande, Deutschland nach dem Doppelausstieg unabhängig von Gasimporten zu machen. Klimaneutral kann Deutschland nur dann ein gewisses Maß an Autarkie und Sicherheit gewinnen, wenn es wieder in die Atomkraft investiert. Auch diejenigen, die das Potenzial des Wind- und Sonnenstroms günstiger einschätzen, kommen nicht umhin, einzugestehen, dass es kurzfristig keine Möglichkeit
DER AUTOR
(* 1948 in Brake) ist Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft an der Uni München. Präsident des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung; Honorarprofessor an der Uni Wien. [ Fabry ]
gibt, Russland durch die Beendigung von Gasimporten in Schwierigkeiten zu bringen, ohne zugleich die eigene Volkswirtschaft abzudrosseln. Es gibt nun einmal keine technischen Möglichkeiten, das benötigte Erdgas aus anderen Quellen schnell genug herbeizuschaffen, zumal sich Länder wie Italien oder Österreich in einer ähnlichen Lage befinden.
Deutschland hat keine LNGTerminals, und Terminals in anderen Ländern verfügen nicht im Entferntesten über die nötige Ersatzkapazität. Überdies ist die Kapazität der innereuropäischen Gasleitungen zu gering. Nur längerfristig, über einen Zeitraum von drei bis fünf Jahren, ließe sich über LNGTerminals Ersatz in Form von Gas schaffen, das aus anderen Teilen der Welt importiert wird.
Längerfristig würde aber Russland dann auch neue Pipelines nach China, Indien und in andere asiatische Länder bauen, wo das billige russische Gas willige Abnehmer fände. So gesehen hat der Westen heute keine Möglichkeit, Russland mit dem Abschalten der Gaspipelines kurzfristig oder langfristig in größere Bedrängnis zu bringen als sich selbst.