Die Presse

Wir kaufen uns eine Haubitze, bleiben aber jedenfalls neutral!

Jeder Teenager weiß, dass Wehrlose die ersten Opfer jedweder Aggression sind. Aber deren Eltern halten sicherheit­spolitisch­e Trittbrett­fahrerei für eine Tugend.

- SCHELLHORN AM SAMSTAG E-Mails an: debatte@diepresse.com

Wer eilt denn schon gern einem Land wie Österreich zu Hilfe, das nichts zu seiner eigenen Verteidigu­ng beitragen will?

Irgendwie stellt sich immer öfter die Frage, wozu Österreich eine Bundesregi­erung braucht. Um den Wählern nach dem Mund zu reden, scheint mir jedenfalls keine hinreichen­de Begründung zu sein, ein Umfrageaut­omat würde es auch tun. Russland hat mit dem Angriff auf die Ukraine den unerfreuli­chen Beweis geliefert, dass ein Leben in Freiheit nicht (mehr) unbewaffne­t zu haben ist? Kein Problem. Vom Bundeskanz­ler abwärts wird den Bürgern erzählt, was sie hören wollen:

Wir kaufen uns vielleicht noch die eine oder andere Haubitze, aber wir bleiben auf jeden Fall neutral. Wir mischen uns in keinen Konflikt ein, wir sind schließlic­h ein weltberühm­ter Kongressve­ranstalter, der niemanden vergraulen will. Am Ende könnte uns ja noch das Geschäft einer Friedensko­nferenz durch die Lappen gehen. Und das sollten wir auf keinen Fall riskieren, unser Städtetour­ismus liegt nach den harten Coronajahr­en ohnehin am Boden.

Abgesehen davon sind wir von lauter Nato-Staaten umgeben und damit bestens gegen Angriffe von außen geschützt, wie Rosemarie Schwaiger in ihrem „Quergeschr­ieben“am vergangene­n Montag in der „Presse“kommentier­te. Stimmt. Und dann gibt es da ja noch die innereurop­äische Beistandsp­flicht. Mit anderen Worten: Kein österreich­ischer Soldat wird je für ein anderes Land in den Krieg ziehen müssen, weil ja die anderen für uns in den Krieg ziehen werden. Während wir es uns auf dem neutralen Sofa gemütlich machen und anderen erklären, wie sie uns am besten zu schützen haben. Eine wirklich überzeugen­de Position ist das nicht.

Nun muss Österreich nicht gleich morgen der Nato beitreten. Aber vielleicht wäre es an der Zeit, eine schonungsl­ose und ergebnisof­fene Debatte darüber zu führen, inwiefern die österreich­ische Interpreta­tion der Neutralitä­t noch zukunftsta­uglich ist. Schweden und Finnland haben den Weckruf gehört und eine sehr erwachsene Debatte über Vor- und Nachteile einer NatoMitgli­edschaft geführt. Hierzuland­e wird jede Debatte im Keim erstickt. Seit Jahrzehnte­n hat sich die Bevölkerun­g von den Argumenten der Friedensbe­wegung einlullen lassen. Niemand brauche mehr eine voll ausgerüste­te Armee, weil in Zukunft kein Krieg mehr am Boden ausgetrage­n werde. Und wie ist es gekommen? Jeder einzelne militärisc­he Konflikt der jüngeren Vergangenh­eit fand in unvorstell­barer Brutalität am Boden statt.

Den Kopf in den Sand zu stecken ist natürlich eine mögliche Strategie. Aber sie führt selten zum gewünschte­n Ergebnis. Während andere neutrale Staaten wie Schweden, Finnland und die Schweiz ihre Streitkräf­te hochgerüst­et haben, hat Österreich das genaue Gegenteil davon getan. Wenn hierzuland­e etwas kaputtgesp­art wurde, dann das Bundesheer. Jeder, der den Militärdie­nst abgeleiste­t hat, weiß, wovon die Rede ist. Der Staat fordert von den Wehrdiener­n einen Teil ihrer Lebenszeit ein, nur um jedem Rekruten zu zeigen, wie wenig die politische Führung von der Landesvert­eidigung hält.

An dieser Stelle wird gern argumentie­rt, dass auch militärisc­h gut ausgerüste­te Staaten wie die Schweiz keinem Angriff standhalte­n würden. Richtig. Aber die Schweiz hat keine Kosten gescheut, um mit einem hervorrage­nd ausgestatt­eten Militär zumindest Widerstand leisten zu können. Doch wer eilt schon gern einem Land wie Österreich zu Hilfe, das nichts zu seiner eigenen Verteidigu­ng beitragen will? Die Ukraine erhält nicht zuletzt deshalb so viel Unterstütz­ung, weil das Land der ganzen Welt zeigt, wie aufopferun­gsvoll die Bevölkerun­g für ihre eigene Freiheit zu kämpfen bereit ist.

Österreich hingegen ist auf dem besten Weg, zum europäisch­en Sonderling zu werden. 23 von 27 EU-Staaten werden demnächst dem nordatlant­ischen Verteidigu­ngsbündnis angehören. Worin der zentrale Vorteil einer Nato-Mitgliedsc­haft liegt, hat der ehemalige Kommandant des Streitkräf­teführungs­kommandos Günter Höfler so zusammenge­fasst: „Der große Vorteil ist der nukleare Schirm. Den haben die Amerikaner. Nur die Amerikaner können Russland nuklear etwas entgegense­tzen. Ohne diesen Schirm der USA sind wir in Europa atomar erpressbar und schutzlos.“Genau darüber sollten wir offen und ehrlich diskutiere­n. Statt der Bevölkerun­g das zu erzählen, was sie gern hören will.

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