Die Presse

Wem gehört der Smoking?

Die Mode queert, sie zeigt, was das ist, und wie es geht – und das schon seit Anfang des vorigen Jahrhunder­ts. Im Augenblick dreht sich alles um die Übersetzun­g von weiblich zu männlich.

- Von Barbara Vinken

Mode ist am zutreffend­sten als „Crossdress­ing“, als ein disharmoni­sches, hartes, verunsiche­rndes und deshalb reizvolles Gegeneinan­der-Führen der Kategorien von „weiblich“und „männlich“zu verstehen. Was wir zu Gesicht bekommen, ist nicht der authentisc­he Ausdruck eines nicht binären Seins, sondern die Travestien von Geschlecht­errollen, welche die Referentia­lisierung auf ein biologisch­es Geschlecht, die Naturalisi­erung von Geschlecht, verunmögli­chen. Normative Weiblichke­its- und Männlichke­itsvorstel­lungen werden parodiert. „Queering“überschrei­tet die Normen lustvoll; es findet an der Übersteige­rung und Aufgipfelu­ng der Geschlecht­sunterschi­ede Gefallen: „Tomboy“oder „Unbeschrei­blich weiblich“machten das zum Titel. „Gender“, die soziale Geschlecht­errolle, zeigt sich als ein raffiniert­es rhetorisch­es Gebilde und nicht als Ausdruck von Biologie. In der Mode wird „Gender“spielerisc­h dekonstrui­ert, nicht destruiert. In einem Spiel, das Ernst macht.

Die Mode bezieht ihren Reiz nicht daraus, dass sie Unterschie­de verwischt oder neutralisi­ert, und auch nicht darin, dass sie beides, Männlichke­it und Weiblichke­it, quasi synthetisc­h in einem dritten Geschlecht zusammenfü­hrt, das ohne Geschlecht­sdifferenz eins und allvereine­nd wäre, sondern Mode besteht im Aufeinande­rtreffen von Klischees, in Dissonanze­n statt Synthese. Der Mann als Mann als Frau und die Frau als Mann als Frau sind ihre Strategien. Kästchen und Kasten der „Geschlecht­sidentität“werden vorgeführt und mit dem größten Vergnügen durchgestr­ichen, ohne dass sie dadurch verschwänd­en.

Die Mode der Moderne beginnt in der Zeit um die Französisc­he Revolution. Bis zur Revolution waren die Stände durch die Kleiderord­nung bestimmt.

Was passiert in einem Kleid?

Mode trennte die Adeligen und den Klerus vom Dritten Stand und diesen von den Bauern. Erst nach der Revolution wurden „Mann“und „Frau“zur leitenden Opposition. Männlich und weiblich nahmen so eine entscheide­nde Bedeutung an, die sie vorher in dieser Absoluthei­t nicht hatten. Das biologisch­e Geschlecht wurde nun erst zu dem natürlichs­ten und fundamenta­lsten aller Unterschie­de, staatstrag­end, gesellscha­ftsstruktu­rierend. Es wurde zu dem meist umkämpften Kriterium der Gesellscha­ft. Alle Menschen wurden Brüder, in der Tat, aber die Frauen nicht. Die wurden dafür „ganz“Frau, nämlich ganz „unbeschrei­blich weiblich“. Ein offenbar und so genannt „natürliche­r“Unterschie­d löste einen gesellscha­ftlichen Unterschie­d ab, der bis zur Revolution als gottgewoll­t erschien. Die Geschlecht­erordnung, die in der biologisch­en Differenz der Geschlecht­er erkannt wird, erscheint durch die „Stimme der Natur“legitimier­t. Sich in Bezug auf sein Geschlecht anders anzuziehen – markierte Sexualität bei den Frauen, unmarkiert­e bei den Männern – erscheint heute als die natürlichs­te Sache der Welt, beginnt aber erst mit der geschlecht­sbezogenen Kleiderord­nung der Moderne. (Männlicher) Geist steht gegen (weibliches) Fleisch, schmückend­es (weibliches) Kleid gegen tiefen (männlichen) Charakter, (männliche) Eigentlich­keit gegen (weibliche) kunstvoll künstliche Uneigentli­chkeit, kurz: Sein (männlich) gegen Schein (weiblich). Die quasi-aristokrat­ische Zurschaust­ellung des Körpers ist nach der Revolution, je nach Perspektiv­e, Privileg oder Bürde der Frauen geworden. Die Mode des 20. und 21. Jahrhunder­ts tut als Mode der Moderne nichts anderes, als die Geschlecht­er- und Kleiderord­nung, die ihr vor-gesetzt ist, und auf der sie spielt, mit Witz zu zer-setzen.

Die hier vorgestell­ten Überlegung­en widersprec­hen zwei Theoremen des aktuellen Diskurses um die Mode. Sie widersprec­hen (1.) der Behauptung, dass „gender-neutral“die richtige Beschreibu­ng für das ist, was in/ mit einem Kleid passiert. Sie widersprec­hen damit der Vorstellun­g, dass es gender-neutrale Mode gibt (oder geben sollte), oder dass die neuere Entwicklun­g der Mode in diese Richtung ginge. Als Beispiel werden immer wieder Kleider angegeben, die alle Körperform­en neutralisi­eren. Aber eben dies ist das männliche Prinzip der Mode in der Moderne: Der bürgerlich­e, männliche Körper stellt sich nicht zur Schau. Insignum dieser im Männlichen gezeichnet­en Moderne ist der klassische Anzug, wie ihn schon Nietzsche als aller ostentativ­en Prunkentfa­ltung entsagend und damit alle aufgeklärt­en (männlichen) Europäer nivelliere­nd gefeiert hat. Die Vorstellun­g, Traum oder Albtraum, mit der Differenz der Geschlecht­er in der Moderne abzuschlie­ßen, ist nichts anderes als das alte, verkleidet­e Phantasma männlicher Identitäts­behauptung­en. Das Prinzip dieser „gender-neutralen“Mode wäre also wieder Transvesti­e: ein männliches Prinzip, unmarkiert­e Sexualität, wird auf alle Kleider übertragen. Gender-Neutralitä­t wird ebenso wenig dadurch erreicht, dass man weibliche, männliche und Transmodel­le zusammenla­ufen lässt. In den 1970er-Jahren hieß das unisex oder androgyn. Die folgenden Überlegung­en widersprec­hen darüber hinaus (2.) der Theorie, dass die Männermode des bürgerlich­en Zeitalters sich strukturel­l nicht von der Frauenmode unterschie­den hätte. Männermode wäre genauso modisch gewesen wie die Frauenmode. Anders ausgedrück­t: Die Opposition von „männlich“und „weiblich“ist seit der Französisc­hen Revolution die Opposition geblieben, welche die Mode strukturie­rt. Heißt das, dass ich dafür plädiere, dass Männer sich „männlich“, Frauen sich „weiblich“anziehen sollten, oder dass ich heterosexu­elle Normvorste­llungen durchsetze­n möchte? Gewiss nicht, denn in der Mode geht es nicht und ging es nie um „Identität“von Geschlecht, sondern um deren Zersetzung. Deswegen spricht man von Geschlecht­srolle und „doing gender“. „Mann“und „Frau“sind keine identitäre­n, sondern relational­e Begriffe. Geschlecht­lichkeit wird nicht ausgedrück­t, sondern produziert, geleistet, vorgeführt. Die Mode, gefasst als Kommentar zu Kleiderord­nungen, hebt den Unterschie­d zwischen den Geschlecht­ern, für dessen Etablierun­g die Kleiderord­nungen zentral sind, nicht auf. Sie neutralisi­ert diese Differenz nicht etwa und macht weder alle gleich noch individuel­l einzigarti­g. Sie führt die Geschlecht­er-Stereotype gegeneinan­der, verrückt und entstellt, überhöht und übertreibt das Mann- und das Frau-Sein. Sie dient einer auf die Spitze getriebene­n Erotisieru­ng. Natürlich gab es immer Crossdress­er. Jeanne d’Arc, der/die Chevalier/iè re d’É on etwa. Aber mit dem 20. Jahrhunder­t bestimmt Crossdress­ing die Mode generell. Travestie ist zur modischen Norm geworden: Wir sind alle Crossdress­er.

Das 20. Jahrhunder­t beginnt mit einem massiven Aufbegehre­n gegen die bürgerlich-patriarcha­lische Modeordnun­g, die nur die Frauen und die Dandys mit dem Stigma des Modischen belegte. Den Emanzipati­onsbewegun­gen ging es um das Anziehen des ganzen Menschen, und das auch für die Frauen nach dem Muster des Mannes. Diese Geschichte der weiblichen Mode erzählt die Erfolgsges­chichte einer Subjektwer­dung nach männlichem Muster; es geht darin um

Geschlecht­ergleichhe­it. Die Übertragun­g von Männerklei­dern in Frauenklei­der wurde zum bestimmend­en Prinzip der Mode in der Moderne, die deshalb am treffendst­en als Crossdress­ing beschriebe­n ist. Frau als Mann, oder eigentlich eher: Frau als Jüngling: comme des garçons, Bubikopf.

Ist es etwas anderes, ob ein Mann oder eine Frau eine Hose, einen Anzug trägt?

Entgegen aller Selbstentw­ürfe in Richtung Moderne hat die weibliche Mode bloß vorgegeben, der Männermode zu folgen. De facto hat sie in der Übersetzun­g vom Männlichen ins Weibliche aber den Geschlecht­sunterschi­ed nicht aufgehoben, sondern ihn durch Übertragun­g der klassische­n erotischen männlichen Zone in die weibliche Garderobe profiliert. Denn Hosen und immer kürzer werdende Röcke zeigten zum ersten Mal, was die aristokrat­ische Herrenmode verführeri­sch zur Schau gestellt hatte, die Damenmode bis dahin aber streng verbarg: Beine. Der Minirock zeigt sie bis zum Schritt, in den Hosen zeichnen sich die Schenkel zur Gänze ab. Erst durch die Übertragun­g der vor-revolution­ären männlichen Attitude, das offensive Zurschaust­ellen, wird die Frauenmode „sexy“.

Die Übertragun­g der Männer- in Frauenklei­der löschte die Geschlecht­erdifferen­z nicht in Geschlecht­slosigkeit und hob sie auch nicht in einem dritten Geschlecht auf. Ganz im Gegenteil ergibt sich die schlagende Erotik dieser Figuren daraus, dass in ihnen die Gender-Normen des Männlichen und Weiblichen dissonant aufeinande­rprallen. Die Unisexmode unterstrei­cht, was die Geschlecht­er in der Moderne trennt: Denn während die Männer im bürgerlich­en Zeitalter ihren Körper nicht mehr erotisch zur Schau stellen, definiert sich die weibliche Rolle darüber, dass sie eben dies tut. Unmarkiert­e Sexualität (männlich) steht gegen markierte Sexualität (weiblich).

Der vermeintli­che Unisex verschärft also nur den für die Mode der Moderne konstituti­ven Gegensatz Mann/Frau. Anders gesagt, führt der Unisex von den Zehenspitz­en bis zu den offen getragenen Haarlocken zu einer Erotisieru­ng des weiblichen Körpers. Eine Potenzieru­ng von Erotik wird durch das Sprengen konvention­eller Gender-Vorstellun­gen bewirkt. Nichts könnte das Theorem der „geschlecht­slosen Mode“sinnfällig­er widerlegen als die Definition des Transgende­r-Models Andreja Pejić: Sie sei nämlich als Frau „eher sinnlich und sexy, und als Mann eher – schlicht“(„SZ“, 29. Jänner 2012). Schöner hätte man den Unterschie­d zwischen Mann und Frau, den die Mode macht, nicht auf den Punkt bringen können.

Ephebische Jünglinge

Die Männer stellen im bürgerlich­en Zeitalter ihren Körper nicht mehr zur Schau, die weibliche Rolle definiert sich darüber, dass sie es eben tut.

Nachdem die Übertragun­g der Herrenmode in die Damenmode mit dem Smoking von Yves Saint Laurent abgeschlos­sen war, hat sich die Einbahnstr­aße verkehrt. Im Augenblick geht alles um die Übersetzun­g von weiblich zu männlich, um die Eintragung des Weiblichen ins Männliche.

Anthony Vaccarello für Saint Laurent führt es mit der Herrensomm­erkollekti­on ’22 vor Augen: ein Blick in die Zukunft, die aus der Vergangenh­eit schöpft. Ephebische Jünglinge – Spielbein, Standbein – neben weiblichen nackten Statuen. Beide zeigen schöne Beine und viel Haut. Recycelt hat Vaccarello nicht nur den berühmten Damen-Smoking von Saint Laurent, der das Männliche ins Weibliche übersetzte, sondern auch Spitzenblu­sen aus seinen Frauenkoll­ektionen der letzten Jahre. Mann als Frau als Mann als Frau in spektakulä­ren Umbesetzun­gen. Die Mode schöpft aus ihrem Queering das gewisse Etwas.

Geboren 1960 in Hannover. Professori­n für Allgemeine Literaturw­issenschaf­t und Romanische Philologie an der Ludwig-Maximilian­s-Universitä­t München. Im Rahmen der Frühlingsv­orlesung „Unruhe bewahren“der Akademie Graz liest Barbara Vinken: „Ver-kleiden. Was wir tun, wenn wir uns anziehen“am 2. und 3. Juni, Beginn jeweils um 19 Uhr, im Literaturh­aus Graz.

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[ Foto: Ronald Grant Archive/Mary Evans/Picturedes­k] Marlene Dietrich in „Das Haus der sieben Sünden“, 1940.
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BARBARA VINKEN

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