Wem gehört der Smoking?
Die Mode queert, sie zeigt, was das ist, und wie es geht – und das schon seit Anfang des vorigen Jahrhunderts. Im Augenblick dreht sich alles um die Übersetzung von weiblich zu männlich.
Mode ist am zutreffendsten als „Crossdressing“, als ein disharmonisches, hartes, verunsicherndes und deshalb reizvolles Gegeneinander-Führen der Kategorien von „weiblich“und „männlich“zu verstehen. Was wir zu Gesicht bekommen, ist nicht der authentische Ausdruck eines nicht binären Seins, sondern die Travestien von Geschlechterrollen, welche die Referentialisierung auf ein biologisches Geschlecht, die Naturalisierung von Geschlecht, verunmöglichen. Normative Weiblichkeits- und Männlichkeitsvorstellungen werden parodiert. „Queering“überschreitet die Normen lustvoll; es findet an der Übersteigerung und Aufgipfelung der Geschlechtsunterschiede Gefallen: „Tomboy“oder „Unbeschreiblich weiblich“machten das zum Titel. „Gender“, die soziale Geschlechterrolle, zeigt sich als ein raffiniertes rhetorisches Gebilde und nicht als Ausdruck von Biologie. In der Mode wird „Gender“spielerisch dekonstruiert, nicht destruiert. In einem Spiel, das Ernst macht.
Die Mode bezieht ihren Reiz nicht daraus, dass sie Unterschiede verwischt oder neutralisiert, und auch nicht darin, dass sie beides, Männlichkeit und Weiblichkeit, quasi synthetisch in einem dritten Geschlecht zusammenführt, das ohne Geschlechtsdifferenz eins und allvereinend wäre, sondern Mode besteht im Aufeinandertreffen von Klischees, in Dissonanzen statt Synthese. Der Mann als Mann als Frau und die Frau als Mann als Frau sind ihre Strategien. Kästchen und Kasten der „Geschlechtsidentität“werden vorgeführt und mit dem größten Vergnügen durchgestrichen, ohne dass sie dadurch verschwänden.
Die Mode der Moderne beginnt in der Zeit um die Französische Revolution. Bis zur Revolution waren die Stände durch die Kleiderordnung bestimmt.
Was passiert in einem Kleid?
Mode trennte die Adeligen und den Klerus vom Dritten Stand und diesen von den Bauern. Erst nach der Revolution wurden „Mann“und „Frau“zur leitenden Opposition. Männlich und weiblich nahmen so eine entscheidende Bedeutung an, die sie vorher in dieser Absolutheit nicht hatten. Das biologische Geschlecht wurde nun erst zu dem natürlichsten und fundamentalsten aller Unterschiede, staatstragend, gesellschaftsstrukturierend. Es wurde zu dem meist umkämpften Kriterium der Gesellschaft. Alle Menschen wurden Brüder, in der Tat, aber die Frauen nicht. Die wurden dafür „ganz“Frau, nämlich ganz „unbeschreiblich weiblich“. Ein offenbar und so genannt „natürlicher“Unterschied löste einen gesellschaftlichen Unterschied ab, der bis zur Revolution als gottgewollt erschien. Die Geschlechterordnung, die in der biologischen Differenz der Geschlechter erkannt wird, erscheint durch die „Stimme der Natur“legitimiert. Sich in Bezug auf sein Geschlecht anders anzuziehen – markierte Sexualität bei den Frauen, unmarkierte bei den Männern – erscheint heute als die natürlichste Sache der Welt, beginnt aber erst mit der geschlechtsbezogenen Kleiderordnung der Moderne. (Männlicher) Geist steht gegen (weibliches) Fleisch, schmückendes (weibliches) Kleid gegen tiefen (männlichen) Charakter, (männliche) Eigentlichkeit gegen (weibliche) kunstvoll künstliche Uneigentlichkeit, kurz: Sein (männlich) gegen Schein (weiblich). Die quasi-aristokratische Zurschaustellung des Körpers ist nach der Revolution, je nach Perspektive, Privileg oder Bürde der Frauen geworden. Die Mode des 20. und 21. Jahrhunderts tut als Mode der Moderne nichts anderes, als die Geschlechter- und Kleiderordnung, die ihr vor-gesetzt ist, und auf der sie spielt, mit Witz zu zer-setzen.
Die hier vorgestellten Überlegungen widersprechen zwei Theoremen des aktuellen Diskurses um die Mode. Sie widersprechen (1.) der Behauptung, dass „gender-neutral“die richtige Beschreibung für das ist, was in/ mit einem Kleid passiert. Sie widersprechen damit der Vorstellung, dass es gender-neutrale Mode gibt (oder geben sollte), oder dass die neuere Entwicklung der Mode in diese Richtung ginge. Als Beispiel werden immer wieder Kleider angegeben, die alle Körperformen neutralisieren. Aber eben dies ist das männliche Prinzip der Mode in der Moderne: Der bürgerliche, männliche Körper stellt sich nicht zur Schau. Insignum dieser im Männlichen gezeichneten Moderne ist der klassische Anzug, wie ihn schon Nietzsche als aller ostentativen Prunkentfaltung entsagend und damit alle aufgeklärten (männlichen) Europäer nivellierend gefeiert hat. Die Vorstellung, Traum oder Albtraum, mit der Differenz der Geschlechter in der Moderne abzuschließen, ist nichts anderes als das alte, verkleidete Phantasma männlicher Identitätsbehauptungen. Das Prinzip dieser „gender-neutralen“Mode wäre also wieder Transvestie: ein männliches Prinzip, unmarkierte Sexualität, wird auf alle Kleider übertragen. Gender-Neutralität wird ebenso wenig dadurch erreicht, dass man weibliche, männliche und Transmodelle zusammenlaufen lässt. In den 1970er-Jahren hieß das unisex oder androgyn. Die folgenden Überlegungen widersprechen darüber hinaus (2.) der Theorie, dass die Männermode des bürgerlichen Zeitalters sich strukturell nicht von der Frauenmode unterschieden hätte. Männermode wäre genauso modisch gewesen wie die Frauenmode. Anders ausgedrückt: Die Opposition von „männlich“und „weiblich“ist seit der Französischen Revolution die Opposition geblieben, welche die Mode strukturiert. Heißt das, dass ich dafür plädiere, dass Männer sich „männlich“, Frauen sich „weiblich“anziehen sollten, oder dass ich heterosexuelle Normvorstellungen durchsetzen möchte? Gewiss nicht, denn in der Mode geht es nicht und ging es nie um „Identität“von Geschlecht, sondern um deren Zersetzung. Deswegen spricht man von Geschlechtsrolle und „doing gender“. „Mann“und „Frau“sind keine identitären, sondern relationale Begriffe. Geschlechtlichkeit wird nicht ausgedrückt, sondern produziert, geleistet, vorgeführt. Die Mode, gefasst als Kommentar zu Kleiderordnungen, hebt den Unterschied zwischen den Geschlechtern, für dessen Etablierung die Kleiderordnungen zentral sind, nicht auf. Sie neutralisiert diese Differenz nicht etwa und macht weder alle gleich noch individuell einzigartig. Sie führt die Geschlechter-Stereotype gegeneinander, verrückt und entstellt, überhöht und übertreibt das Mann- und das Frau-Sein. Sie dient einer auf die Spitze getriebenen Erotisierung. Natürlich gab es immer Crossdresser. Jeanne d’Arc, der/die Chevalier/iè re d’É on etwa. Aber mit dem 20. Jahrhundert bestimmt Crossdressing die Mode generell. Travestie ist zur modischen Norm geworden: Wir sind alle Crossdresser.
Das 20. Jahrhundert beginnt mit einem massiven Aufbegehren gegen die bürgerlich-patriarchalische Modeordnung, die nur die Frauen und die Dandys mit dem Stigma des Modischen belegte. Den Emanzipationsbewegungen ging es um das Anziehen des ganzen Menschen, und das auch für die Frauen nach dem Muster des Mannes. Diese Geschichte der weiblichen Mode erzählt die Erfolgsgeschichte einer Subjektwerdung nach männlichem Muster; es geht darin um
Geschlechtergleichheit. Die Übertragung von Männerkleidern in Frauenkleider wurde zum bestimmenden Prinzip der Mode in der Moderne, die deshalb am treffendsten als Crossdressing beschrieben ist. Frau als Mann, oder eigentlich eher: Frau als Jüngling: comme des garçons, Bubikopf.
Ist es etwas anderes, ob ein Mann oder eine Frau eine Hose, einen Anzug trägt?
Entgegen aller Selbstentwürfe in Richtung Moderne hat die weibliche Mode bloß vorgegeben, der Männermode zu folgen. De facto hat sie in der Übersetzung vom Männlichen ins Weibliche aber den Geschlechtsunterschied nicht aufgehoben, sondern ihn durch Übertragung der klassischen erotischen männlichen Zone in die weibliche Garderobe profiliert. Denn Hosen und immer kürzer werdende Röcke zeigten zum ersten Mal, was die aristokratische Herrenmode verführerisch zur Schau gestellt hatte, die Damenmode bis dahin aber streng verbarg: Beine. Der Minirock zeigt sie bis zum Schritt, in den Hosen zeichnen sich die Schenkel zur Gänze ab. Erst durch die Übertragung der vor-revolutionären männlichen Attitude, das offensive Zurschaustellen, wird die Frauenmode „sexy“.
Die Übertragung der Männer- in Frauenkleider löschte die Geschlechterdifferenz nicht in Geschlechtslosigkeit und hob sie auch nicht in einem dritten Geschlecht auf. Ganz im Gegenteil ergibt sich die schlagende Erotik dieser Figuren daraus, dass in ihnen die Gender-Normen des Männlichen und Weiblichen dissonant aufeinanderprallen. Die Unisexmode unterstreicht, was die Geschlechter in der Moderne trennt: Denn während die Männer im bürgerlichen Zeitalter ihren Körper nicht mehr erotisch zur Schau stellen, definiert sich die weibliche Rolle darüber, dass sie eben dies tut. Unmarkierte Sexualität (männlich) steht gegen markierte Sexualität (weiblich).
Der vermeintliche Unisex verschärft also nur den für die Mode der Moderne konstitutiven Gegensatz Mann/Frau. Anders gesagt, führt der Unisex von den Zehenspitzen bis zu den offen getragenen Haarlocken zu einer Erotisierung des weiblichen Körpers. Eine Potenzierung von Erotik wird durch das Sprengen konventioneller Gender-Vorstellungen bewirkt. Nichts könnte das Theorem der „geschlechtslosen Mode“sinnfälliger widerlegen als die Definition des Transgender-Models Andreja Pejić: Sie sei nämlich als Frau „eher sinnlich und sexy, und als Mann eher – schlicht“(„SZ“, 29. Jänner 2012). Schöner hätte man den Unterschied zwischen Mann und Frau, den die Mode macht, nicht auf den Punkt bringen können.
Ephebische Jünglinge
Die Männer stellen im bürgerlichen Zeitalter ihren Körper nicht mehr zur Schau, die weibliche Rolle definiert sich darüber, dass sie es eben tut.
Nachdem die Übertragung der Herrenmode in die Damenmode mit dem Smoking von Yves Saint Laurent abgeschlossen war, hat sich die Einbahnstraße verkehrt. Im Augenblick geht alles um die Übersetzung von weiblich zu männlich, um die Eintragung des Weiblichen ins Männliche.
Anthony Vaccarello für Saint Laurent führt es mit der Herrensommerkollektion ’22 vor Augen: ein Blick in die Zukunft, die aus der Vergangenheit schöpft. Ephebische Jünglinge – Spielbein, Standbein – neben weiblichen nackten Statuen. Beide zeigen schöne Beine und viel Haut. Recycelt hat Vaccarello nicht nur den berühmten Damen-Smoking von Saint Laurent, der das Männliche ins Weibliche übersetzte, sondern auch Spitzenblusen aus seinen Frauenkollektionen der letzten Jahre. Mann als Frau als Mann als Frau in spektakulären Umbesetzungen. Die Mode schöpft aus ihrem Queering das gewisse Etwas.
Geboren 1960 in Hannover. Professorin für Allgemeine Literaturwissenschaft und Romanische Philologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Im Rahmen der Frühlingsvorlesung „Unruhe bewahren“der Akademie Graz liest Barbara Vinken: „Ver-kleiden. Was wir tun, wenn wir uns anziehen“am 2. und 3. Juni, Beginn jeweils um 19 Uhr, im Literaturhaus Graz.