Verbrannte Croissants für die Seele
Verena Roßbachers Roman „Mon Chéri und unsere demolierten Seelen“ist ein Feuerwerk der Fantasie und der Skurrilitäten mit existenzieller Tiefe.
Manchmal, in düsteren Momenten, möchte man über die deutschsprachige Gegenwartsliteratur klagen – wenn sie sich zu sehr bloßer Nabelschau hingibt, ästhetisch überambitioniert darauf schielt, mit Preisen bedacht zu werden, oder durch und durch humorlos auftritt. Und dann, in diesen düsteren Momenten, empfiehlt es sich, nach den Büchern der 1979 in Bludenz geborenen Verena Roßbacher zu greifen. Seit ihrem Debüt „Verlangen nach Drachen“(2009) besticht sie durch überbordende Fantasie, herrliche Skurrilitäten, literarisch kecke Anspielungen und tiefe Kenntnis selbst der profansten Alltagskultur.
Roßbachers neuer Roman macht da keine Ausnahme. Schon im kurzen Prolog beruft sie sich auf Peter Handke und rät jenen Leserinnen und Lesern, die sexlose Prosa nicht ertragen, vom Kauf ihres Buches ab. Natürlich hält sich die Autorin nicht an diese Vorgabe und kommt dreihundert Seiten später nicht umhin, sich mehreren Geschlechtsverkehren zu widmen, versehen freilich mit dem Hinweis, dass sich diese Passagen gut überspringen lassen.
Wer diesen Geschlechtsverkehr ausübt, darf umstandslos verraten werden. Charly Benz, eine in Berlin lebende Frau Anfang vierzig, ist Roßbachers Heldin, die meist mit ihrem Leben hadert. Studiert hat sie dies und jenes, ohne durchschlagenden Erfolg. Mit ihrem Aussehen ist sie unzufrieden, mit Männern will es nicht recht klappen, und ihre vor allem aus minderwertigem Scheiblettenkäse und verbrannten Croissants bestehende Ernährung macht die Sache nicht besser. Immerhin hat sie einen Brotberuf gefunden, der ein ordentliches Einkommen verspricht: Im Marketing einer Food Company brilliert sie mit Slogans aller Art.
Muss man erwähnen, dass es auch in Charlys Familie nicht an „demolierten Seelen“mangelt? Der Vater, Don genannt, treibt dubiose Geschäfte, die Schwester Sybille ergeht sich im Esoterischen, und Bruder Bruno ist ein Meister der Schokoladenverarbeitung,
Charlys Lieblingsprodukt, „Mon Chéri“, eingeschlossen. Eine „Familienaufstellung“, zu der Charly genötigt wird, soll Verschüttetes ans Tageslicht bringen. Der Effekt ist, wir sind nicht überrascht, indes ein anderer.
So treibt der von Lust am Aberwitzigen getriebene Roman von einem Debakel zum nächsten. Bis Charly plötzlich zu ihrer eigenen Überraschung mit drei Männern, darunter ihr gut gebauter Jugendfreund Dragaschnig, Sex hat, schwanger wird und den Erzeuger nicht eindeutig zuordnen kann – was wiederum zu einer aparten Ménage-a`quatre führt, da sich die potenziellen Väter gut verstehen und Charly gern mit Rat und Tat begleiten. Auch die Schauplätze wechseln: Mal ist man im Berlin von heute, mal im Zürich von gestern und am Ende im einst mondänen Bad Gastein, wo Charly jählings die Rolle einer Hotelerbin zu geben hat.
Dass es in diesem Roman nicht nur – als wäre Charly die „Protagonistin einer schlechten Sitcom“– schräg zugeht, verdankt sich einer väterlichen Figur, die dem Roman eine staunenswerte existenzielle Tiefe gibt. Herr Schabowski heißt dieser Mann um die sechzig, der Charly anfangs von ihrer Angst, Post zu öffnen, heilen soll. Als er jedoch unheilbar an Krebs erkrankt und sich selbst aufgibt, sieht Charly von allen Misslichkeiten ihres Lebens ab und nimmt ihr Herz in beide Hände. So leicht will sie den wunderbaren Schabowski nicht dem Tod überlassen.
Was sonst noch in diesem überschäumenden Roman vorkommt? Sehr viel. Aber da eine Rezension nicht alles ausplaudern darf, endet sie hier.