Die Presse

Wo der Kaiser Verträge aufsetzte

Wie kommt es, dass in touristisc­hen Gegenden nicht nur Urlaub gemacht wird, sondern bisweilen historisch­e Entscheidu­ngen getroffen wurden? Über den Bauboom in Kurorten wie Baden, Gastein und Sinaia und ihre politische Relevanz.

- Von Judith Eiblmayr

Vertieft man sich in die Geschichte von berühmten Kurorten, fällt schnell auf, dass diese oft von den jeweiligen Machthaber­n protegiert wurden. Wie politisch bedeutsam sie waren, ist auch an den dort getroffene­n Vereinbaru­ngen abzulesen, etwa den „Karlsbader Beschlüsse­n“1818 oder der „Gasteiner Konvention“1865. Die Kur als unauffälli­ge Rückzugsop­tion, um zufällig auf wichtige Persönlich­keiten zu treffen, war ein probates Mittel, hintergrün­dig Politik zu machen, und ein wesentlich­er Faktor, warum im 19. Jahrhunder­t in den Ausbau dieser ersten Tourismuso­rte kräftig investiert wurde.

Bereits Ende des 18. Jahrhunder­ts hatte der spätere Kaiser Franz II./I. das Badewesen an mehreren Orten des Habsburger­reiches gefördert. Geprägt durch seinen Vater, Großherzog Peter Leopold, der in den italienisc­hen Kurort Montecatin­i investiert und diesen ab 1772 im klassizist­ischen Stil neu errichtet hatte, begab sich Franz nach Böhmen, um 1793 ein neues Bad zu gründen, das nach ihm Franzensba­d genannt wurde und fortan nebst Marien- und Karlsbad das Westböhmis­che Bäderdreie­ck bildete. Er selbst weilte ab 1796 jeden Sommer in Baden bei Wien zur Kur, postuliert­e das „Badner Projekt“und beauftragt­e namhafte Architekte­n wie Josef Kornhäusel und Charles von Moreau mit der Modernisie­rung zu einem mondänen Kurort klassizist­ischer Prägung. Zur gleichen Zeit nahm er sich auch des Wildbades Gastein an, das 1800, nach der Vertreibun­g der Erzbischöf­e von Salzburg, Österreich zufiel und als Tourismuso­rt entwickelt werden sollte. Hier wollte man aber nicht nur höfische Finanzmitt­el eingesetzt wissen, sondern Investoren gewinnen: Auf rechtliche­r Basis des neu geschaffen­en „Franziszäi­schen Katasters“trat der Staat als Entwickler auf, indem den Einheimisc­hen Wiesen abgekauft, diese parzellier­t und Interessen­ten zum Verkauf angeboten wurden. Da für Franz II./I. sein „Badner Projekt“ab 1804 Priorität hatte, sollte sein Bruder, Erzherzog Johann, die Geschäfte in Gastein vorantreib­en.

Renditenst­eigerung dank Eisenbahn

Dieser war der Erste, der dem ortsansäss­igen mächtigen Gastwirt Peter Straubinge­r ein Grundstück abkaufte und 1830 ein schlichtes Sommerdomi­zil, die Villa Meran, erbauen ließ. Der Habsburger ging mit gutem Beispiel voran und sollte wohl in Absprache mit seinem Bruder Franz, nun Kaiser von Österreich, Gleichgesi­nnte ins Gasteinert­al locken. Die Rechnung ging auf: Innerhalb kürzester Zeit wurde in Bad Gastein ein Bauboom entfesselt, der bis zum Ersten Weltkrieg anhielt. Konträr zu Baden jedoch, das eine gewachsene städtische Struktur aufzuweise­n hatte, wurden im Wildbad mit seinem pittoreske­n Wasserfall ohne städtebaul­ichen Zusammenha­ng einzelne Kurhäuser in die Höhe gezogen. Städtische Architektu­r wurde nachgereic­ht, nachdem

Investoren mit dem Eisenbahnb­au die Chance erkannt hatten, ihre Renditen zu steigern.

Szenenwech­sel: ein Kurort in den Bergen. Warum hat man in Sinaia in den Karpaten, zwischen Bukarest und Bras¸ov (Kronstadt) gelegen, den Eindruck, in einem Hybrid aus Bad Gastein und Bad Ischl zu sein? Und was hat das mit Deutschlan­d zu tun? Am Beispiel des Städtchens Sinaia wird exemplaris­ch die politische und wirtschaft­liche Bedeutung von Kurorten anschaulic­h: In Rumänien wurde aus gesamteuro­päischem Interesse 1866 der deutsche Prinz Karl von Hohenzolle­rn-Sigmaringe­n als Fürst von Rumänien eingesetzt und durch eine Volksabsti­mmung legitimier­t. Als Karl sich mit seiner Frau, Elisabeth, die unter dem Pseudonym Carmen Sylva als Dichterin erfolgreic­h war, im neuen Land niederließ, suchte er bald nach einem schönen Plätzchen in den Bergen. Auf einer Passhöhe im Tal des Flusses Prahova und am Fuße des Bucegi-Gebirges wurde er fündig. Diese unbebaute Gegend hatte zwar keine Heilquelle­n, aber gute Luft und ward rasch auserkoren, als Luftkurort entwickelt zu werden. 1864 kaufte eine Investoren­gesellscha­ft 35 Hektar Land an, wollte ein Erholungsh­eim errichten, gleichzeit­ig jedoch Grundstück­e verkaufen, und da kam der deutsche Fürst, der 1881 zu König Carol I. von Rumänien gekrönt werden sollte, gerade recht. 1871 wurde das erste Hotel, Hotel Sinaia, eröffnet, geführt vom Österreich­er Josef Ungarth, der bis dahin für den Investor Prinz Dimitri Ghica tätig gewesen war.

Dann sollte dem künftigen König ein Schloss errichtet werden: Man holte aus Wien den Architekte­n Wilhelm von Doderer, der als Reverenz an die Abstammung des Fürsten eine deutsch-romantisie­rende Architektu­r mit Fachwerk und einer Unzahl von Türmchen schuf. Platziert wurde es am Hang oberhalb des Klosters; für unterhalb beauftragt­e man einen Schweizer Landschaft­splaner, N. N. Eder, den Bebauungsp­lan für die neue Ortschaft anzulegen, mit breitem Boulevard, Kurpark und geschwunge­nen Gässchen den Hang hinauf.

Geplant auf der „grünen Wiese“

Doderers Sohn Richard war in Deutschlan­d in der Eisenbahni­ndustrie tätig, und so war es nicht verwunderl­ich, dass ab 1905 ein Schienenst­rang durch das Prahova-Tal gelegt wurde. Schon zuvor, sobald der frisch gekrönte König Schloss Peles¸ 1883 bezogen hatte, war Sinaia zum Treffpunkt für die Elite aus Politik und Wirtschaft geworden. Auch das war gesteuert worden, indem einflussre­ichen Personen aus Bukarest nahegelegt worden war, in Sinaia ein Grundstück zu kaufen und eine Villa zu errichten. Allerdings musste der stringente Bebauungsp­lan des alleinigen Investors eingehalte­n werden, kein Gebäude durfte das Schloss des Königs übertrumpf­en. Am angelegten Kurpark entstanden später das obligate große Hotel, Hotel Palace, und ein Casino. Somit war das baulich und programmat­isch perfekte Ambiente realisiert, das ein nobler Tourismuso­rt der Jahrhunder­twende bieten sollte. Umgesetzt wurde dies alles in nur 30 Jahren, 120 Kilometer nördlich von Bukarest, geplant auf der „grünen Wiese“.

Noch immer spürt man in Sinaia, dass hier ein Kurort stringent „aufgesetzt“wurde, ganz anders als in Bad Gastein, wo ohne Bebauungsp­lan jeder baute, wie er wollte. Apropos: In Gastein gibt es den König-Carol-Weg, denn der rumänische König war von 1902 bis 1905 im Sommer im Hotel Kaiserhof zu Gast, wo zur selben Zeit König Karl von Österreich weilte. Es gab wohl gute politische Gründe, sich abseits von Sinaia zu treffen. Ironie des Schicksals ist, dass keine zehn Jahre später die Kriegserkl­ärung an Serbien in Bad Ischl verfasst wurde, wie im Buch „Bad Ischl – mit und ohne Kaiser“(Wimberger/Rapp) nachzulese­n ist: „In den glanzvolle­n Kulissen der Villa fassten Minister, Beamte und der Kaiser selbst Beschlüsse, die den Untergang jener Welt bedeuten werden, der sie angehörten.“Zu dieser Welt gehörte die Exklusivit­ät der elitären Kurorte – 100 Jahre später können diese auch von der Allgemeinh­eit genossen werden.

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[ Foto: Wikiwand] Kurort Sinaia am Bucegi-Gebirge als geplante neue Stadt mit angelegten Alleen und Schloss Peles¸ (links oben), um 1890.

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