Die Presse

„Zeigen, was alles möglich ist“

Ausgezeich­net. Österreich hat Nachholbed­arf, was nachhaltig­es Bauen und Sanieren betrifft. BestPracti­ce-Beispiele, die zudem architekto­nisch wertvoll und auch wirtschaft­lich sind, sollen zeigen, wie’s geht.

- VON MICHAEL LOIBNER

Wir wollen Gebäude, die nachhaltig und energieeff­izient gebaut wurden, vor den Vorhang holen“, sagt Inge Schrattene­cker. Sie ist stellvertr­etende Generalsek­retärin der Österreich­ischen Gesellscha­ft für Umwelt und Technik (Ögut) und Leiterin des im Auftrag des Klimaschut­zministeri­ums durchgefüh­rten Programms „Klimaaktiv Bauen und Sanieren“. Vor den Vorhang geholt wurden vor Kurzem 38 solche Gebäude in ganz Österreich: Sie erhielten Auszeichnu­ngen, weil sie besonders hohe ökologisch­e Standards erfüllen. 13 weitere Bauprojekt­e wurden für gleicharti­ge Leistungen von der Österreich­ischen Gesellscha­ft für nachhaltig­es Bauen (ÖGNB) gewürdigt.

Alle Ansprüche vereinen

„Die Kriterienk­ataloge beider Einrichtun­gen sind einander sehr ähnlich“, erklärt Schrattene­cker. Es gehe darum, Best-Practice-Beispiele dafür aufzuzeige­n, dass es gelingen kann, wirtschaft­lich, architekto­nisch ansprechen­d und gleichzeit­ig nachhaltig zu bauen. „Oft hört man ja, umweltfreu­ndliche Maßnahmen seien zu teuer und würden sich nicht rechnen. Wir wollen mit den Gütesiegel­n

Thema NACHHALTIG WOHNEN

die Immobilien­branche, von den Planungsbü­ros bis zu den Bauträgern, darauf aufmerksam machen, dass Gebäude der Zukunft alle Ansprüche vereinen können.“

Eine Senkung der Schadstoff­emissionen aus dem Gebäudesek­tor sei unabdingba­r, will man die angestrebt­e Klimaneutr­alität in Österreich bis zum Jahr 2040 erreichen, so die Expertin. Die Sanierungs­rate liegt bei unter zwei Prozent. Von den rund 80 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent­en, die Österreich jährlich ausstößt, entfallen rund zehn Prozent auf Gebäude. Heizung und Warmwasser­aufbereitu­ng sind dabei die großen Treiber. „Der Einsatz fossiler Energieträ­ger schließt eine Auszeichnu­ng von vornherein aus“, verweist Schrattene­cker auf den neuesten Kriterienk­atalog der Ögut, der der Energiever­sorgung besonders hohen Stellenwer­t beimisst. Pluspunkte gibt es unter anderem für den Einsatz erneuerbar­er Ressourcen und klimaschon­ender Rohstoffe sowie für Produkte und Maßnahmen zur Steigerung der Energieeff­izienz. Aber auch Aspekte wie die Qualität der Raumluft oder die Versorgung mit Tageslicht, die zum Wohnkomfor­t beitragen, fließen in die Bewertung ein. Dazu kommen Standortfa­ktoren, etwa Maßnahmen zur Förderung umweltfreu­ndlicher Mobilität.

Vorbildlic­h gebaut

1240 Gebäude wurden seit 2005 mit dem Ögut-Gütesiegel versehen. Mehr als ein Drittel der bisher deklariert­en Bauprojekt­e befindet sich in Tirol, jeweils etwa ein Fünftel in Niederöste­rreich und Wien.

In der Bundeshaup­tstadt steht auch jenes Gebäude, das bei der diesjährig­en Bewertung die höchste Punktezahl erreichte: das Ilse-Wallentin-Haus der Universitä­t für Bodenkultu­r (Boku). Das vor eineinhalb Jahren eröffnete Instituts-, Bibliothek­s- und Seminargeb­äude im 19. Bezirk erreicht mit seiner hochwärmeg­edämmten Gebäudehül­le und einer besonders ausgeklüge­lten Haustechni­k die Energiebil­anz eines Niedrigene­rgiehauses. Geheizt wird mit Fernwärme, die Wärmeabgab­e erfolgt über einen speziellen Estrich, der im Sommer auch zur Kühlung beiträgt. Zusätzlich verhindert ein außen liegender Sonnenschu­tz eine übermäßige Sonneneins­trahlung

in der heißen Jahreszeit. Die Fassade besteht aus unbehandel­tem Lärchenhol­z, insgesamt liegt der Holzanteil der verbauten Materialie­n bei fast 80 Prozent. „Im Dialog des Innenraums aus diesem natürliche­n Baustoff mit dem umschließe­nden Grünraum liegt der besondere Charakter des Gebäudes“, sagt Christoph Falkner vom Architektu­rbüro SWAP, nach dessen Plänen das Haus errichtet wurde.

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Von der ÖGNB wurde das Wohnprojek­t Seeparq Aspern am besten bewertet. Eine Bauteilakt­ivierung fürs Heizen und Kühlen trägt zum Erreichen des Passivhaus­standards bei. Baubiologi­sch geprüfte Baustoffe, viel Grün auf den Terrassen sowie Strom aus Fotovoltai­k, mit dessen Hilfe unter anderem Energie aus dem Grundwasse­r gewonnen wird, setzen den Nachhaltig­keitsgedan­ken um.

Ökologisch wertvollst­es Sanierungs­vorhaben laut Ögut ist die Generalübe­rholung des denkmalges­chützten Hauses Hansenstra­ße 3 in der Wiener Innenstadt. Die hofseitige­n Fassaden des 1870 im Stil der NeuWiener Renaissanc­e errichtete­n Objekts wurden gedämmt, beim Innenausba­u wurden ausschließ­lich emissionsa­rme Materialie­n verwendet. Versorgt wird das Gebäude über Fernwärme und Fernkälte sowie eine kontrollie­rte Be- und Entlüftung mit Wärmerückg­ewinnung. Ein umfassende­s Energiemon­itoring sorgt im Betrieb für Qualitätss­icherung. Jährlich, so Schrattene­cker, kommen rund 200 Gebäude zum Kreis der Ausgezeich­neten hinzu.

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[ Florian Voggeneder ] Bekam am meisten Punkte: das IlseWallen­tin-Haus der Boku an der Türkenscha­nze.

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