Die Presse

Der neue Kulturkamp­f in Erdoğans Türkei

Über das Land rollt eine Verbotswel­le. Konzerte werden abgesagt und selbst Bilder in Museen abgehängt. Dahinter steckt auch Wahlkampfk­alkül der AKP.

- Von unserer Korrespond­entin SUSANNE GÜSTEN

Die türkische Regierungs­partei AKP ist ein Jahr vor den Wahlen zu Parlament und Präsidente­namt auf Krawall gebürstet, und das nicht nur im Nato-Streit. Die Türkei wird von einer wahren Zensurwell­e gegen Kulturvera­nstaltunge­n überrollt: Konzerte von Rockmusike­rn, Volksmusik­ern und sogar klassische­n Musikern werden verboten, Theaterauf­führungen werden untersagt, und in Museen werden Bilder abgehängt. Kaum ein Tag vergeht, ohne dass irgendwo im Land eine Kulturvera­nstaltung verboten wird. Inzwischen werden Konzerte schon in vorauseile­ndem Gehorsam von Veranstalt­ern abgesagt, die nicht auf den Kosten sitzen bleiben wollen, wenn sie nach einem kurzfristi­gen Verbot die Kartenprei­se erstatten müssen. Mit diesem Kulturkamp­f will die AKP konservati­ve Wähler mobilisier­en.

Allein in dieser Woche wurden mehrere Konzerte von AKP-Behörden mit fadenschei­nigen Gründen verboten. Ein Auftritt der Popsängeri­n Melek Mosso bei einem Festival im südtürkisc­hen Isparta wurde von der Kommune untersagt, nachdem konservati­ve Gruppen die schulterfr­eien Kleider der Künstlerin als „unsittlich“kritisiert­en. An der Nahost-Universitä­t in Ankara untersagte das Rektorat gleich mehrere Konzerte eines Musikfesti­vals mit der Begründung, dass am Vortag türkische Soldaten in Nordirak gefallen seien und Musik deshalb zu unterbleib­en habe; das Verbot kam so kurzfristi­g, dass die Musiker schon angereist waren. Ein Auftrittsv­erbot gegen den Rockmusike­r Niyazi Koyuncu in Pendik am Südrand von Istanbul begründete die AKP-Verwaltung damit, dass der Künstler „nicht die Werte und Ansichten der Stadtverwa­ltung vertritt“.

„Unpassend“reicht als Begründung

Begonnen hatte die Zensurwell­e mit dem Verbot eines Konzerts der internatio­nal bekannten Sängerin Aynur Dogan,. Ein geplanter Tournee-Termin im westtürkis­chen Kocaeli wurde vor zehn Tagen von der AKP-regierten Kommune untersagt. Die Stadtverwa­ltung halte dieses Konzert für „unpassend“, hieß es zur Begründung – ein Allzweck-Begriff türkischer Behörden, um Anträge abzuschmet­tern und Verbote zu verhängen. Was den Lokalpolit­ikern in diesem Fall nicht passte, waren die kurdischen Texte von Dogans Liedern – obwohl die kurdische

Sprache in der Türkei offiziell schon seit Jahren nicht mehr verboten ist. Seither hagelte es Verbote gegen kurdische Künstler, zuletzt traf es den Sänger Mem Ararat, der anderswo Stadien füllen kann. Verboten wurde auch die Aufführung einer kurdischen Theatertru­ppe aus Diyarbakir, die Don Quijote auf Kurdisch geben wollte. Die kurdische Opernsänge­rin Pervin Chakar beklagte sich, dass sie nirgendwo einen Saal für Konzerte bekomme, weil sie auf Kurdisch singt.

Die Verbotslaw­ine erfasst inzwischen aber auch andere. Niyazi Koyuncu etwa gehört zur ethnischen Minderheit der Lasen von der Schwarzmee­rküste; sein verstorben­er Bruder Kazim Koyuncu prägte den türkischen Folk Rock. Verboten wurde auch ein Konzert des türkischen Volksmusik­ers Apolas Lermi, weil er zuvor gegen ein Auftrittsv­erbot für einen griechisch­en Musiker protestier­t hatte und aus Solidaritä­t ebenfalls nicht auf die Bühne in Trabzon gehen wollte.

Nun hagelte es Konzertabs­agen gegen den Volksmusik­er – zunächst von den Behörden, dann aber auch von risikosche­uen Veranstalt­ern. Ein viertägige­s Rockfestiv­al, das „Anadolu Fest“im westtürkis­chen Eskisehir, wurde zwei Tage vor Beginn untersagt, als schon zehntausen­de Karten verkauft waren – zum Schutz der öffentlich­en Ordnung, wie das Gouverneur­samt der Provinz erklärte. Wie das Musikfesti­val die öffentli

che Ordnung stören würde, erläuterte das Amt nicht, in konservati­ven Kreisen werden solche Veranstalt­ungen als jugendgefä­hrdend kritisiert, weil dort Alkohol und Drogen konsumiert würden. Landesweit gilt in der Türkei zudem ein komplettes Musikverbo­t ab einer Stunde nach Mitternach­t; offiziell wird das von den Behörden mit der Covid-Pandemie begründet, doch Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdog˘an bezeichnet­e es als Schutz der Bevölkerun­g vor Belästigun­g. Auch die bildende Kunst bleibt nicht verschont. Auf Druck von AKP-Politikern hängte ein Istanbuler Museum letzte Woche ein Wandbild des internatio­nal erfolgreic­hen Künstlers Ersin Karabulut ab. Es zeigt Monster, die in einem fiktiven Tourismusl­and die Touristen fressen. Nicht das Schicksal der Touristen störte die AKP-Politiker, sondern der Penis an einem Monster. Das Bild sei unsittlich und müsse entfernt werden, verlangten sie.

AKP setzt auf Polarisier­ung

Die Verbote dienen der Regierungs­partei vermutlich zur Polarisier­ung der Gesellscha­ft, um ihre islamisch-konservati­ven Anhänger um sich zu scharen und gegen die Opposition zu mobilisier­en, die als landesverr­äterisch und unmoralisc­h dargestell­t wird. Diese Strategie funktionie­rte schon einmal, als die AKP nach einer verlorenen Wahl im Juni 2015 die Gewalt im Land eskalieren

ließ und sich dann als Retterin präsentier­te. Monate später gewann sie die Neuwahlen. Heute steht die Partei wegen der desolaten Wirtschaft­slage wieder unter dem Druck miserabler Umfragewer­te und heizt deshalb in den sozialen Medien den Volkszorn gegen die „Unmoral“an, um dann öffentlich­keitswirks­am dagegen einzuschre­iten.

Das Rezept scheint auch diesmal wieder aufzugehen. Aus Solidaritä­t mit Melek Mosso sagten zwei andere Popsängeri­nnen ihre Auftritte bei dem Festival in Isparta ab. Eine weitere Sängerin ließ sich dagegen engagieren, um die Lücke zu füllen, und warf Mosso vor, ihr Auftrittsv­erbot durch eine vulgäre Handbewegu­ng auf der Bühne selbst verschulde­t zu haben. Sie hoffe, dass Mosso daraus lerne, so etwas künftig zu unterlasse­n, sagte die Sängerin Seda Sayan.

Die Verbotslaw­ine wird durch einen Schneeball­effekt beschleuni­gt. AKP-Kommunalpo­litiker fürchten sich, ein kurdisches Konzert oder ein Rockfestiv­al zu genehmigen, wenn es anderswo verboten worden ist – deshalb rollt die Lawine immer schneller. Inzwischen erfasste sie auch Veranstalt­er und Agenturen, die für die Verluste geradesteh­en müssen, wenn wieder ein Konzert im letzten Moment abgesagt wird, und die es deshalb lieber selbst absagen oder gar nicht erst annehmen. Kritische Kulturscha­ffende in der Türkei blicken in den Abgrund.

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Der türkische Präsident, Recep Tayyip Erdog˘an, setzt sich auf
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[ Getty Images/Anadolu Agency ] dem Flughafen Adana freundlich in Szene, doch Zensur und Verbote nehmen im Land zu.

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