Verkehrspolitik in Österreich: Tunnelblick und Fakten
Die Klimaerwärmung heizt Diskussionen um Verkehrsprojekte an, vor allem in Wien – was die Frage eröffnet: Schadet der Wiener SPÖ ihre Verkehrspolitik?
Es gibt wenige Dinge in dieser Republik, die derart polarisieren wie das Thema Straßenverkehr. Und das seit Jahrzehnten. Die Positionen spitzen sich auf die Frage zu: „Straße oder Umwelt?“– was für die Bewältigung der Probleme im Umweltund Verkehrsbereich völliger Unsinn ist. Auf dem Weg in die Zukunft muss es gelingen, beide Systeme zu einer sich ergänzenden Einheit zu verschmelzen.
Das Problem: Die Diskussion wird meist nicht mit Fakten, sondern Emotionen geführt. In diesem Klima können kaum sinnvolle Lösungen entstehen. Ein Musterbeispiel dafür sind zwei Projekte in Wien: die Nordost-Umfahrung (samt Lobau-Tunnel) und die Stadtstraße, an der sozial geförderte Wohnungen für 60.000 Menschen hängen. Beide Projekte hat die SPÖ am Samstag vehement gefordert, Umweltschutzgruppen demonstrierten dagegen. Nachdem die Debatte von persönlichen Angriffen und einem emotionalen Tunnelblick auf Fakten geprägt ist, hier der Versuch einer Versachlichung.
In Richtung SPÖ: Es ist selbstverständlich legitim, dass Umweltschutzorganisationen weiterhin Stimmung gegen den Lobau-Tunnel machen. Demokratie lebt von Diskussionen und dem Austausch von Argumenten. In Richtung Tunnelgegner: Der Widerstand gegen den Lobau-Tunnel ist sinnbefreit. Der Tunnel ist tot und wird auch in absehbarer Zeit nicht zum Lazarus des Straßenverkehrs. Wer trotzdem dagegen demonstriert, muss sich die Frage stellen, ob nicht ein gewisser Drang nach Profilierung oder politischer Taktik mitspielt. Beispielsweise bekämpften die Grünen die Stadtstraße, die von ihrer Umweltministerin als notwendig genehmigt wurde.
Unbestritten ist, dass Wien eine Lösung für den Transit- und Schwerverkehr benötigt, der derzeit mitten durch die Stadt rollt und bei Staus auf Wohngebiete ausweicht. Und dieser Transitverkehr wird in Zukunft zunehmen – selbst wenn der öffentliche Verkehr in Wien radikal ausgebaut wird (was für den Klimaschutz unbedingt notwendig ist). Auch kann der öffentliche Verkehr ein Faktum nicht (vollständig) kompensieren: Wien ist in den vergangenen Jahren um die Einwohnerzahl der zweitgrößten Stadt Österreichs, Graz, gewachsen. Für Arbeitsplätze (Betriebsansiedlungen) und Wohnungen braucht die Stadt eine leistungsfähige Infrastruktur auch auf der Straße. Jeder größere Ort besitzt eine Umfahrung, die die Lebensqualität dort massiv verbessert – nur Wien nicht.
Das Problem mit dem Lobau-Tunnel lässt sich leicht lösen: Die Ministerin hat eine gleichwertige umweltfreundlichere Alternative angekündigt. Die wurde seit 20 Jahren nicht gefunden, aber vielleicht schafft Gewessler wie Tom Cruise die „mission impossible“, und niemand wird dem Tunnel eine Träne nachweinen. Findet sie keine gleichwertige Lösung, muss der Tunnel gebaut werden. Unabhängig davon muss die Stadtregierung den Klimaschutz als wichtigstes Zukunftsthema stärker forcieren und den öffentlichen Verkehr massiv ausbauen.
Die politische Frage lautet aber: Schadet der SPÖ ihre Verkehrspolitik bei jungen Wählern? Immerhin ist der Klimaschutz (zu Recht) deren wichtigstes Thema.
Das erste Faktum: Wiens Jugendliche sind bei dem Thema Lobau-Tunnel laut Jugendbefragung gespalten. Korrigiert Ludwig seine Linie, verliert er Jugendliche, die in betroffenen Bezirken unter Stau und Abgasen leiden. Einen (fest bei den Grünen verankerten) Tunnelgegner gewinnt er damit nicht.
Das zweite Faktum: Bei der WienWahl 2020 war die SPÖ bei 16- bis 29-Jährigen die deutlich stärkste Partei vor den Grünen. Damals waren Klimawandel und Lobau-Tunnel längst ein Thema. Für junge Menschen geht es (neben Klimaschutz) auch um SPÖ-Kernthemen wie eine leistbare Wohnung, eine Lehrstelle oder einen Arbeitsplatz. Dazu ist Wien nicht so schlecht aufgestellt, wie Tunnelgegner oft behaupten: Der CO2-Ausstoß des Verkehrs und der Flächenverbrauch sind (pro Kopf) der niedrigste aller Bundesländer.
Zu sicher darf sich Ludwig trotzdem nicht fühlen – eine politische Eigendynamik entwickelt sich sehr schnell. Michael Häupl warnte einst seine Partei ständig mit den launigen Worten: „Es sind auch schon Hausherren gestorben!“