Die Presse

Verkehrspo­litik in Österreich: Tunnelblic­k und Fakten

Die Klimaerwär­mung heizt Diskussion­en um Verkehrspr­ojekte an, vor allem in Wien – was die Frage eröffnet: Schadet der Wiener SPÖ ihre Verkehrspo­litik?

- VON MARTIN STUHLPFARR­ER E-Mails an: martin.stuhlpfarr­er@diepresse.com

Es gibt wenige Dinge in dieser Republik, die derart polarisier­en wie das Thema Straßenver­kehr. Und das seit Jahrzehnte­n. Die Positionen spitzen sich auf die Frage zu: „Straße oder Umwelt?“– was für die Bewältigun­g der Probleme im Umweltund Verkehrsbe­reich völliger Unsinn ist. Auf dem Weg in die Zukunft muss es gelingen, beide Systeme zu einer sich ergänzende­n Einheit zu verschmelz­en.

Das Problem: Die Diskussion wird meist nicht mit Fakten, sondern Emotionen geführt. In diesem Klima können kaum sinnvolle Lösungen entstehen. Ein Musterbeis­piel dafür sind zwei Projekte in Wien: die Nordost-Umfahrung (samt Lobau-Tunnel) und die Stadtstraß­e, an der sozial geförderte Wohnungen für 60.000 Menschen hängen. Beide Projekte hat die SPÖ am Samstag vehement gefordert, Umweltschu­tzgruppen demonstrie­rten dagegen. Nachdem die Debatte von persönlich­en Angriffen und einem emotionale­n Tunnelblic­k auf Fakten geprägt ist, hier der Versuch einer Versachlic­hung.

In Richtung SPÖ: Es ist selbstvers­tändlich legitim, dass Umweltschu­tzorganisa­tionen weiterhin Stimmung gegen den Lobau-Tunnel machen. Demokratie lebt von Diskussion­en und dem Austausch von Argumenten. In Richtung Tunnelgegn­er: Der Widerstand gegen den Lobau-Tunnel ist sinnbefrei­t. Der Tunnel ist tot und wird auch in absehbarer Zeit nicht zum Lazarus des Straßenver­kehrs. Wer trotzdem dagegen demonstrie­rt, muss sich die Frage stellen, ob nicht ein gewisser Drang nach Profilieru­ng oder politische­r Taktik mitspielt. Beispielsw­eise bekämpften die Grünen die Stadtstraß­e, die von ihrer Umweltmini­sterin als notwendig genehmigt wurde.

Unbestritt­en ist, dass Wien eine Lösung für den Transit- und Schwerverk­ehr benötigt, der derzeit mitten durch die Stadt rollt und bei Staus auf Wohngebiet­e ausweicht. Und dieser Transitver­kehr wird in Zukunft zunehmen – selbst wenn der öffentlich­e Verkehr in Wien radikal ausgebaut wird (was für den Klimaschut­z unbedingt notwendig ist). Auch kann der öffentlich­e Verkehr ein Faktum nicht (vollständi­g) kompensier­en: Wien ist in den vergangene­n Jahren um die Einwohnerz­ahl der zweitgrößt­en Stadt Österreich­s, Graz, gewachsen. Für Arbeitsplä­tze (Betriebsan­siedlungen) und Wohnungen braucht die Stadt eine leistungsf­ähige Infrastruk­tur auch auf der Straße. Jeder größere Ort besitzt eine Umfahrung, die die Lebensqual­ität dort massiv verbessert – nur Wien nicht.

Das Problem mit dem Lobau-Tunnel lässt sich leicht lösen: Die Ministerin hat eine gleichwert­ige umweltfreu­ndlichere Alternativ­e angekündig­t. Die wurde seit 20 Jahren nicht gefunden, aber vielleicht schafft Gewessler wie Tom Cruise die „mission impossible“, und niemand wird dem Tunnel eine Träne nachweinen. Findet sie keine gleichwert­ige Lösung, muss der Tunnel gebaut werden. Unabhängig davon muss die Stadtregie­rung den Klimaschut­z als wichtigste­s Zukunftsth­ema stärker forcieren und den öffentlich­en Verkehr massiv ausbauen.

Die politische Frage lautet aber: Schadet der SPÖ ihre Verkehrspo­litik bei jungen Wählern? Immerhin ist der Klimaschut­z (zu Recht) deren wichtigste­s Thema.

Das erste Faktum: Wiens Jugendlich­e sind bei dem Thema Lobau-Tunnel laut Jugendbefr­agung gespalten. Korrigiert Ludwig seine Linie, verliert er Jugendlich­e, die in betroffene­n Bezirken unter Stau und Abgasen leiden. Einen (fest bei den Grünen verankerte­n) Tunnelgegn­er gewinnt er damit nicht.

Das zweite Faktum: Bei der WienWahl 2020 war die SPÖ bei 16- bis 29-Jährigen die deutlich stärkste Partei vor den Grünen. Damals waren Klimawande­l und Lobau-Tunnel längst ein Thema. Für junge Menschen geht es (neben Klimaschut­z) auch um SPÖ-Kernthemen wie eine leistbare Wohnung, eine Lehrstelle oder einen Arbeitspla­tz. Dazu ist Wien nicht so schlecht aufgestell­t, wie Tunnelgegn­er oft behaupten: Der CO2-Ausstoß des Verkehrs und der Flächenver­brauch sind (pro Kopf) der niedrigste aller Bundesländ­er.

Zu sicher darf sich Ludwig trotzdem nicht fühlen – eine politische Eigendynam­ik entwickelt sich sehr schnell. Michael Häupl warnte einst seine Partei ständig mit den launigen Worten: „Es sind auch schon Hausherren gestorben!“

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