Die Presse

Jerusalem-Tag sorgt in Israel wieder für Zündstoff

Ausschreit­ungen. Israel feiert die „Wiedervere­inigung“der Stadt, im Vorjahr kam es zu Gewalt und Toten, auch heuer war die Lage angespannt.

- V on unserer Korrespond­entin MAREIKE ENGHUSEN

Jerusalem. Auch dieses Jahr ist der JerusalemT­ag von Wut, Drohungen und Gewalt begleitet worden – und hat dabei ungute Erinnerung­en an das vergangene Jahr wachgerufe­n: Am Jerusalem-Tag im Mai 2021 hatte die Hamas in Gaza, von westlichen Staaten als Terrororga­nisation eingestuft, Raketen gen Jerusalem abgefeuert – der Auslöser für eine elftägige militärisc­he Eskalation, der über 250 Palästinen­ser und 14 Israelis zum Opfer fielen. Ein massives Aufgebot von Sicherheit­skräften in der Heiligen Stadt sollte in diesem Jahr Schlimmere­s vermeiden. Dennoch kam es über den Tag hinweg immer wieder zu gewaltsame­n Szenen.

Aus israelisch­er Sicht sollte der Jerusalem-Tag ein heiterer Anlass sein: Das Land feiert an diesem Tag die Eroberung Ostjerusal­ems im Sechs-Tage-Krieg von 1967. Jener Teil der Stadt beherbergt die Klagemauer, die letzte Erinnerung an den einstigen jüdischen Tempel, und ist für Juden deshalb von besonderer Bedeutung. Jordanien hatte Ostjerusal­em 1948 im Zuge des israelisch­en Unabhängig­keitskrieg­s

erobert, bis 1967 kontrollie­rt und Juden keinen Zugang zu ihrer heiligen Stätte gewährt. Dem offizielle­n Duktus zufolge feierten Israelis gestern auch die „Wiedervere­inigung“der Stadt.

Die Palästinen­ser wiederum sehen Jerusalem als Hauptstadt ihres zukünftige­n Staats. Die Palästinen­sische Autonomieb­ehörde beanspruch­t nur den Ostteil der Stadt, im Einklang mit der vorherrsch­enden Haltung der internatio­nalen Gemeinscha­ft. Für viele palästinen­sische Bürger jedoch ist eine Teilung der Stadt ebenso schwer vorstellba­r wie für die meisten Israelis. Auf dem Tempelberg, den Muslime al-Haram al-Sharif nennen, steht die Al-Aqsa-Moschee, das drittwicht­igste Heiligtum im Islam und ein emotional höchst aufgeladen­es Symbol für den palästinen­sischen Unabhängig­keitskampf. „Jerusalem ist eine rote Linie“, lautete ein arabischer Hashtag, den gestern etliche Palästinen­ser auf Twitter teilten.

Palästinen­ser warfen Steine

Just vor der Al-Aqsa-Moschee entzündete­n sich die Spannungen schon am Sonntagmor­gen. Über 2500 Israelis stiegen auf den Tempelberg, darunter auch eine umstritten­e Persönlich­keit: der rechtsextr­eme Parlaments­abgeordnet­e Itamar Ben-Gvir, Chef der araberfein­dlichen Partei Jüdische Stärke, der zuverlässi­g an Brennpunkt­en auftaucht.

Auf dem Plateau vor der Moschee herrscht ein fragiler Status quo: Juden dürfen hinaufstei­gen, aber nicht dort beten. Die Verwaltung des Orts untersteht einer islamische­n Stiftung, für die Sicherheit ist Israel zuständig. Einige jüdische Besucher sollen nach Angaben der Polizei zu beten versucht haben, woraufhin Sicherheit­skräfte sie abführten. Einige Palästinen­ser wiederum begannen, Steine und Feuerwerks­körper zu werfen. Mehrere Menschen wurden festgenomm­en. Auch in der Altstadt von Jerusalem gerieten immer wieder junge Israelis und palästinen­sische Händler und Passanten aneinander.

Am angespannt­esten wurde jedoch der sogenannte Flaggenmar­sch am Nachmittag erwartet: Dabei sollten Tausende überwiegen­d junge religiöse Nationalis­ten mit israelisch­en Flaggen durch die Altstadt von Jerusalem ziehen, darunter auch durch das muslimisch­e Viertel, abgesicher­t von 3000 Polizisten. Bei Redaktions­schluss hatte der Marsch noch nicht begonnen.

Die israelisch­e Luftwaffe ließ Medienberi­chten zufolge am Nachmittag Kampfflugz­euge über Gaza kreisen, um im Fall eines erneuten Raketenbes­chusses schnell zurückschl­agen zu können. Die Hamas-Führung wiederum hatte im Vorfeld mit „Widerstand“gedroht. „Wir sind bereit für alle Szenarios“, verkündete der Leiter des politische­n Büros der Gruppe, Ismail Haniyeh, am Sonntag.

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[ Reuters/Ammar Awad ] Am Sonntag spitzte sich die Lage in Jerusalem zu. Die Armee war in Alarmberei­tschaft.

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