Braucht Österreich eine neue Sicherheitsstrategie?
Parlament. 2013 wurde das Dokument beschlossen, aus dem die Republik bis heute ihre sicherheitspolitischen Lehren zieht. Muss es neu verhandelt werden? Die meisten Parteien finden: ja. Die Koalition ist sich noch uneinig.
Wien. Eine gewisse Mindesthaltbarkeit sollte ein so wichtiges Dokument schon haben. Vor allem nach zwei Jahre langen Verhandlungen und einer breiten Mehrheit im Parlament. Immerhin neun Jahre lang lag die Sicherheitsstrategie also in der Republik auf, bis ihr Inhalt lautstark hinterfragt wurde.
2013 beschlossen sie ÖVP, SPÖ, FPÖ und Team Stronach gemeinsam im Nationalrat. Auf 27 Seiten sind dort die wichtigsten sicherheitspolitischen Ziele niedergeschrieben, aus denen Ministerien und Organisationen ihre Handlungen ableiten. Unter anderem ist dort nachzulesen: „Die Folgen des früheren Ost-West-Konflikts bestimmen nicht mehr wie bisher die sicherheitspolitische Agenda. Konventionelle Angriffe gegen Österreich sind auf absehbare Zeit unwahrscheinlich geworden.“
Nach dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine wird die Frage laut: Kann das so stehen bleiben? In einem offenen Brief an die Regierung und den Bundespräsidenten geben sich eine Reihe von
Persönlichkeiten selbst die Antwort: nein. Die Sicherheitsstrategie, oft auch Sicherheitsdoktrin genannt, müsse dringend aktualisiert werden – und die geopolitischen Veränderungen berücksichtigen.
Und auch im Parlament gibt es grundsätzlich eine Mehrheit dafür, das Papier zu erneuern. Vor allem die Opposition plädiert proaktiv dafür, das Dokument neu zu verhandeln. „Wenn nicht jetzt, wann dann“, fragt der Wehrsprecher der SPÖ, Robert Laimer: „Die Risikobilder haben sich verändert und verschärft.“Dabei gehe es nicht nur um den Ukraine-Krieg. Auch hybride Bedrohungen und Gefahren im Cyberbereich seien 2013 noch nicht so präsent gewesen wie jetzt. Eine allgemeine Debatte darüber schade ohnehin nicht: „Man kann nicht nur sagen: Wir sind neutral und passt schon. Man muss der Bevölkerung auch erklären, was das bedeutet.“
Damit ist er einer Meinung mit der FPÖ. „Na selbstverständlich“, antwortet Wehrsprecher Reinhard Bösch auf die Frage, ob es eine neue Sicherheitsstrategie brauche. „Wir werden darauf bestehen.“
Sein Antrag dazu liege schon im Parlament. Bei der nächsten Sitzung des Landesverteidigungsausschusses wollen beide Parteien darüber diskutieren. Und auch NeosChefin Beate Meinl-Reisinger plädierte für eine neue Sicherheitsstrategie. Wobei nicht zwingend eine lange Debatte über ein neues Dokument gemeint war. Gegen eine Aktualisierung würde man sich nicht wehren, hieß es aus dem Parlamentsklub am Sonntag. Aber es müsse schnell gehen.
Grüne offen, ÖVP skeptischer
Und die Regierungsparteien? David Stögmüller, Wehrsprecher der Grünen, sagte auf Nachfrage der „Presse“bereits: „Wir brauchen auf jeden Fall eine Überarbeitung der Sicherheitsdoktrin – man muss die neuen Gefahrenlagen mitdenken.“2013 stimmte die Partei übrigens nicht mit, das aktuelle Papier wird also offiziell gar nicht unterstützt. Damals hieß der zuständige Abgeordnete noch Peter Pilz, er bezeichnete die Sicherheitsstrategie als „Schmarren“. Er wollte einen Fokus auch auf die ökologische Sicherheit legen.
Die einzige Partei, die heute vorsichtig-skeptisch auf den Beschluss einer neuen Sicherheitsstrategie reagiert, ist die ÖVP. Man müsse eher das Risikobild 2030 neu bewerten und aktualisieren, sagte Wehrsprecher Friedrich Ofenauer zuletzt. Er meint damit ein internes Papier aus dem Verteidigungsministerium.
Gutachten kommt „bald“
In einem Punkt sind sich alle Parteien aber einig – die Neutralität wird nicht infrage gestellt. Am ehesten wollen die Neos noch darüber diskutieren.
Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) hat noch im Vorjahr eine andere Debatte angekündigt: über die Frage, welche Kooperationen und Maßnahmen bei der Luftraumüberwachung mit der Neutralität vereinbar sind. Denn noch immer ist unklar, wie Österreich langfristig seinen Luftraum schützen will. Ein erstes Gutachten darüber wurde dem Parlament schon vorgelegt, aber nie besprochen. Bald, wie es aus dem Verteidigungsressort heißt, soll aber noch ein zweites Gutachten folgen.