Warum sich Gold gut hält, aber nicht abhebt
Gold. Die traditionell optimistischen Autoren des „In Gold We Trust“-Reports erwarten für heuer einen neuen Goldpreisrekord. Ende der Dekade soll eine Feinunze 4800 Dollar kosten. Vieles hängt aber von den Notenbanken ab.
Wien. Wir erleben gerade Geschichtsträchtiges – und das bedeutet meist nichts Gutes. Nur in vier der vergangenen 100 Jahre ist es vorgekommen, dass sowohl Aktien als auch Anleihen verloren haben. Die Chancen sind hoch, dass heuer das fünfte derartige Jahr wird, da Aktien sich einem Bärenmarkt nähern und Anleihen so schlecht performt haben wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Der USLeitindex Dow Jones hat vor der jüngsten Erholung acht Wochen in Folge negativ beendet, eine solche Serie gab es zuletzt 1923.
Hintergrund ist die Geldpolitik. Dabei haben die Notenbanken noch gar nicht so richtig damit begonnen, den Märkten Geld zu entziehen. Die US-Notenbank Fed hat die Leitzinsen lediglich auf die Spanne zwischen 0,75 und 1,0 Prozent angehoben, die Europäische Zentralbank (EZB) hält die Zinsen seit Jahren bei null und hat nur angedeutet, demnächst davon abgehen zu wollen. Auch dass die Notenbanken keine Anleihen mehr kaufen, ja eventuell sogar welche verkaufen wollen, wurde erst angekündigt. Der reale Leitzins ist so niedrig wie noch nie in der Geschichte. Wie werden die Märkte erst reagieren, wenn die Notenbanken ihre Straffungsankündigungen wahr machen?
Berater zu jung
Den Notenbanken bleibt kaum eine Wahl. Die Inflation, die jahrelang kein
Thema war, ist zurückgekehrt, und zwar mit voller Wucht. In den USA lag sie im März bei über acht Prozent. So hoch war sie zuletzt 1982, dem Jahr, in dem der Film „E.T.“in die Kinos kam und in Deutschland Helmut Schmidt Kanzler war, wie Ronald Stöferle, Fondsmanager von Incrementum, bei der Präsentation des jüngsten „In Gold We Trust“-Reports
mit dem Untertitel „Stagflation 2.0“ausführte.
Viele Vermögensverwalter und Investmentbanker würden sich gar nicht erinnern können, welche Auswirkungen so hohe Inflationsraten für die Depots ihrer Kunden haben, stellt Co-Autor Mark Valek fest. Die altbewährte Strategie, Aktien und Anleihen zu kombinieren, helfe in einer solchen Situation wenig. Jahrelang war das gut gegangen, Aktien waren im Gleichklang mit Anleihen gestiegen. Droht nach der „Everything-Blase“ein „Everything-Crash“?
Kurzfristig schaue es gar nicht gut aus. Nur drei der vergangenen 20 Zinserhöhungszyklen hätten nicht mit einer Rezession geendet. Ältere Anleger erinnern sich mit Schrecken an die 1970er-Jahre zurück, an deren Ende US-Notenbankchef Paul Volcker die eskalierende Inflation schließlich doch in den Griff bekam – mit einer Anhebung der Leitzinsen auf 20 Prozent, was eine schwere Wirtschaftskrise
und hohe Arbeitslosigkeit zur Folge hatte.
Kann so etwas wieder passieren? Valek und Stöferle glauben das nicht. Was die gegenwärtige Lage von den 1970er-Jahren unterscheide, sei die hohe Verschuldung. Damals habe die Staatsverschuldung der USA 35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) ausgemacht, heute seien es 123 Prozent. Bei den Unternehmen sei der Wert von 50 auf 77 Prozent, bei den Privathaushalten von 40 auf 76 Prozent gestiegen. Die Notenbanken können sich eine starke Straffung gar nicht leisten. Es dürfte also nicht so heiß gegessen wie gekocht werden.
Doch was sollen Anleger in einem solchen Umfeld tun? „Aktien mögen keine Deflation, aber auch keine hohe Inflation“, stellt Stöferle fest. Jetzt alle Aktien zu verkaufen sei keine gute Idee, man müsse aber selektiver vorgehen und auf Unternehmen mit Preissetzungsmacht setzen. Bei manchen Sektoren muss man sich auf böse Überraschungen einstellen: So haben die Aktien der USEinzelhändler Walmart und Target kräftig Federn lassen müssen, als sich herausstellte, dass die Konsumenten bereits mit Zurückhaltung auf die Inflation reagieren.
Finanzinvestoren kaufen Gold
Gold habe sich in diesem Umfeld sehr gut gehalten, in fast allen Währungen sei es heuer im grünen Bereich, sogar in Dollar kratze es an der Grenze zum Plus. Auch traditionell würden sich Gold, Silber und Minenaktien in Zeiten hoher Inflation gut schlagen.
Finanzinvestoren stocken ihre Goldbestände jedenfalls auf, in ETFs (Goldfonds) liegt derzeit mehr Gold als vor der Pandemie.
Auch bei Rohstoffen zeichne sich ein Bullenmarkt ab. Dieser habe 2020 begonnen, und noch jeder Bullenmarkt bei Rohstoffen habe mit einem höheren Stand geendet als im vorigen Zyklus. Das sei auch diesmal zu erwarten, Rohstoffe sowie Rohstoffaktien sollten Potenzial nach oben haben. Der Ukraine-Krieg sei keineswegs der einzige Faktor, der die Rohstoffpreise in die Höhe treibe, er verstärke diesen Trend lediglich. So kommen 45 Prozent der weltweiten Palladium- und 15 Prozent der Platinproduktion aus Russland.
Für Ende 2022 rechnen die beiden traditionell optimistischen
Goldexperten mit einem Goldpreis von knapp 2200 Dollar. Das wäre ein neuer Rekord. Derzeit kostet eine Feinunze (31,1 Gramm) etwa 1850 Dollar oder 1730 Euro. Auf Eurobasis hat Gold heuer einen neuen Rekord erreicht.
In Dollar ist es noch nicht so weit. Inflationsbereinigt wäre überhaupt erst dann ein neuer Rekord erreicht, wenn der Goldpreis auf 2424 Dollar klettert, dann wäre das Edelmetall auch real so teuer wie im Jahr 1980. Ende der Dekade, also in acht Jahren, sollte eine Feinunze Gold
dann 4821 Dollar kosten.
Wann wird gelockert?
Kurzfristig hänge aber alles von der Frage ab, wie schnell die Notenbanken wieder von ihrer Straffung abgehen. Valek glaubt, dass die Inflation in den nächsten Jahren nicht kontinuierlich, sondern in Schüben ansteigen wird. So könnte eine Entspannung im Ukraine-Krieg für ein Nachlassen des Preisauftriebs sorgen. Die Notenbanken würden solche Phasen vorübergehender Entspannung dann immer wieder zum Lockern ihrer Geldpolitik nutzen.