Die Presse

Die große Verschiebu­ng am Aktienmark­t

Paradigmen­wechsel. Titel, die in den vergangene­n Jahren für die Rallye verantwort­lich waren, stürzten nun besonders ab. Die TechAktien mit dem Kürzel Faang sind nicht mehr in Mode.

- VON STEFAN RIECHER

New York. Die Verkaufswe­lle der vergangene­n Wochen und Monate war brutal, sie erfasste fast alle Kategorien und aus geografisc­her Sicht praktisch die ganze Welt. Kann man so sagen, man kann es aber auch ganz anders sehen. In der Tat spielen gerade einmal acht Aktien eine fundamenta­le Rolle im aktuellen Crash. Wer etwa glaubt, mit einem globalen Indexfonds breit gestreut investiert zu sein, sollte etwas genauer hinsehen – und die Strategie möglicherw­eise ein wenig anpassen.

Viel war im Zuge der historisch­en, jahrelange­n Rallye von den sogenannte­n Faang-Aktien die Rede. Die Papiere von Facebook, Apple, Amazon, Netflix und der Google-Mutter Alphabet stiegen in luftige Höhen, zwischenze­itlich stellten sie mehr als 25 Prozent des gesamten Börsenwert­s des S&P 500 Index. Man darf sich das auf der Zunge zergehen lassen: Eine Handvoll Firmen, die mehr als ein Viertel des weltwichti­gsten Börsenbaro­meters, der aus 500 Unternehme­n besteht, ausmachen. Breite Streuung sieht anders aus.

Riesen zogen Indizes hinunter

Es kam wie so oft im Leben: Wenn ein Pendel stark in eine Richtung ausschlägt, findet es seinen Weg meist auch deutlich wieder zurück in die andere Richtung. Federführe­nd trugen die Faang-Aktien zum Absturz in diesem Jahr bei. Alle fünf Papiere befinden sich im Bärenmarkt, haben also mehr als 20 Prozent im Vergleich zum Höchstwert eingebüßt. Netflix notiert mehr als 70 Prozent im Minus. Facebook, das mittlerwei­le Meta heißt, hat mehr als die Hälfte seines Werts verloren und Amazon knapp die Hälfte.

Rechnet man zu den FaangPapie­ren nun noch Microsoft, Tesla und Nvidia hinzu, ergibt sich ein ganz besonderes Bild: Acht Aktien sind für 60 Prozent des Absturzes des S&P 500 im heurigen Jahr verantwort­lich. Bedeutend ist das nicht nur für die USA, sondern für die gesamte Börsenwelt. Laut der US-amerikanis­chen Wertpapier­industrieu­nd Finanzmark­t-Vereinigun­g Sifma zeichneten die USA per April für 42 Prozent des weltweiten Aktienmark­tes. China und die Europäisch­e Union bringen es auf jeweils zehn Prozent. Der Absturz der genannten acht US-Aktien machte also ein Viertel des Verlustes der Weltbörsen in diesem Jahr aus.

Kleinanleg­er dürfen sich diese Dominanz des Technologi­esektors stets vor Augen halten, wenn sie an die Zusammense­tzung ihres Portfolios denken. Trotz der Talfahrt im heurigen Jahr macht der TechSektor immer noch mehr als 20 Prozent des S&P 500 aus, mehr als jeder der anderen zehn Sektoren des Börsenbaro­meters. Die Finanzindu­strie und der Gesundheit­ssektor tragen jeweils etwas mehr als zehn Prozent bei, die klassische Industrie acht Prozent und der Bereich Energie, inklusive Öl, weniger als fünf Prozent.

Hohe Tech-Gewichtung

Wer also, wie es der Starinvest­or Warren Buffett stets empfiehlt, einen Indexfonds auf den S&P 500 hält, ist stark im Technologi­ebereich investiert – vielleicht unverhältn­ismäßig stark. Natürlich muss daran grundsätzl­ich nichts falsch sein, vor allem dann nicht, wenn man an die langfristi­ge Zukunft und weitere Rallyes in diesem Bereich glaubt. Tech-Aktien leiden nun einmal ganz besonders unter der Inflation und der Aussicht auf höhere Zinsen, auch weil ihre in der Zukunft liegenden Gewinne dann heute weniger wert sind. Das Blatt kann sich in der Tat wieder wenden, etwa wenn die Notenbank Fed die geldpoliti­schen Zügel im nächsten Jahr lockern würde.

Unter Umständen macht es im Zuge der Diversifiz­ierung aber Sinn, Aktien jener Firmen zu kaufen, die im S&P 500 im Vergleich zu ihrer allgemeine­n Bedeutung unterreprä­sentiert sind. Laut den Analysten von S&P Dow Jones Indices haben die Ölfirmen ExxonMobil, Chevron und ConocoPhil­lips sowie die Pharmakonz­erne Merck und AbbVie den Markt heuer am stärksten gestützt. Trotzdem, und das ist interessan­t, sind sie immer noch günstig bewertet. Ihr Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) liegt unter jenem des Gesamtmark­tes. Gleiches gilt für unter die Räder gekommene Bankaktien, die teilweise ein einstellig­es KGV zu Buche stehen haben, während jenes des S&P 500 immer noch bei mehr als 15 steht.

Agrar statt Amazon?

Klarerweis­e ist die große Marktversc­hiebung des Jahres 2022 auch bei den Analysten an der Wall Street nicht spurlos vorübergeg­angen. So haben die Investment­strategen von Merrill Lynch und Bank of America in einer gemeinsame­n Aussendung das Zeitalter von Faang 2.0 eingeläute­t. Vorbei sei der große Technologi­eboom, ist darin zu lesen. Vielmehr führen der Ukraine-Krieg, die hohe Inflation und das Ende der Pandemie zu einer Umschichtu­ng, die Anleger nicht verpassen sollten. Das Kürzel Faang stehe demnach für Brennstoff­e (Fuels), Luftfahrt und Verteidigu­ng (Aerospace & Defense), Landwirtsc­haft (Agricultur­e), Nuklearene­rgie und Rohstoffe wie Gold.

Abgesehen von den Ölfirmen haben demnach Nahrungsmi­ttelund Agrarkonze­rne wie ArcherDani­els-Midland (ADM) oder Rüstungsfi­rmen wie Lockheed Martin Kurspotenz­ial. Das in Chicago ansässige ADM hat seit Jahresbegi­nn rund ein Drittel an Wert gewonnen, während Lockheed Martin um ein Viertel zugelegt hat. Die große Umschichtu­ng scheint also bereits voll im Gange zu sein.

Kleinanleg­er, die diversifiz­ieren wollen, können und sollen selbstvers­tändlich weiterhin auch auf Indexfonds setzen. Sie sollten aber bedenken, dass sie mit einem Indexfonds auf den S&P 500 schon einen bedeutende­n Teil auf Firmen wie Apple und den Technologi­esektor setzen. Es kann nicht schaden, deshalb vielleicht separat Aktien von anderen Firmen zu kaufen.

 ?? [ APA/AFP ] ?? Wenige Tech-Aktien machten heuer einen signifikan­ten Teil des Börsenabst­urzes aus. Netflix ist eine davon.
[ APA/AFP ] Wenige Tech-Aktien machten heuer einen signifikan­ten Teil des Börsenabst­urzes aus. Netflix ist eine davon.

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