Rangnick, der Feldversuch des ÖFB
Heute bittet Ralf Rangnick zum ersten Training. Was der Deutsche in Österreich schnellstmöglich bewirken soll.
Nationalteam.
Bad Tatzmannsdorf/Wien. Mit einer Pressekonferenz im Kultursaal Bad Tatzmannsdorf hat die Ära von Ralf Rangnick als Teamchef der österreichischen Fußballnationalmannschaft Sonntagnachmittag offiziell begonnen. Rund ein Monat nach Bekanntwerden der Verpflichtung des renommierten Fußballfachmanns trat der Deutsche erstmals persönlich vor die Medien. Mit welchen Aufgaben sich Rangnick nun konfrontiert sieht.
Die Spielphilosophie
Der Anspruch an Rangnick ist klar, die Erwartungshaltung groß: Nach viereinhalb Jahren des vorsichtigdestruktiven Foda-Fußballs möchte Österreich eine 180-Grad-Wende hinlegen. Das ÖFB–Team soll viel öfter selbst das Heft des Gestaltens in die Hand nehmen, einen aktiveren und offensiveren Stil pflegen. „Pressing“kann wohl jetzt schon als Fußballwort des Jahres 2022 gekürt werden.
Doch inwieweit und wie schnell lässt sich der RangnickFußball auf eine Nationalmannschaft übertragen, die sich nur für ein paar Lehrgänge im Jahr versammelt? Rangnick und Österreich, das ist auch ein bisher unerprobter Feldversuch. Einer, der es wert ist, durchgeführt zu werden. Denn das nötige Spielermaterial für seine Art des Fußballs steht dem Deutschen durchaus zur Verfügung. Der Erfinder des Red-BullFußballs trifft hier auf eine Vielzahl von Spielern, die die Red-Bull-DNA in sich tragen. Sollte das „Experiment Rangnick“scheitern, dann kann niemand den ÖFB-Granden den Vorwurf machen, eine Spielphilosophie-Kehrtwende nicht zumindest angestrebt zu haben.
Die Personalfragen
Der erste 25-Mann-Kader in der Ära Rangnick war frei von Sensationen, eine Überraschung hatte er dann aber doch parat. Aleksandar Dragović, 31, fand keinen Platz in der Auswahl. Die NationalteamKarriere des 100-fachen Teamspielers könnte damit ein jähes Ende gefunden haben.
Ansonsten greift Rangnick auf das nahezu idente Spielermaterial wie sein Vorgänger Foda zurück. Sonderlich kreative wie unentdeckte Optionen sind auch gar nicht vorhanden. Marko Arnautović jedenfalls ist weiterhin Teil des Teams. Freiwillig auf einen Spieler mit seinen Qualitäten zu verzichten, hätte keinerlei Sinn und Rangnick in der Anfangsphase auch nur unnötig angreifbar gemacht.
Die Gretchenfrage bei der Personalie Arnautović lautet, wie der Teamchef mit dem 33-Jährigen plant, also ob er den Bologna-Legionär als Nummer-eins-Stürmer (der genauso das Pressingsystem umsetzen müsste) oder doch in der Position des Edeljokers sieht. Und würde sich Arnautović damit zufrieden geben?
Wie jeder oberste Fußballlehrer des Landes muss auch Rangnick die optimale Rolle für David Alaba finden. „Ich sehe ihn als zentralen Spieler“, sagte Rangnick am Sonntag. Also in der Innenverteidigung oder als Sechser. „Und nur in Ausnahmefällen als linker Verteidiger.“
Auch die Frage nach der Nummer eins im Tor ist eine, die sich im Optimalfall noch mit den vier Spielen im Juni klären lässt. Aus dem Trio Heinz Lindner, Patrick Pentz und Debütant Martin Fraisl hebt sich niemand von den Konkurrenten ab. Österreich aber braucht auch endlich eine Konstante im Tor. Einen Schlussmann, der über Jahre hinweg gesetzt ist.
Das war zuletzt mit Robert Almer unter Teamchef Marcel Koller der Fall – und liegt sechs Jahre zurück.
Die Fan-Rückgewinnung
Österreichs Nationalteam hat, unabhängig von Corona, das Kunststück vollbracht, in den vergangenen zwei Jahren die Stadien leer zu spielen. Nach dem kurzfristigen Höhenflug bei der EM 2021 ging jegliche Euphorie verloren. Auch, weil der Fußball unter Foda so gar nicht zu elektrisieren und überraschen wusste.
Genau deshalb hat sich ÖFBSportdirektor Peter Schöttel für eine Verpflichtung Rangnicks eingesetzt. Der 63-Jährige soll als Signal des Aufbruchs dienen, seine Idee von Fußball die Fans wieder in die Stadien zurückholen. Die anstehenden Heimspiele gegen Dänemark (6. Juni) und Frankreich (10. Juni) sollen ein erstes Feuer auf den Rängen entfachen.