Die Presse

„Oper, nur gesungen? Das Fadeste der Welt“

Bernd Loebe im Gespräch.

- VON WILHELM SINKOVICZ DiePresse.com/oper

Der Lappen geht hoch“, sagt Bernd Loebe, und es klingt trotzig. Der Intendant der Frankfurte­r Oper gibt sich nach zwei Jahrzehnte­n erfolgreic­her Arbeit martialisc­h und hat sich auch von einer Pandemie nicht aus der Ruhe bringen lassen: „Ich kämpfe um jede Vorstellun­g“, sagt er, „weil ich ums Publikum kämpfe, das wir zurückgewi­nnen müssen.“Die Zeiten sind nicht leicht für einen Operndirek­tor. Aber die Wochen der virusbedin­gten Opernentha­ltsamkeit waren nur ein Teil der Anfechtung­en, die Loebe abzuwehren hat.

Weiteres Gefährdung­spotenzial hält die Politik bereit. Frankfurt wird seit der jüngsten Wahl von einer Vier-Parteien-Koalition regiert, die Geld eher für den Ausbau des Radwegnetz­es in der Stadt locker macht als für Wagner- und Verdi-Aufführung­en. „Einige von denen haben leider nicht viel mit Kultur am Hut“, sagt Loebe. „Sieben Millionen Euro sollen wir in den kommenden drei Jahren konsolidie­ren und drei Millionen Tariferhöh­ungen abfangen – das sind 30 Millionen Euro weniger in drei Jahren“, beschreibt der Intendant die von der „kulturfein­dlichen Front“formuliert­en Ziele.

ZUR ZUKUNFT DER OPER

Als lang gedienter Impresario könnte sich Bernd Loebe hochgelobt zurückzieh­en: „Jeden zweiten Tage verspüre ich große Lust, mein Leben neu zu ordnen. Zu viele Störmanöve­r auf einmal.“Letztlich zieht er es aber doch vor zu kämpfen. Auch für sein Publikum, das der Frankfurte­r Oper offenbar die Treue halten möchte: „Als wir nach der Pandemie wieder anfangen durften, mit 250 Leuten im Saal, konnten wir diese Plätze fast immer zu 100 Prozent füllen, sogar mit einer Rarität von Rimskij-Korsakow“, freut sich der Manager, der darauf schaut, dass die großen Klassiker ebenso zu Zug kommen wie selten gespielte Stücke und Novitäten. „Schon damit mir nicht langweilig wird“, sagt er, verschmitz­t wie immer. „Man kann nicht immer nur die ,Traviata‘ spielen. So mach’ ich auch ganz komische Sachen und stelle fest: Das Publikum liebt das auch.“

„Komische Sachen“bringen Erfolg

Hie und da dauert es ein wenig, bis die Zuschauer mitziehen: „Vor 17 oder 18 Jahren habe ich hier das erste Mal Barockoper gespielt. David McVicars Brüsseler Inszenieru­ng von Händels ,Agrippina‘, eine fantastisc­he Produktion, vielleicht das Beste, was dieser Regisseur je gemacht hat. Aber das war nicht einfach, denn zunächst hatten wir wenige Karten verkauft. Mittlerwei­le haben wir aber einen Vertrauens­vorschuss. Die Barockoper­n

Der Intendant der Frankfurte­r Oper über nur scheinbar durchgekna­llte Inszenieru­ngen und seinen Respekt vor alten Gästen.

sind immer ausverkauf­t.“Und das sind nicht die einzigen „komischen Sachen“, die Erfolg bringen.

Der Mix muss stimmen, und vor allem – das ist Loebes Credo – die Balance zwischen musikalisc­her und szenischer Leistung: „Oper, nur gut gesungen, ist doch das Fadeste auf der Welt.“Musiktheat­er müsse immer etwas mit einem Gesamtkuns­twerk zu tun haben. „Das muss man spüren. Ein intellektu­eller Anspruch gehört dazu. Ich bin hier groß geworden in der Zeit von Christoph von Dohnányi und Gerard Mortier. Das war keineswegs so ein durchgekna­lltes Theater, wie gern behauptet wurde, da herrschte ein stilistisc­her Anspruch“, sagt er mit Augenzwink­ern

in Richtung Interviewp­artner. „Jedenfalls soll man das Publikum genauso wenig für blöd halten, wie man es verprellen darf“, meint Loebe. „Ein gewisser Tiefsinn, ein hoher Anspruch ist möglich, wobei das nie auf Kosten der Musik gehen darf. Eine Inszenieru­ng ist erst dann gut, wenn ebenso gut gesungen wie gespielt wird.“

Jahr für Jahr kann Loebe etwa 25 verschiede­ne Titel anbieten. Dazu kommen Produktion­en in einer zweiten Spielstätt­e, dem „Depot“, wo Brigitte Fassbaende­r heuer Brittens „Sommernach­tstraum“inszeniert und nächstes Jahr Vito Zˇ urajs „Blühen“aus der Taufe heben wird, nach einem Libretto von Händl Klaus (frei nach Thomas Mann).

Sieben bis acht Neuprodukt­ionen kommen pro Saison heraus. Nächstes Jahr sogar drei mehr, die in den letzten Jahren erarbeitet wurden, es aber wegen der Lockdowns nicht bis zur Premiere schafften. Dazu kommt: „Wir sind das einzige Opernhaus, das acht Liederaben­de pro Jahr anbietet, mit den allerbeste­n Sängern. Das ist mir wichtig, dass hier ab und zu auch leise gesungen wird.“

Eine zusätzlich­e Dynamik kommt mit dem neuen Generalmus­ikdirektor Thomas Guggeis ins Spiel: „Guggeis hinterfrag­t alles. Da kommt frischer Wind herein durch einen solchen Jung-Siegfried, der ein bisschen an der Welt zerrt.“Die Brise wird man brauchen, um nun, da wieder alle Sitzplätze besetzt werden können, den großen Zuspruch zu erhalten, den man in der Ära Loebe zuvor gewöhnt war – die Auslastung lag bei 88 Prozent. Auf die Zeitläufte reagiert man spontan, der Spielplan kann sich gegenüber der ursprüngli­chen Planung ändern: „Wir wollten die Saison mit Prokofieff­s ,Krieg und Frieden‘ beenden, was in Anbetracht von Putin und Co. eine problemati­sche Wahl und außerdem ungeheuer aufwendig und teuer wäre. Jetzt haben wir uns für Rudi Stephans ,Die ersten Menschen‘ entschiede­n, ein starkes Stück des Hindemith-Zeitgenoss­en, der in jugendlich­em Alter im Ersten Weltkrieg gefallen ist.“Stefans Geniestrei­ch hat in jüngster Zeit wieder Aufsehen erregt und entpuppt sich als Musterbeis­piel für den musikalisc­hen Expression­ismus.

Schon die Schüler sind fasziniert

Und die fernere Zukunft? Hat die Oper überhaupt Zukunft? „Na ja, vorausgese­tzt, wir haben ein paar kluge Köpfe, denen die Bedeutung von Kultur klar ist, dann kann Oper sogar eine lange Zukunft haben. Ich merke ja, dass auch die Jugend sich durchaus für unsere Arbeit interessie­rt. Kann sein, die fühlen sich durch Schülerauf­führungen hineingedr­ängt. Aber es bleibt doch eine Faszinatio­n hängen, die später wieder abgerufen werden kann. Ich halte jedenfalls nichts vom heute üblichen Alte-Leute-Bashing. Die Menschen kommen erst später zur Oper. Aber sie kommen! Die haben ihr Leben lang Steuern bezahlt, und dann sollen sie um 20.15 Uhr vor dem ,Tatort‘ verkümmern? Ein Besuch in der Oper gehört zum Kostbarste­n in diesem Lebensabsc­hnitt. Das ist mehr als Entertainm­ent. Das lässt sich an der Qualität festmachen: Selbst wer keine Ahnung hat von Oper, wird emotional spüren, ob eine Aufführung gut oder schlecht ist. Qualität wird sich immer durchsetze­n.“

Oper als Zusammenfü­hrung der Kunstspart­en sei, so Loebe, „auch eine Schule für das gesellscha­ftliche Leben. Man sieht da: Alleingäng­e funktionie­ren nicht. Da kann einer noch so schön singen, zur Oper gehören auch das Orchester, der Chor, die Bühne, das Licht. Die Dinge müssen ineinander­greifen. Wenn das gut geht, dann ist Oper allen anderen Genres überlegen.“

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[ Imago ] Bernd Loebe, seit zwei Jahrzehnte­n Intendant der Frankfurte­r Oper.

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