„Oper, nur gesungen? Das Fadeste der Welt“
Bernd Loebe im Gespräch.
Der Lappen geht hoch“, sagt Bernd Loebe, und es klingt trotzig. Der Intendant der Frankfurter Oper gibt sich nach zwei Jahrzehnten erfolgreicher Arbeit martialisch und hat sich auch von einer Pandemie nicht aus der Ruhe bringen lassen: „Ich kämpfe um jede Vorstellung“, sagt er, „weil ich ums Publikum kämpfe, das wir zurückgewinnen müssen.“Die Zeiten sind nicht leicht für einen Operndirektor. Aber die Wochen der virusbedingten Opernenthaltsamkeit waren nur ein Teil der Anfechtungen, die Loebe abzuwehren hat.
Weiteres Gefährdungspotenzial hält die Politik bereit. Frankfurt wird seit der jüngsten Wahl von einer Vier-Parteien-Koalition regiert, die Geld eher für den Ausbau des Radwegnetzes in der Stadt locker macht als für Wagner- und Verdi-Aufführungen. „Einige von denen haben leider nicht viel mit Kultur am Hut“, sagt Loebe. „Sieben Millionen Euro sollen wir in den kommenden drei Jahren konsolidieren und drei Millionen Tariferhöhungen abfangen – das sind 30 Millionen Euro weniger in drei Jahren“, beschreibt der Intendant die von der „kulturfeindlichen Front“formulierten Ziele.
ZUR ZUKUNFT DER OPER
Als lang gedienter Impresario könnte sich Bernd Loebe hochgelobt zurückziehen: „Jeden zweiten Tage verspüre ich große Lust, mein Leben neu zu ordnen. Zu viele Störmanöver auf einmal.“Letztlich zieht er es aber doch vor zu kämpfen. Auch für sein Publikum, das der Frankfurter Oper offenbar die Treue halten möchte: „Als wir nach der Pandemie wieder anfangen durften, mit 250 Leuten im Saal, konnten wir diese Plätze fast immer zu 100 Prozent füllen, sogar mit einer Rarität von Rimskij-Korsakow“, freut sich der Manager, der darauf schaut, dass die großen Klassiker ebenso zu Zug kommen wie selten gespielte Stücke und Novitäten. „Schon damit mir nicht langweilig wird“, sagt er, verschmitzt wie immer. „Man kann nicht immer nur die ,Traviata‘ spielen. So mach’ ich auch ganz komische Sachen und stelle fest: Das Publikum liebt das auch.“
„Komische Sachen“bringen Erfolg
Hie und da dauert es ein wenig, bis die Zuschauer mitziehen: „Vor 17 oder 18 Jahren habe ich hier das erste Mal Barockoper gespielt. David McVicars Brüsseler Inszenierung von Händels ,Agrippina‘, eine fantastische Produktion, vielleicht das Beste, was dieser Regisseur je gemacht hat. Aber das war nicht einfach, denn zunächst hatten wir wenige Karten verkauft. Mittlerweile haben wir aber einen Vertrauensvorschuss. Die Barockopern
Der Intendant der Frankfurter Oper über nur scheinbar durchgeknallte Inszenierungen und seinen Respekt vor alten Gästen.
sind immer ausverkauft.“Und das sind nicht die einzigen „komischen Sachen“, die Erfolg bringen.
Der Mix muss stimmen, und vor allem – das ist Loebes Credo – die Balance zwischen musikalischer und szenischer Leistung: „Oper, nur gut gesungen, ist doch das Fadeste auf der Welt.“Musiktheater müsse immer etwas mit einem Gesamtkunstwerk zu tun haben. „Das muss man spüren. Ein intellektueller Anspruch gehört dazu. Ich bin hier groß geworden in der Zeit von Christoph von Dohnányi und Gerard Mortier. Das war keineswegs so ein durchgeknalltes Theater, wie gern behauptet wurde, da herrschte ein stilistischer Anspruch“, sagt er mit Augenzwinkern
in Richtung Interviewpartner. „Jedenfalls soll man das Publikum genauso wenig für blöd halten, wie man es verprellen darf“, meint Loebe. „Ein gewisser Tiefsinn, ein hoher Anspruch ist möglich, wobei das nie auf Kosten der Musik gehen darf. Eine Inszenierung ist erst dann gut, wenn ebenso gut gesungen wie gespielt wird.“
Jahr für Jahr kann Loebe etwa 25 verschiedene Titel anbieten. Dazu kommen Produktionen in einer zweiten Spielstätte, dem „Depot“, wo Brigitte Fassbaender heuer Brittens „Sommernachtstraum“inszeniert und nächstes Jahr Vito Zˇ urajs „Blühen“aus der Taufe heben wird, nach einem Libretto von Händl Klaus (frei nach Thomas Mann).
Sieben bis acht Neuproduktionen kommen pro Saison heraus. Nächstes Jahr sogar drei mehr, die in den letzten Jahren erarbeitet wurden, es aber wegen der Lockdowns nicht bis zur Premiere schafften. Dazu kommt: „Wir sind das einzige Opernhaus, das acht Liederabende pro Jahr anbietet, mit den allerbesten Sängern. Das ist mir wichtig, dass hier ab und zu auch leise gesungen wird.“
Eine zusätzliche Dynamik kommt mit dem neuen Generalmusikdirektor Thomas Guggeis ins Spiel: „Guggeis hinterfragt alles. Da kommt frischer Wind herein durch einen solchen Jung-Siegfried, der ein bisschen an der Welt zerrt.“Die Brise wird man brauchen, um nun, da wieder alle Sitzplätze besetzt werden können, den großen Zuspruch zu erhalten, den man in der Ära Loebe zuvor gewöhnt war – die Auslastung lag bei 88 Prozent. Auf die Zeitläufte reagiert man spontan, der Spielplan kann sich gegenüber der ursprünglichen Planung ändern: „Wir wollten die Saison mit Prokofieffs ,Krieg und Frieden‘ beenden, was in Anbetracht von Putin und Co. eine problematische Wahl und außerdem ungeheuer aufwendig und teuer wäre. Jetzt haben wir uns für Rudi Stephans ,Die ersten Menschen‘ entschieden, ein starkes Stück des Hindemith-Zeitgenossen, der in jugendlichem Alter im Ersten Weltkrieg gefallen ist.“Stefans Geniestreich hat in jüngster Zeit wieder Aufsehen erregt und entpuppt sich als Musterbeispiel für den musikalischen Expressionismus.
Schon die Schüler sind fasziniert
Und die fernere Zukunft? Hat die Oper überhaupt Zukunft? „Na ja, vorausgesetzt, wir haben ein paar kluge Köpfe, denen die Bedeutung von Kultur klar ist, dann kann Oper sogar eine lange Zukunft haben. Ich merke ja, dass auch die Jugend sich durchaus für unsere Arbeit interessiert. Kann sein, die fühlen sich durch Schüleraufführungen hineingedrängt. Aber es bleibt doch eine Faszination hängen, die später wieder abgerufen werden kann. Ich halte jedenfalls nichts vom heute üblichen Alte-Leute-Bashing. Die Menschen kommen erst später zur Oper. Aber sie kommen! Die haben ihr Leben lang Steuern bezahlt, und dann sollen sie um 20.15 Uhr vor dem ,Tatort‘ verkümmern? Ein Besuch in der Oper gehört zum Kostbarsten in diesem Lebensabschnitt. Das ist mehr als Entertainment. Das lässt sich an der Qualität festmachen: Selbst wer keine Ahnung hat von Oper, wird emotional spüren, ob eine Aufführung gut oder schlecht ist. Qualität wird sich immer durchsetzen.“
Oper als Zusammenführung der Kunstsparten sei, so Loebe, „auch eine Schule für das gesellschaftliche Leben. Man sieht da: Alleingänge funktionieren nicht. Da kann einer noch so schön singen, zur Oper gehören auch das Orchester, der Chor, die Bühne, das Licht. Die Dinge müssen ineinandergreifen. Wenn das gut geht, dann ist Oper allen anderen Genres überlegen.“