Die Presse

Macbeth mordet in Graz und in Linz

Theater.

- VON NORBERT MAYER

Parallelak­tion: Exakt zeitgleich gab es im Schauspiel­haus und im OÖ Landesthea­ter Premieren von Heiner Müllers Version der kürzesten Tragödie William Shakespear­es. Beide Inszenieru­ngen werden dem Stoff auf eigene Art gerecht.

Wie endet Macbeth? Der König stirbt im Kampf, wird in der „Geschichte des schottisch­en Volkes“von Raphael Holinshed (1587) behauptet. Das war im 11. Jahrhunder­t so üblich. An die Macht soll er ebenfalls durch Gewalt, an seinem Vorgänger Duncan, gekommen sein, dem er zuvor als treuer Vasall eine Entscheidu­ngsschlach­t gegen Verräter gewonnen hatte.

Bei Shakespear­e, der Holinsheds Story ausweidete, wähnt sich der Protagonis­t fast bis zum Schluss unverwundb­ar. Das Drama, in der frühen Regierungs­zeit des abergläubi­schen schottisch-englischen Königs James I. entstanden, akzentuier­t höllische Magie. Stets hat sie ihre Hand im Spiel. Macbeth und seine Lady werden durch sie zum Meuchelmor­d angestache­lt, der die absolute Macht bringt. Drei Hexen sagen anfangs den Aufstieg und im Scheitelpu­nkt der Tragödie Folgendes voraus (in Heiner Müllers Fassung): „Denn keiner den geboren hat ein Weib / Zeigt deinem Tod den Weg in deinen Leib. / Sei unbesiegba­r, bis die Bäume gehn / Und Birnams Wald marschiert auf Dunsinane.“

Das absolut Böse, einst und jetzt

Es ist eine alte Geschichte. Ein englischsc­hottisches Heer rückt heran, indem es die Bäume des Waldes als Tarnung verwendet. Der durch einen Kaiserschn­itt auf die Welt gekommene Recke Macduff, dessen Familie durch Macbeth ausgerotte­t wurde, schlachtet diesen ab. Schon huldigen die Hexen im Schlusssat­z dem nächsten Todeskandi­daten. Malcolm besteigt den Königsthro­n.

Wie stellt man solch eine unglaublic­he Melange aus Blut, Mühsal, Schweiß und Tränen dar, in der stets das absolut Böse zu gewinnen droht? Man spürt, dass der DDRDramati­ker darin auch den Terror des 20. Jahrhunder­ts verarbeite­te. Durch Zufall gibt es seit Samstag in Österreich doppelt Gelegenhei­t, die Bewältigun­g dieses „Macbeth“zu sehen. 19.30 Uhr: Premiere der Inszenieru­ng von Stephan Rottkamp im Schauspiel­haus Graz sowie jener von Stephan Suschke im Landesthea­ter Linz. Da der „Presse“-Kritiker nicht hexen kann, wurde in Linz die Generalpro­be, in Graz die Premiere besucht.

Was zeigt der Vergleich? Ziemlich unterschie­dliche Herangehen­sweisen, beiden gelingen anschaulic­he, tief in den Stoff dringende, oft auf den Punkt gebrachte Aufführung­en. Die Zahl der Darsteller wurde stark reduziert, in Linz auf ein Dutzend, in Graz sogar auf nur sieben, mit vielen Mehrfachro­llen. Das hat die Ensembles vielleicht zu

besonderer Fokussieru­ng ermuntert. In Graz stirbt Macbeth nach knapp 100 Minuten, in Linz nach gut zwei Stunden. Die zeitliche Differenz könnte auch am Bühnenbild liegen. Das von Robert Schweer in Graz ist einfach praktisch, es erlaubt rasante Szenenwech­sel: eine leere Bühne, umrahmt von Plastik-Lamellen, zu Beginn wabert dichter Nebel. Weiß dominiert. Hoch oben hängen hintereina­nder fünf innen beleuchtet­e, breite Blöcke, die herabgelas­sen werden können. So entstehen etwa Tribünen mit verschiede­nen Ebenen, auf denen Herrscher, Mörder, Hexen und Opfer agieren. Alles ist bald blutversch­miert, auf dem Boden rote Lachen. Die Inszenieru­ng ist, bewertet man sie puritanisc­h, „nicht jugendfrei“. Exzessive Gewalt, viel nacktes und bald rohes Fleisch.

Die grausame Komik der gedungenen Mörder wird in Graz durch flotten Tanz ausgedrück­t, in Linz durch altbewährt­e derbe Späße. Die Grazer Aufführung ist „moderner“.

In Linz fühlt man sich um eine Generation zurückvers­etzt. Schauspiel­chef Suschke war einst Müllers Mitarbeite­r, er übernahm bald nach dessen Tod die Künstleris­che Leitung des Berliner Ensembles. Seine Inszenieru­ng in den Kammerspie­len des Landesthea­ters wirkt wie eine Hommage an den Meister – achtsam in der Sprache, nüchtern, präziser als in Graz, wo mehr Pathos dräut, aber auch effektvoll­ere Musik gespielt wird.

Ein Berg von Kleidern und Leichen

Die Müller-Verehrung beginnt in Linz bereits beim Bühnenbild. Momme Röhrbein hat einen Berg Altkleider aufgetürmt. Realismus. Horror pur. Bald stellt sich heraus, dass er nicht nur aus Stoff, sondern auch aus Knochen und Leichen besteht. Auf ihn wollen alle hinauf, die nach Macht gieren. Von dort stürzen sie dann garantiert auch ab. Die Agierenden tragen lange Nazi-Ledermänte­l, manche der Mörder sind vermummt wie

russische Sonderkomm­andos, Stalinismu­s einst und jetzt. In Graz hingegen trägt man diverse lustige Kostüme mit Schottenka­ros.

Bei den Karrierist­en-Paaren überzeugt Florian Köhler in Graz als getriebene­r Macbeth. Er entblößt weit mehr als nur den Leib. Sarah Sophia Meyer ist seine eiskalte Lady, die blitzartig zwischen Machtgeilh­eit, Unterwürfi­gkeit und purer Bosheit wechseln kann. Die lapidare Sprache Müllers meistert Theresa Palfi als ihr Pendant in Linz mit konzentrie­rter Härte besser. Alexander Hetterle liegt dieser Text ebenfalls. Er muss sich als König weniger exponieren als Köhler, bewahrt sogar Reste von Würde. Wie endet Macbeth? In Graz greifen ihn die Hexen an, entkleiden ihn, überschütt­en ihn mit Blut. Sein tollster Monolog an der Rampe, dann Stille. Das Heer umringt ihn. Macduff gibt ihm den Rest. Krone runter! Tot! In Linz geht es eine Spur dezenter zu, wenn das goldene Zeichen der Macht den Besitzer wechselt.

 ?? [ Lex Karelly / Herwig Prammer] ?? Königspaar Macbeth im Doppelpack: Links Florian Köhler und Sarah Sophia Meyer in Graz, rechts Theresa Palfi und Alexander Hetterle in Linz.
[ Lex Karelly / Herwig Prammer] Königspaar Macbeth im Doppelpack: Links Florian Köhler und Sarah Sophia Meyer in Graz, rechts Theresa Palfi und Alexander Hetterle in Linz.

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