Prozessflut wegen der Strompreise?
Preisanpassungen. Energieversorgern könnten Massenverfahren drohen, falls sich Anpassungsklauseln als unzulässig erweisen.
Wien. Werden die hohen Strompreise bald zu einer Prozessflut führen? Weil sich Verbraucher gegen die Preiserhöhungen wehren werden, womöglich in Form von Massenverfahren? Der auf Prozessführung spezialisierte Anwalt Patrick Mittlböck (Kanzlei Brandl Talos) hält das im Gespräch mit der „Presse“durchaus für möglich – zumal Verbraucherschützer bereits Verfahren angekündigt haben.
Und nein, da geht es nicht primär um die umstrittenen Termingeschäfte von Wien Energie. Sondern vor allem um Folgeprozesse nach Verbandsklagen zur Überprüfung von Preisänderungsklauseln. Gegen die Kelag gab es zuletzt zwei derartige Verfahren des Vereins für Konsumenteninformation (VKI). Gegen den Verbund ist derzeit eine Verbandsklage anhängig.
Die Frage, um die es in dem Verfahren geht: Darf ein Energieanbieter, der mit dem Slogan „100 Prozent aus österreichischer Wasserkraft“wirbt, seine Preise dennoch an einen vom Börsenkurs abhängigen Index binden? Um Geld wird da noch nicht gestritten. Stellt sich die Klausel jedoch als unzulässig heraus, können Verbraucher gegen Preiserhöhungen, die auf deren Basis erfolgt sind, vor Gericht
ziehen. Möglich ist in solchen Fällen auch die Verbindung zu einer „Sammelklage österreichischer Prägung“, bei der sich ein Kläger – das kann auch ein Verband wie der VKI sein – von einer Vielzahl von Verbrauchern deren Ansprüche zum Inkasso abtreten lässt.
Der Ausgang ist offen
In bisherigen Verfahren zu Preisänderungsklauseln ging es vor allem darum, ob diese klar, transparent und nicht im jeweiligen Kontext für den Verbraucher überraschend waren. Auch die Kurzfristigkeit war schon ein Thema, wenn der Preis zunächst auf einem alten, für den Kunden günstigen Indexwert basierte und nach wenigen Monaten bereits die erste Erhöhung anstand. „Aber zur Frage, ob eine Klausel, die an einen auf den Börsenpreis verweisenden Indexwert anknüpft, überhaupt zulässig ist, hat sich der OGH noch nicht festgelegt“, sagt Mittlböck.
Dabei geht es auch um die Auslegung einer Neuregelung im Elektrizitätswirtschaftsund -organisationsgesetz (ElWOG). Demnach müssen Änderungen von mit Verbrauchern und Kleinunternehmen vereinbarten Entgelten „in einem angemessenen Verhältnis zum für die Änderung maßgebenden Umstand stehen“. Fallen solche Umstände
wieder weg, muss das Entgelt gesenkt werden. Unklar sei, ob das ein einseitiges Preisänderungsrecht bedeute, sagt Mittlböck: „Ist die Entwicklung des Strompreisindex ein derartiger sachlicher Grund? Das wird zu klären sein.“
Bei Wien Energie kündigte der VKI, wie berichtet, ebenfalls eine rechtliche Prüfung an – vor allem wegen der Kurzfristigkeit der AGBÄnderung und der Preisanpassung sowie wegen der automatischen Umstellung auf einen anderen Tarif. Ob die umstrittenen Termingeschäfte rechtens waren oder nicht, prüft indes die WKStA, dabei geht es um die Frage, ob Gläubigerinteressen beeinträchtigt wurden. Das Ergebnis könnte auch für allfällige Ansprüche der Gesellschaft gegenüber ihren Organen wichtig sein – wobei jedoch die Business Judgement Rule gilt: Darf ein Entscheidungsträger davon ausgehen, dass ein Geschäft im besten Interesse
des Unternehmens ist, kann er später nicht für nachteilige Folgen haftbar gemacht werden.
Schaden schwer beweisbar
Sollte sich hier die Unzulässigkeit bestimmter Geschäfte herausstellen, dürfte es dennoch schwierig sein, daraus einen konkreten Schadenersatzanspruch für Verbraucher abzuleiten: Denn dazu müsste beweisbar sein, dass tatsächlich konkrete Spekulationsgeschäfte zu der Preiserhöhung beim jeweiligen Energieversorger geführt haben – was schwer machbar sein wird. Freilich, es hat auch schon überraschende Entscheidungen von Gerichten zugunsten von Verbrauchern gegeben. Deren Schutzinteresse sei vor Gericht „ein hohes Gut“, sagt Mittlböck. Wohl auch deshalb kommt es in derartigen Verfahren recht oft zu einem Vergleich. Auch davon könnten durchaus die Verbraucher profitieren.