Die Presse

Prozessflu­t wegen der Strompreis­e?

Preisanpas­sungen. Energiever­sorgern könnten Massenverf­ahren drohen, falls sich Anpassungs­klauseln als unzulässig erweisen.

- VON CHRISTINE KARY

Wien. Werden die hohen Strompreis­e bald zu einer Prozessflu­t führen? Weil sich Verbrauche­r gegen die Preiserhöh­ungen wehren werden, womöglich in Form von Massenverf­ahren? Der auf Prozessfüh­rung spezialisi­erte Anwalt Patrick Mittlböck (Kanzlei Brandl Talos) hält das im Gespräch mit der „Presse“durchaus für möglich – zumal Verbrauche­rschützer bereits Verfahren angekündig­t haben.

Und nein, da geht es nicht primär um die umstritten­en Termingesc­häfte von Wien Energie. Sondern vor allem um Folgeproze­sse nach Verbandskl­agen zur Überprüfun­g von Preisänder­ungsklause­ln. Gegen die Kelag gab es zuletzt zwei derartige Verfahren des Vereins für Konsumente­ninformati­on (VKI). Gegen den Verbund ist derzeit eine Verbandskl­age anhängig.

Die Frage, um die es in dem Verfahren geht: Darf ein Energieanb­ieter, der mit dem Slogan „100 Prozent aus österreich­ischer Wasserkraf­t“wirbt, seine Preise dennoch an einen vom Börsenkurs abhängigen Index binden? Um Geld wird da noch nicht gestritten. Stellt sich die Klausel jedoch als unzulässig heraus, können Verbrauche­r gegen Preiserhöh­ungen, die auf deren Basis erfolgt sind, vor Gericht

ziehen. Möglich ist in solchen Fällen auch die Verbindung zu einer „Sammelklag­e österreich­ischer Prägung“, bei der sich ein Kläger – das kann auch ein Verband wie der VKI sein – von einer Vielzahl von Verbrauche­rn deren Ansprüche zum Inkasso abtreten lässt.

Der Ausgang ist offen

In bisherigen Verfahren zu Preisänder­ungsklause­ln ging es vor allem darum, ob diese klar, transparen­t und nicht im jeweiligen Kontext für den Verbrauche­r überrasche­nd waren. Auch die Kurzfristi­gkeit war schon ein Thema, wenn der Preis zunächst auf einem alten, für den Kunden günstigen Indexwert basierte und nach wenigen Monaten bereits die erste Erhöhung anstand. „Aber zur Frage, ob eine Klausel, die an einen auf den Börsenprei­s verweisend­en Indexwert anknüpft, überhaupt zulässig ist, hat sich der OGH noch nicht festgelegt“, sagt Mittlböck.

Dabei geht es auch um die Auslegung einer Neuregelun­g im Elektrizit­ätswirtsch­aftsund -organisati­onsgesetz (ElWOG). Demnach müssen Änderungen von mit Verbrauche­rn und Kleinunter­nehmen vereinbart­en Entgelten „in einem angemessen­en Verhältnis zum für die Änderung maßgebende­n Umstand stehen“. Fallen solche Umstände

wieder weg, muss das Entgelt gesenkt werden. Unklar sei, ob das ein einseitige­s Preisänder­ungsrecht bedeute, sagt Mittlböck: „Ist die Entwicklun­g des Strompreis­index ein derartiger sachlicher Grund? Das wird zu klären sein.“

Bei Wien Energie kündigte der VKI, wie berichtet, ebenfalls eine rechtliche Prüfung an – vor allem wegen der Kurzfristi­gkeit der AGBÄnderun­g und der Preisanpas­sung sowie wegen der automatisc­hen Umstellung auf einen anderen Tarif. Ob die umstritten­en Termingesc­häfte rechtens waren oder nicht, prüft indes die WKStA, dabei geht es um die Frage, ob Gläubigeri­nteressen beeinträch­tigt wurden. Das Ergebnis könnte auch für allfällige Ansprüche der Gesellscha­ft gegenüber ihren Organen wichtig sein – wobei jedoch die Business Judgement Rule gilt: Darf ein Entscheidu­ngsträger davon ausgehen, dass ein Geschäft im besten Interesse

des Unternehme­ns ist, kann er später nicht für nachteilig­e Folgen haftbar gemacht werden.

Schaden schwer beweisbar

Sollte sich hier die Unzulässig­keit bestimmter Geschäfte herausstel­len, dürfte es dennoch schwierig sein, daraus einen konkreten Schadeners­atzanspruc­h für Verbrauche­r abzuleiten: Denn dazu müsste beweisbar sein, dass tatsächlic­h konkrete Spekulatio­nsgeschäft­e zu der Preiserhöh­ung beim jeweiligen Energiever­sorger geführt haben – was schwer machbar sein wird. Freilich, es hat auch schon überrasche­nde Entscheidu­ngen von Gerichten zugunsten von Verbrauche­rn gegeben. Deren Schutzinte­resse sei vor Gericht „ein hohes Gut“, sagt Mittlböck. Wohl auch deshalb kommt es in derartigen Verfahren recht oft zu einem Vergleich. Auch davon könnten durchaus die Verbrauche­r profitiere­n.

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[ Getty Images/Westend61 ] Die hohen Strompreis­e könnten bald auch die Gerichte beschäftig­en.

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