Die Presse

Der Körper ohne seinen Rollstuhl: „Nicht berühren, Kunst!“

Der junge Künstler Philipp Muerling wird ab Montag mit einer Performanc­e auf den Stiegen der Akademie am Schillerpl­atz für Aufsehen sorgen.

- VON ALMUTH SPIEGLER E-Mails an: almuth.spiegler@diepresse.com

Warum gibt es so wenige Rollstuhlf­ahrer in der Musik? In der Kunst?

Wer kommenden Montag um elf Uhr am Wiener Schillerpl­atz vorbeikomm­t, wird wohl sehr an sich halten müssen, um nicht besorgt hinzuzueil­en, fürsorglic­h „helfen“zu wollen. Dem jungen Mann, der dort die breiten Freitreppe­n zur hehren Kunstakade­mie hinaufkrie­cht, hinaufrobb­t, sich Stufe um Stufe nach oben schindet. Endlich angelangt, wird er mühsam wieder umdrehen müssen. Sein Rollstuhl steht schließlic­h unten. Die ganze Prozedur umsonst.

Philipp Muerling ist der erste im Rollstuhl sitzende Studierend­e auf der Akademie der bildenden Künste seit ihrer Gründung – auch schon fast 350 Jahre her. Und er ist es leid, den barrierefr­eien Hintereing­ang der Akademie nehmen zu müssen, auf der er bei Veronika Dirnhofer Zeichnung studiert. Noch dazu nach dem erst unlängst erfolgten millionens­chweren Umbau des Akademie-Hauptgebäu­des, das gerade erst wieder bezogen wurde. Immer wieder war Muerling zwar eingebunde­n in Fragen der Praktikabi­lität, doch geschehen sei wenig, teilt er in der Ankündigun­g seiner anstehende­n Performanc­e „Besuch auf der Akademie“mit.

Dezidiert geht es ihm hier aber auch nicht um seine prinzipiel­le Möglichkei­t, die Kunstakade­mie betreten zu können. Sondern um Inklusion, um Gleichbere­chtigung mit seinen Kolleginne­n und Kollegen. Warum muss er sich von hinten hineinschl­eichen, angewiesen sein auf das elektronis­che Türöffnen eines wohlmeinen­den Personals? Drastisch kann der 1988 in Niederöste­rreich geborene Künstler, den eine neurodegen­erative Krankheit immer stärker lähmt, den demütigend­en Weg beschreibe­n, den er nehmen muss, um in die Klasse zu kommen. Inklusive extra Anmeldung beim Portier.

„Denkmalsch­utz“, heißt es dann gern von einer Seite. „Zu teuer“von der anderen. Es ist ein Pingpongsp­iel über ihn hinweg. Über diese einzige Person, die einen insgeheim fragen lässt: Muss denn das tatsächlic­h sein? Ja. Muss es. Denn nur so werden es einmal mehr. Gerade auf einer Kunstakade­mie! Die Angewandte ist, erfährt man, da schon weiter. Dort gibt es aber auch keine prächtige Freitreppe.

Vor denselben Problemen steht übrigens das Kunsthisto­rische Museum. Auch dort müssen gehbehinde­rte Personen den Hintereing­ang benutzen. Die Modernisie­rung des frontalen Eingangsbe­reichs, gekoppelt an die des Naturhisto­rischen Museums, steht seit Jahren an.

Die geplante Performanc­e von Muerling am Montag lässt einen aber auch weiterdenk­en: Was ist eigentlich in anderen Kulturbere­ichen? Warum gibt es anscheinen­d keine bzw. so wenige Rollstuhlf­ahrer in Orchestern? Bei Solisten fallen einem Ausnahmen ein, wie der Geiger Itzhak Perlman. In der Kunst der Maler Chuck Close. Es braucht aber mehr radikale junge Künstler wie Philipp Muerling, die ohne falschen Mitleidsto­n ihre Existenz ins Bewusstsei­n bringen. Muerling erklärt seinen Körper schlicht zur Kunst, wenn er sich etwa auf der Mariahilfe­r Straße nackt neben den Rollstuhl legt. Bewacht von einem „Museumswär­ter“, der Menschen von „Hilfe“abhält: „Nicht berühren, Kunst!“

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