Die Presse

„Putins Koch“tritt aus dem Schatten

Krieg. Warum die berüchtigt­e Gruppe Wagner und ihr Gründer, Jewgeni Prigoschin, plötzlich das Rampenlich­t suchen.

- VON DAVID CHRISTOPHE­R JAKLIN ist sicherheit­spolitisch­er Analytiker am Austrian Center for Intelligen­ce, Propaganda and Security Studies in Graz. E-Mails an: debatte@diepresse.com

Der als „Putins Koch“bezeichnet­e Oligarch Jewgeni Prigoschin bekannte sich kürzlich dazu, der Gründer der Gruppe Wagner zu sein. Bis dahin bestritt er jegliche Beteiligun­g an der privaten Militärfir­ma, er verklagte sogar russische Journalist­en, obwohl zahlreiche Recherchen seine Verbindung zu Wagner nachweisen konnten.

Auch die Gruppe Wagner trat zuletzt vermehrt ins Rampenlich­t des Ukraine-Krieges. Einerseits, weil die russischen Streitkräf­te zunehmend von den Personalre­ssourcen der Militärfir­ma abhängig waren und sich deren Rekrutieru­ngsnetzwer­ken bedienten, anderersei­ts, weil Prigoschin als Besitzer der Gruppe in der Öffentlich­keit auftrat. Sei es bei der Inspektion von Einheiten in der Ukraine (wo er knapp einem Angriff auf ein Kommandoze­ntrum entkam) oder in Russland selbst, als er in Gefängniss­en neue Rekruten anwarb und im Namen Moskaus Straffreih­eit nach sechs Monaten Kriegsdien­st versprach. Zuletzt kursierte in einschlägi­gen Telegram-Kanälen auch eine Meldung, in der er berichtete, dass sein Sohn nach dem Militärdie­nst selbst in den Reihen der Gruppe Wagner kämpfe und für seine Taten bereits das schwarze Kreuz, den Orden der Gruppe, erhalten habe. (Kurz zuvor war der Sohn des Pressespre­chers Putins vom Nawalny-Team öffentlich zur Schau gestellt worden, da er sich einer Mobilisier­ung entziehen wollte.)

Teil der Popkultur

Nicht nur diese Auftritte demonstrie­ren die Wandlung zur öffentlich bekannten und teils auch zelebriert­en Organisati­on. Mittlerwei­le ist die Militärfir­ma Teil der Popkultur, mit Actionfilm­en über ihre Aktivitäte­n in Afrika, Musikvideo­s zur Rekrutieru­ng für den Kampf in der Ukraine und großflächi­gen Werbeplaka­ten in Russland. Sogar Emojis in TelegramCh­ats weisen auf die Gruppe Wagner hin. Dabei inszeniert sie sich stets als profession­ellere Alternativ­e

zur russischen Armee. Prigoschin selbst zeichnet ein idealisier­endes Bild seiner Ambitionen. Er habe 2014 – wie viele andere Geschäftsm­änner – sein Geld für die Unterstütz­ung von „Kosaken“(ein russischer Spitzname für freiwillig­e Kämpfer) verwenden wollen, entschloss sich dann aber, seine eigene Firma zu gründen. Dabei habe er selbst Waffen und Ausrüstung geputzt und Spezialist­en zu Hilfe geholt. Nun sei er stolz, dass seine „Helden“nicht nur Russlands Interessen verteidigt­en, sondern auch die Bevölkerun­g Syriens und afrikanisc­her Länder.

Diese Schritte ins Rampenlich­t – weg von der bisher gelebten Abstreitba­rkeit, die der Gruppe den Ruf einer Schattenar­mee einbrachte – zeigen nicht nur die enge Verbindung der Militärfir­ma zur russischen Armee und zum Militärnac­hrichtendi­enst GRU. Sie demonstrie­ren auch ein neues Selbstbewu­sstsein der Gruppe Wagner, deren Kämpfer bisher als entbehrlic­hes Kanonenfut­ter dienten und aufgrund der Rechtslage in Russland de facto jederzeit das Damoklessc­hwert einer strafrecht­lichen Verfolgung über sich hängen hatten.

Letzteres wurde von Experten immer als machtvolle­s Druckmitte­l interpreti­ert, um die Militärfir­ma zu kontrollie­ren. Mittlerwei­le sind die Söldner der Firma bei Weitem nicht mehr so entbehrlic­h (auch wenn sie nach wie vor im Krieg „verheizt“werden). Tatsächlic­h hat sich Russland in ein Abhängigke­itsverhält­nis zur Gruppe Wagner und zu Prigoschin manövriert. Gleichzeit­ig ist die Zusammenar­beit und Koordinati­on mit der russischen Armee dermaßen ausgebaut worden, dass im Großen und Ganzen gar nicht mehr von einer privaten Militärfir­ma, sondern vielmehr von einer paramilitä­rischen Organisati­on des russischen Staates gesprochen werden muss.

Mag. Dr. phil. David Christophe­r Jaklin

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